Anklage gegen Mutter:Bibbernd bei elf Grad

Die Mundwinkel des Mädchens waren schon blau verfärbt: Weil sie ihr Kind im Herbst nackt in den Fahrradsitz gesetzt hat, steht eine Rechtsanwältin nun vor Gericht.

Susi Wimmer

Bei Außentemperaturen von elf Grad und recht frischem Wind ist eine 32-jährige Rechtsanwältin aus Schwabing Ende September vergangenen Jahres mit ihrem splitternackten Kind im Fahrradsitz durch München geradelt. Für die Frau wird das nun Konsequenzen haben: Demnächst nämlich muss die Juristin im Gerichtssaal auf der Anklagebank Platz nehmen. Denn das zuständige Münchner Gericht ließ nun die Anklage der Staatsanwaltschaft wegen gefährlicher Körperverletzung zu.

Anklage gegen Mutter: Die Mutter erklärte ihr Handeln damit, dass auch ein Kind ein Recht auf eine eigene Persönlichkeit habe. Im Bild: Radfahrer in München.

Die Mutter erklärte ihr Handeln damit, dass auch ein Kind ein Recht auf eine eigene Persönlichkeit habe. Im Bild: Radfahrer in München.

(Foto: Foto: Hess)

Es war der 29. September 2008, ein Montag, als zwei Polizisten im Streifenwagen durch die Sandstraße fuhren. Das Thermometer im Wageninneren zeigte gerade einmal elf Grad an und es wehte laut Polizei ein unangenehm kalter Wind. Deshalb trauten die beiden Beamten ihren Augen kaum, als sie auf Höhe des Strafjustizzentrums in der Maxvorstadt eine Fahrradfahrerin entdeckten: Hinten, im Fahrradsitz, saß ein kleines Mädchen, nackt, nicht einmal mit einer Windel bekleidet. Die Beamten hielten sofort an und stoppten die Frau.

Erklärung aus der modernen Pädagogik

Ein Blick auf das eineinhalbjährige Mädchen, und den Beamten war klar, dass das Kind erbärmlich fror. Die Mundwinkel der Kleinen waren schon bläulich verfärbt, die Rotzspur ging bis hinunter zum Mund. Dazu bekamen die Polizisten folgende Erklärung aus der modernen Pädagogik geliefert: Ihre Tochter habe sich nichts anziehen lassen, erklärte die Mutter. Und da auch ein Kind ein Recht auf eine eigene Persönlichkeit habe, habe sie nur den Wunsch ihrer Tochter respektiert und das unbekleidete Kind dann eben in den Radsitz gesetzt.

Die Kleine, so erzählte die Mutter weiter, sitze ja außerdem beim Radfahrer in ihrem Windschatten, da sei es auch nicht zu kalt gewesen. Sie sei zudem von Beruf Rechtsanwältin und wisse, was sie tue. Zu dem Zeitpunkt hatte die Frau schon etwa einen Kilometer mit dem bibbernden Kind zurückgelegt. Auf weitere Diskussionen, so erklärte die Polizei damals, wollte sich die 32-jährige Mutter nicht einlassen.

Schließlich forderten die Beamten die Frau auf, ihre Tochter sofort anzuziehen, was die Rechtsanwältin dann auch tat. Die Polizei erstattete Strafanzeige wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen, außerdem wurden Jugend- und Gesundheitsamt informiert.

Demnächst nun wird sich ein Gericht mit der Rechtsanwältin und ihren Mutterpflichten beschäftigen.

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