Flüchtlinge in München:Teddybären zur Begrüßung

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Die Flüchtlinge stolpern aus den Zugtüren, so voll sind die Waggons. Doch sie rufen "Thank you Germany" - und werden von Münchnern versorgt.

Reportage von Florian Fuchs und Melanie Staudinger, München

Mohammad wartet. Mal wieder. Stundenlang harrt der 17-Jährige am Montagabend am Münchner Hauptbahnhof aus. An den Bahnsteigen, an denen die Züge aus Österreich einfahren. Vor knapp einem Jahr flüchtete Mohammad aus Syrien. Seine Familie hat es geschafft, viele Bekannte hingegen fürchten im Bürgerkriegsland noch immer um ihr Leben oder haben es längst verloren. "Letzte Woche kam ein Freund an. Leider war er allein", sagt Mohammad auf Deutsch. Die Frau des Freundes und seine Kinder haben die Fahrt über das Mittelmeer nicht überlebt. Der Syrer erzählt diese Geschichte beiläufig, während er vor Gleis 15 an einer Polizeiabsperrung steht.

Um halb neun erreicht der Zug aus Budapest-Keleti München. Es ist schon der zweite, der an diesem Abend aus der ungarischen Hauptstadt anrollt. Dort hat die Polizei überraschend die Passkontrollen eingestellt. Hunderte Flüchtlinge stürmten die Züge Richtung Westen. Im 20.30-Uhr-Zug sind knapp 50 Asylsuchende, viele alleinstehende junge Männer, aber auch Familien mit Kleinkindern und Babys.

An der Bundespolizei kommt niemand vorbei. Die Beamten sind mittlerweile routiniert. Dass sie mehrere Hundert Flüchtlinge am Tag in Empfang nehmen müssen, ist längst kein Einzelfall mehr: Menschen sammeln, zur Registrierung in den Starnberger Flügelbahnhof eskortieren und von dort aus dann zu den Bussen am Bahnhofsvorplatz geleiten, die die Flüchtlinge nach Regensburg, Bayreuth oder Schweinfurt bringen.

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Mit den ersten beiden Zügen aus Budapest haben die Behörden am Montag kaum Schwierigkeiten. Dann aber, mit 45 Minuten Verspätung, tuckert gegen 23 Uhr Zug Nummer drei ein - und mit ihm gleich mehrere Hundert Flüchtlinge auf einmal. Die Waggons sind so voll, dass die ersten Reisenden aus den Türen stolpern. Viele haben nichts dabei oder eine kleine Plastiktüte mit dem Nötigsten. In gebrochenem Englisch und mit müden Augen fragen sie nach dem Weg: Sie wollen nach Hamburg, Berlin oder Frankfurt. Dass das so schnell nicht möglich sein wird, erfahren sie erst später.

Münchner versorgen die Flüchtlinge - und räumen den Müll weg

Eine Familie lässt sich mit dem Smartphone fotografieren - für sie ist es das Ende einer langen Odyssee. Seit drei Monaten sind sie unterwegs: der Vater, die Mutter im Rollstuhl und die fünf Kinder, alle jünger als zehn Jahre. In Budapest, so erzählen sie, war der Empfang nicht so freundlich. Tagelang hätten sie dort am Bahnhof ausgeharrt, hätten nichts zu essen und zu trinken bekommen, die Polizei sei rüde gewesen und habe sie hart angepackt.

Ein Flüchtlingskind freut sich über geschenkte Stofftiere. (Foto: dpa)

Dass die Flüchtlinge in München mit Wasser, Brot und Obst versorgt werden, ist vor allem den freiwilligen Helfern zu verdanken, die sich am frühen Abend spontan auf den Weg zum Hauptbahnhof gemacht haben. "Wir wollten einfach helfen", sagt Nikolaus Hoenning O'Carroll. Über die sozialen Netzwerke haben sich die Ehrenamtlichen organisiert.

Sie klappern die umliegenden Geschäfte und Hotels ab, besorgen Getränke und Essen. Manche bringen Kuscheltiere für die Kinder mit, andere kehren den Boden oder räumen den Müll weg. Die Flüchtlinge sollen es in der kargen Schalterhalle zumindest ein wenig gemütlich haben.

Hoenning O'Carroll steht mit drei anderen Helfern hinter dem Eingang zum Starnberger Flügelbahnhof. Auf ein gelbes Banner haben sie "Welcome" geschrieben. Die Flüchtlinge entdecken die Münchner. Sie klatschen, rufen "Thank you Germany" und "I love Germany".

Doch die Euphorie weicht schnell der Erschöpfung: Männer, Frauen und Kinder liegen auf dem Boden, manche sind eingeschlafen. Die Beamten der Bundespolizei, die die Registrierung der Flüchtlinge in der Nacht übernommen haben, versuchen schnell zu arbeiten. Aber es sind einfach zu viele Menschen da.

Angekommen: Ein Flüchtlingskind schläft auf dem Boden am Münchner Hauptbahnhof. (Foto: dpa)

In der Halle wird es stickig, an das Rauchverbot hält sich schon längst keiner mehr. Die Passagiere aus dem 23-Uhr-Zug sind noch nicht einmal abgefertigt, da drängen um kurz nach eins schon die nächsten 300 Flüchtlinge herein. Insgesamt sind damit 900 Leute am Hauptbahnhof angekommen - von Montagabend um 19 Uhr bis Dienstagfrüh um eins.

Wer keinen Platz findet, muss draußen sitzen. Jetzt helfen auch die Polizisten mit: Sie verteilen Gebäck, Fladenbrot und Semmeln. Es wird langsam ruhig in der Schalterhalle. Wer jetzt registriert wird, kann in München bleiben. Zu weit wäre die Fahrt in andere Teile Bayerns.

Die Feuerwehr zapft Hydranten an, damit Wasser zum Waschen da ist

Aufhören wird die Arbeit in dieser Nacht nicht mehr. Alle paar Stunden kommen Flüchtlinge in neuen Zügen an, alleine von Mitternacht bis zum späten Vormittag werden es mehr als 1400 sein. Die Polizei muss Teile der Arnulfstraße und des Bahnhofsvorplatzes auf der Westseite sperren, damit all die Menschen Platz haben und die Busse, die sie in ihre Unterkünfte bringen sollen, auch durchkommen. Dass die Lage sich entspannen wird, glauben die Verantwortlichen nicht. Die Beamten tauschen nach wenigen Stunden die provisorischen Absperrbänder durch Gitter aus.

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Die Hilfe läuft mittlerweile professioneller. Die Züge halten nicht mehr mitten in der Haupthalle, sondern wenn möglich auf Gleis 26, das gleich neben dem Starnberger Flügelbahnhof liegt. Die erschöpften Passagiere müssen jetzt nicht mehr quer durch die Bahnhofshalle. Die Feuerwehr hat Hydranten angezapft, damit die Wartenden nicht nur Wasser zum Trinken, sondern auch zum Waschen haben.

Das Jugendamt verteilt Nahrungsmittel für Babys und hält Ausschau nach minderjährigen Flüchtlingen, von denen an diesem Dienstag nicht allzu viele anreisen. Kinder werden nun in einem Bus medizinisch untersucht, damit das sogenannte Screening schneller geht. Dennoch warten viele Menschen im Freien.

Glück und Verzweiflung liegen nahe beisammen. Ein Immobilienmakler aus Syrien etwa kann sich von einem Fernseh-Journalisten ein Handy leihen. Zum ersten Mal seit Tagen kann er seine Familie anrufen. Von ihr wurde er bei der Flucht getrennt. Nach Griechenland wollten sie mit dem Schiff übersetzen, doch sie wurden auf unterschiedliche Boote verteilt. Erleichtert erfährt der Mann, dass sein Sohn samt Familie in Kitzingen untergekommen ist.

Der 17-jährige Mohammad hingegen hat bisher vergeblich auf seine Freunde gewartet. Sie sind wohl noch in Ungarn.

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