André Löwig und sein Standl:Der Herr der Biere

Seit 1847 steht Münchens ältestes Standl an der Wittelsbacherbrücke in München. Wie André Löwig es geschafft hat, den Kiosk wieder zum Leben zu erwecken.

Ana Maria Michel

Das älteste Standl Münchens hat eine Menge schöne, aber mindestens genauso viele traurige Geschichten zu erzählen. Seit 1847 gibt es diesen Kiosk an der Wittelsbacherbrücke. Er wird Standl genannt, weil er aus Holz ist. "Damals war hinter dem Standl eine Rennbahn, auf der Pferde um die Wette galoppierten", erzählt der Besitzer André Löwig, der den Kiosk seit 2005 betreibt. Heute ist hier ein Fußballplatz und ein Fußgängerweg führt neben dem Standl an der Isar vorbei. Doch das ist nicht das einzige, was sich im Laufe der Jahre hier geändert hat.

Der lebensfrohe 50-Jährige ist ein waschechter Münchner und in Untergiesing aufgewachsen, wo er heute noch lebt. Für ihn war der Kiosk schon immer da: "Als Kinder sind wir immer am Standl vorbei zum Schyrenbad gegangen", erzählt er. In seinen Erinnerungen ist der Kiosk damals ein düsterer Ort gewesen, um den er auf dem Weg zum Freibad am liebsten einen großen Bogen gemacht hätte.

Löwig hat Koch gelernt und lange als Zeitarbeiter gejobbt: Auf dem Flughafen hat er Schnee geräumt, er war Schulbus-Fahrer und zur Weihnachtszeit verkauft er heute noch Christbäume an der Wittelsbacherbrücke und am Candidplatz.

Löwig selbst war viele Jahre Stammgast am Standl. Als sein Vorgänger den Kiosk an der Brücke verkaufen wollte, war er sofort zur Stelle. "Mehr Mut zur Selbstständigkeit" - das war sein Motto.

"Erst 2006 wurde das Standl wachgeküsst. Davor hat es ein Schattendasein geführt", sagt Löwig, dem damals die Fußball-Weltmeisterschaft zu Hilfe kam: Der Fernseher, den er sich eigentlich zum Privatvergnügen in den Kiosk gestellt hatte, wurde eine Attraktion für die Münchner, die begeistert von Löwigs günstigen Preisen und von seinem Angebot waren.

Bier, Eis und Curry-Wurst mit Peperoni aus dem Garten von Löwigs Oma - das gefiel den Leuten an einem Fußball-Nachmittag im Sommer. Auch wenn keine Fußball-WM stattfindet, ohne den Sommer könnte Löwigs Kiosk nicht überleben. Am Standl ist nur bei schönem Wetter viel los: Kinder kaufen sich Eis und Münchner auf dem Weg zur Isar nehmen Bier oder anderen Proviant mit.

"Man braucht ein Händchen für die Leute", sagt Löwig, der sein Standl im Sommer Stammgästen für Geburtstagsfeiern oder Kniffel-Meisterschaften zur Verfügung stellt. Im Winter bietet er den Senioren aus dem benachbarten Altersheim an, sich am Standl zu treffen, damit ihnen zu Hause nicht die Decke auf den Kopf fällt. Löwigs Spielesammlung vertreibt ihnen die Zeit. "Nur das Schach-Spielen habe ich ihnen verboten, denn da gibt es immer Streit", sagt Löwig.

Der 12-jährige Hund "Sem" ist sein ständiger Begleiter. Der Mischling wurde nach der Mahlzeit benannt, die er als erstes zu sich genommen hat: Semmelknödel. Im Sommer, wenn es am Standl heiß her geht und jemand ein Bier zu viel intus hat und Streit sucht, kommt ihm der Hund zu Hilfe. Löwig nennt ihn seinen Bodyguard.

Opfer für das Standl

Früher hatte er eine Dachterrassen-Wohnung, eine Harley Davidson und eine funktionierende Beziehung. Das alles hat er für das Standl geopfert und manchmal zerreißt es ihm bei dem Gedanken an seine Verlustliste fast das Herz. "Ein Standl betreibt man nicht einfach so", sagt er, der einen Kredit bei der Bank aufnehmen musste und jeden Monat die Kosten für Versicherungen, Strom und sanitäre Anlagen begleichen muss.

Aber es hat sich gelohnt: Das Standl läuft im Sommer sehr gut und Löwig freut sich, eine Beschäftigung zu haben. Nach dem langen kalten Winter packt er jetzt wieder zu, fährt einkaufen und versorgt die Leute mit kühlen Getränken und Eis.

Der Zahn der Zeit nagt an Löwigs Standl, das er als Dauerbaustelle bezeichnet: "Vor ein paar Tagen haben wir die Bänke abgeschliffen und lackiert", erzählt er. Löwig macht den Stress und die finanziellen Belastungen für seine grauen Haare verantwortlich. Aber er sieht sich trotzdem noch mit 75 Jahren in seinem Standl Eis verkaufen. Von seinen Freunden wird Löwig "Der Herr der Biere genannt".

"Hier am Kiosk sieht man nicht nur den Glanz von München, sondern auch die Unterschichten", sagt er. Seine Stammkunden sind auch Obdachlose, die unter der Wittelsbacherbrücke schlafen, oder Senioren, die nur wenig Geld zur Verfügung haben. Sie alle kommen zum Standl, weil es dort günstig ist und Löwig immer ein offenes Ohr für sie hat. Sie hoffen außerdem, am Standl eine Beschäftigung zu finden - und sind oft mit einem Bier als Gegenleistung zufrieden. "Der Schorschi zum Beispiel hat früher unter der Brücke gelebt und ist heute meine rechte Hand. Er hilft jetzt meiner Oma im Garten", erzählt Löwig.

Ihm tun die Senioren leid, die Flaschen sammeln müssen, um über die Runden zu kommen. "Manche Kunden lassen bei mir anschreiben", sagt er, aber dafür helfen sie ihm, wenn er die Bierbänke lackiert oder aufräumen muss.

Nach dem trubelreichen Sommer folgt jedes Jahr der kalte Winter und das Standl muss geschlossen werden. "Bei 15 Grad und Sonnenschein haben wir geöffnet, aber auch im Winter muss ich alle drei Tage nach dem Rechten sehen", sagt er. Löwig muss den Kiosk in Stand halten und dafür sorgen, dass ungebetene Besucher fern bleiben. "Wir haben eine Alarmanlage, weil schon oft eingebrochen wurde", sagt Löwig, obwohl das Wertvollste im Standl ein Kasten Bier ist.

Der Winter ist für den Besitzer von Münchens ältestem Standl hart, denn in dieser Zeit muss er sich eine Arbeit suchen. "Aber wer stellt schon jemanden ein, der im Sommer dann wieder weg ist?", sagt er. Drei Mal hat er sich im letzten Winter als Fahrer beim Schlachthof beworben und hat dann fast den Mut verloren.

Im Sommer ist er es dann wieder, der Leute einstellt. Eine Festangestellte und zwei Aushilfen unterstützen ihn, wenn "Der Herr der Biere" Eis und Bier an durstige Münchner verkauft, die am Standl Schlange stehen.

Schyrenplatz 2, 81543 München, Öffnungszeiten: 8-1 Uhr bei 15 Grad und Sonnenschein, www.muenchenstandl.de

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