Analyse von Tatortspuren:Mammuts unterm Mikroskop

Zoologe Frank Reckel arbeitet als Tatortforscher

Auf dem Tisch von Frank Reckel lag auch schon ein moosbewachsener Schädel, den jemand im Wald gefunden hatte.

(Foto: Stephan Rumpf)

Vom Nachbarschaftsstreit um einen abgesägten Baum über Artenschutzverstöße bis hin zu Kapitalverbrechen: Wenn kleinste Spuren untersucht werden müssen, kommen beim Landeskriminalamt Experten wie der Zoologe Frank Reckel ins Spiel. Für manche Fälle braucht er Geduld - und einen guten Magen.

Von Florian Fuchs

Manchmal sind es gar nicht die Morde und die grausamen Verbrechen. Manchmal sind es die alltäglichen Delikte, die Frank Reckel am meisten faszinieren, so wie damals bei der gefährlichen Körperverletzung mit einem Baseballschläger. Ein Angreifer hatte seinem Opfer den Schläger drübergezogen, das Holz splitterte. Die Ermittler schickten das kaputte Sportgerät zu Reckel ins Landeskriminalamt, damit der gelernte Zoologe feststellt, aus welchem Holz der Schläger gemacht ist.

Ahorn oder Hickory wahrscheinlich, so schwer kann das ja nicht sein, dachte sich Reckel. Aber die Tüpfel im Holz, die er unter dem Mikroskop sah, die ließen ihn vermuten, dass es sich um Edelkastanie handelt. "Jetzt bin ich kein Holzspezialist", sagt Reckel, "deshalb hab ich Experten vom Holzforschungsinstitut gefragt." Die Fachleute sagten dann: Scheinkastanie. Ein Baseballschläger aus wirklich exotischem Holz also. "Das war spannend", sagt Reckel.

War es für Kenner aber doch nicht: Nachforschungen in der Sportindustrie ergaben, dass die billigsten Massenware-Baseballschläger immer aus der eigentlich exotischen Scheinkastanie gefertigt sind. "Aus welchem Grund auch immer", sagt Reckel. Dem Zoologen ist es eigentlich egal, ob er gerade zur Klärung eines Kapitalverbrechens oder eines kleinen Streits beiträgt. Hauptsache es befriedigt den Forscher in ihm - und er knackt das Rätsel und hilft bei der Lösung des Falls.

Analyse von Tatortspuren: Reckel nimmt für die Polizei alles unter die Lupe: Holz, Knochen, Haare oder asiatische Pilze.

Reckel nimmt für die Polizei alles unter die Lupe: Holz, Knochen, Haare oder asiatische Pilze.

(Foto: Stephan Rumpf)

Wissenschaftler brauchen einen guten Magen

Mikrospuren und Biologie nennt sich das Sachgebiet, in dem Reckel beim Landeskriminalamt tätig ist. Die Wissenschaftler untersuchen hier biologische und zoologische Spuren von Tatorten und Gegenständen, die mit Verbrechen oder Rechtsstreitigkeiten zu tun haben. Das kann schon mal ein Nachbarschaftsstreit sein, bei dem Reckel anhand von Holzspuren klären muss, ob ein Anwohner seinem Nachbarn einen störenden Baum abgesägt hat. Es kann aber auch um die Bestimmung von Drogen gehen, um Faserspuren von Textilien - oder darum, den Todeszeitpunkt einer Leiche anhand des Entwicklungsstadiums der Maden im Fleisch zu bestimmen. Manchmal brauchen Wissenschaftler wie Reckel also einen guten Magen. Aber vor allem "viel Geduld", wie er selbst sagt.

Biologische und zoologische Spuren wie Gräser, Pilze, Bäume oder Haare, Elfenbein und Knochen untersucht Reckel morphologisch, also auf Merkmale wie Struktur und Form hin. Wenn er Holz zu untersuchen hat, dann kann er so die Holzart bestimmen. Hilft das den Ermittlern, die sich an Reckel gewandt haben, noch nicht weiter, dann müssen sie das Material molekulargenetisch bewerten lassen. "Ich kann herausfinden, ob ein Holz Fichte ist. Die Kollegen von der Molekulargenetik können dann sagen, ob das Holz von einer bestimmten Fichte stammt", erläutert Reckel.

Unter der Lupe: Moosbewuchs auf Schädelknochen

Seine tägliche Arbeit verbringt der 44-Jährige zu einem großen Teil vor spezielle Mikroskopen und anderen empfindlichen Geräten, mit denen er Tatortspuren unter die Lupe nimmt. So kann er etwa anhand des Moosbewuchses auf einem Schädelknochen erkennen, wie lange die Gebeine bereits ungefähr in einem Wald lagen, bevor sie gefunden wurden. Moos wächst bei normaler Witterung vor allem im Frühjahr und im Herbst, entsprechend rechnet der Wissenschaftler den Todeszeitpunkt hoch.

Als ausgebildeten Zoologen interessieren Reckel aber vor allem tierische Spuren. Hat man etwa einen Tatverdächtigen mit einer Katze und findet dann Katzenhaare bei einem Todesopfer, das nie etwas mit Katzen zu tun hatte, kommt Reckel ins Spiel. Unter einem Brückenmikroskop kann er die Haare vom Tatort mit Haaren von der Katze vergleichen - und den Verdacht erhärten oder zerschlagen. Untersucht er menschliche Haare, braucht Reckel am besten je zehn bis 20 Haare von beiden Schläfen, der Stirn, dem Oberkopf und dem Hinterkopf. Weil Haare gefärbt und getönt werden, wäre es mit weniger Proben problematisch, eine belastbaren Vergleich anzustellen.

Manchmal hat er aber auch skurrile Fälle: Bei einem Neubau musste er einmal untersuchen, ob ein Wasserrohr sabotiert wurde. Anhand von winzigen Bissspuren stellte er fest, dass nur eine Ratte an dem Rohr genagt hatte.

Reckel hatte nie daran gedacht, Karriere bei der Polizei zu machen. Er wusste gar nicht, dass Zoologen wie er bei der Polizei gebraucht werden. Er arbeitete an der Universität und untersuchte die Netzhaut von Fischen, aber irgendwann wollte er sich nicht mehr von befristetem Vertrag zu befristetem Vertrag hangeln. Also hielt er Ausschau nach einem solideren Job - und war selbst überrascht, als er ihn beim Landeskriminalamt fand. Nun macht es ihm großen Spaß, seinen Forscherdrang mit der Arbeit an Spuren von Tatorten zu befriedigen. Auch wenn diese Arbeit langwierig und kleinteilig sein kann. "Untersuchungen dauern manchmal ziemlich lange, das ist hier nicht wie im Film", sagt der 44-Jährige.

Forschungen für den nächsten Leichenfund

Analysiert er beispielsweise menschliche Haarproben, braucht er schon mal mehrere Wochen, bis er zu einem Ergebnis kommt. Manche Projekte sind gar auf Jahre angelegt: In Reckels Büro stapeln sich auf einem Tisch in der Ecke zahlreiche Eisboxen, in denen er verschiedene Insekten lagert. Im Botanischen Garten und an einem Gelände an der Ackermannstraße hatte er mit Kollegen im Jahr 2008 Schweinefleisch ausgelegt und dann geschaut, welche Insektenarten sich einnisten. "Damit wir einen Überblick bekommen, was bei uns in München so alles vorkommt." Und damit er dieses Wissen dann anwenden kann, beim nächsten Leichenfund.

Solche Untersuchungen machen ihm Spaß, genauso wie der Fall, als er eine ganze Box mit Knochen und Elfenbein ins Büro geschickt bekommen hat. Reckel sollte überprüfen, ob der Sammler, dem die Teile gehörten, gegen das Washingtoner Artenschutzübereinkommen verstoßen hatte. Er musste also herausfinden, ob das Elfenbein von einem Elefanten stammt, was verboten ist. Oder von einem Mammut, was keinen Beschränkungen unterliegt. Am Mikroskop entdeckte Reckel kleine Linien auf dem Material, die in einem Zickzackmuster verlaufen. Diese Schreger'schen Linien verlaufen beim Mammut ungefähr in einem 90-Grad-Winkel. Beim Elefanten dagegen beträgt der Winkel mehr als 115 Grad. Der Sammler, stellte Reckel fest, hatte Elfenbein sowohl vom Mammut, als auch von einem Elefanten. Der Zoologe in Reckel hatte an dieser Untersuchung wieder besonders viel Spaß.

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