Angestellte klagen:Überlastete Jobcenter

Neuer Arbeitsablauf führt zu Frust und Wartezeiten

Von Sven Loerzer

Es war kein Geschenk, sondern eine Geschäftsanweisung, die von der Bundesagentur für Arbeit kurz vor Weihnachten den Jobcentern zuging. Darin war zu lesen, dass zur Erhöhung der "Kassensicherheit in den IT-Verfahren" die Hartz-IV-Leistungen des Bundes von 2015 an nur noch im "Vier-Augen-Prinzip" zu gewähren sind. In den Jobcentern löste die neue Regelung beträchtliche Unruhe unter den Mitarbeitern aus. Zwar galt das Vier-Augen-Prinzip bisher schon bei Neuanträgen oder Änderungen bei der Weiterbewilligung, aber im übrigen Massenbetrieb gab es stattdessen nur stichprobenweise Überprüfungen.

Die Weisung, dass nun jede Auszahlung gegengezeichnet werden muss, brachte die ohnehin schon stark belasteten Jobcenter-Mitarbeiter in Rage, weil das zusätzlich Zeit kostet. Und die ist ohnehin schon knapp, wie Hilfe suchende Bürger zu spüren bekommen. So verwahrte sich zum Beispiel eine Jobcenter-Mitarbeiterin gegen weitere Anrufe: "Aktuell sind wir derart überlastet", dass "künftig sämtliche Anliegen postalisch zu klären" seien. Auf die Beschwerde hin, dass Anfragen des längeren unbeantwortet geblieben seien, bekam die Betroffene zur Antwort, sie müsse sich "künftig auch auf längere Bearbeitungszeiten einstellen", sofern sie sich "gegenüber ihrer Sachbearbeitung keinen anderen Ton" angewöhne. Offenbar liegen bei der Jobcenter-Mitarbeiterin inzwischen die Nerven völlig blank.

Die Personalräte der Jobcenter hatten noch ausdrücklich vor den Folgen der Neuregelung gewarnt. Im Namen der Personalvertretungen der bayerischen Jobcenter verschickte der Personalrat des Münchner Jobcenters einen geharnischten offenen Protestbrief, nachdem schon Länder und kommunale Spitzenverbände im Vorfeld Bedenken geäußert hatten. "Der durch die Weisung erzeugte zusätzliche Arbeitsaufwand ist erheblich", schrieben die Personalräte. "Die zusätzliche Belastung führt die Organisation in einigen Bereichen über den Rand des Zumutbaren." In vielen Bereichen der Jobcenter könnten erforderliche Arbeiten "nicht oder nicht in wünschenswerter Tiefe" verrichtet werden, weil dauerhaft eine zu geringe Personalausstattung bestehe. Zudem müssten bis zum 30. Juni alle Datenbestände zur Leistungsgewährung aus dem IT-Verfahren "A2LL" in das neue "Allegro" überführt werden: "Alle Datensätze müssen einzeln, von Hand, durch fachkundige Mitarbeiter, mit hohem Zeitaufwand - zusätzlich zur alltäglich anfallenden Arbeit - übertragen werden." Vor diesem Hintergrund sei die Anweisung ein "Schlag gegen die Funktionsfähigkeit der Organisation".

Die Personalräte fanden Unterstützung: Die Münchner Sozialreferentin Brigitte Meier, Augsburgs Dritter Bürgermeister Stefan Kiefer und der Nürnberger Sozialreferent Reiner Prölß baten Bundessozialministerin Andrea Nahles darum, die Weisung zurückzunehmen, zumal sie "zur Unzeit" erfolgt sei. Die Notwendigkeit, Sicherungssysteme auszuweiten, sei nicht nachvollziehbar. "Die finanzielle Ausstattung der Jobcenter verschärft sich immer weiter", heißt es in dem Schreiben. "Dies geht zu Lasten der Bürgerinnen und Bürger, die in den Jobcentern Rat und Unterstützung suchen." Wenn die Bearbeitungsdauer von Hartz-IV-Anträgen steige, gerieten die Betroffenen in finanzielle Schwierigkeiten.

Doch die Ministerin wollte sich mit dem dringenden Appell der drei großen bayerischen Städte nicht beschäftigten, sondern reichte den Brief einem Referatsmitarbeiter zur Beantwortung weiter. Der ließ wissen: "Auch wenn die Bearbeitungsdauer von Erstanträgen in den letzten Wochen angestiegen ist, teile ich ihre Einschätzung nicht, dass die Leistungsberechtigten in finanzielle Schwierigkeiten geraten." Nach dem Monitoring der Bundesagentur gebe es "keine wesentlichen Bearbeitungsrückstände". Der Bund habe sicherzustellen, dass in den Jobcentern die "geltenden haushaltsrechtlichen Bestimmungen für die Bewirtschaftung von Bundesmitteln umgesetzt werden". Das bisherige Vorgehen könne deshalb nicht weitergeführt werden.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: