Amoklauf von Winnenden:"Das können wir niemals kontrollieren"

Personalmangel und Durchsuchungshürden: Warum die Stadt München Vorschläge für schärfere Überprüfungen von Waffenbesitzern für unrealistisch hält.

Ph. Schneider

Der junge Amokschütze von Winnenden musste nicht lange suchen. Die Beretta 92 lag griffbereit im Schlafzimmer seines Vaters. Auch die Munition, die er aus dem Tresor nahm, war nicht gesichert. Er kannte aber ohnehin auch die Zahlenkombination für den Safe. Seit dem Amoklauf von vergangener Woche, als der Jugendliche 15 Menschen und sich selbst erschoss, beschäftigt die Politiker die Frage: Hätte die Tat verhindert werden können, wenn Tim Kretschmer keinen so einfachen Zugang zu den Schusswaffen seines Vaters gehabt hätte?

Amoklauf von Winnenden: n der Waffenkammer des Landeskriminalamts lagern mehr als 2000 Gewehre, die nach Straftaten oder bei Durchsuchungen sichergestellt wurden.

n der Waffenkammer des Landeskriminalamts lagern mehr als 2000 Gewehre, die nach Straftaten oder bei Durchsuchungen sichergestellt wurden.

(Foto: Foto: ales)

Bundeskanzlerin Angela Merkel fordert die Verschärfung des Waffengesetzes: Es müsse künftig unangemeldete und spontane Kontrollen bei Deutschlands Waffenbesitzern geben; es sind mehr als zwei Millionen, in der Masse Mitglieder von Schützenvereinen, und sie sollen nach zurückhaltenden Schätzungen mindestens zehn Millionen Schusswaffen horten - ganz legal.

Horst Reif wäre dann derjenige, der als Leiter des Ordnungsamtes München für die Kontrolle von rund 80.000 Waffen in etwa 20.000 Haushalten im Stadtgebiet zuständig wäre.

Die genauen Zahlen kann Reif nicht nennen. "Es sind alles bloß Schätzungen. Wir haben auch kein EDV-System, in dem ich kurz nachschauen könnte", sagt Reif. Der Landkreis München ist besser sortiert, er hat exakt 43.400 Waffen von 15.500 Inhabern registriert.

Nicht einmal zehn Prozent davon sind Jäger, relativ gering ist auch die Zahl der Begleiter von Werttransporten oder jener Menschen, die ihre Waffen zum Selbstschutz tragen dürfen. Das heißt: Die Mehrheit der Besitzer stammt aus den Schützenvereinen, deren Mitglieder ab einer gewissen Zeit und Trainingsstufe private Waffen erwerben dürfen.

Spricht man Horst Reif auf die Pläne der Bundeskanzlerin an, dann lacht er erst einmal sarkastisch: "Man kann ja vieles beschließen, wenn der nötige politische Wille vorhanden ist", sagt Reif. "Aber falls die wirklich wollen, dass ich alle 80.000 Waffen in München regelmäßig überprüfe, dann brauche ich dafür auch mehr Personal. Und zwar massiv. Jetzt könnten wir das niemals umsetzen."

Es fehlt das Personal. Aber damit beginnen die Probleme erst. Das bestehende Waffengesetz gilt ja bereits jetzt als eines der striktesten der Welt. Im Gesetzestext heißt es: "Wohnräume dürfen gegen den Willen des Inhabers nur zur Verhütung dringender Gefahren für die öffentliche Sicherheit betreten werden."

Müssen die Männer vom Ordnungsamt in die Wohnung gelassen werden?

Dafür muss es klare Indizien geben, Horst Reif kennt diese Fälle. Es sind nicht viele. Nur acht Mal rückte das Ordnungsamt im Jahr 2008 aus - seine Leute überprüften also ein Zehntausendstel aller Münchner Waffen.

Einmal hatte ein Waffenbesitzer konkrete Selbstmordabsichten geäußert - das Ordnungsamt erfuhr davon und stellte die Waffe sicher. Ein andermal wurde bekannt, dass ein Mann seine Pistolen zum Freizeitspaß an Jugendliche auslieh - auch diese Waffe wurde konfisziert. Gegen den Vater von Tim K. in Winnenden lag kein ähnlicher Verdacht vor. Niemand wäre auf die Idee gekommen, seinen Waffentresor zu überprüfen.

Dann stehen der geplanten Gesetzesverschärfung vor allem verfassungsrechtliche Bedenken entgegen. Artikel 13 des Grundgesetzes weist auch die Wohnungen von Waffenbesitzern als "unverletzlich" aus. Der nachlässige Waffenbesitzer, der die Beretta in der Nachttischschublade aufbewahrt, muss die Männer vom Ordnungsamt nicht einmal hineinlassen.

Kommen sie mit der Polizei zurück, kann er die Pistole längst, wie vorgeschrieben, getrennt von der Munition im Safe gebunkert haben. Hausdurchsuchungen wiederum müssen von Richtern angeordnet werden, es sei denn, es besteht "Gefahr in Verzug". Aber dazu müsste jemand von einer Gefahr wissen.

"Das neue Gesetz müsste ganz sauber definiert werden, ich kann mir gerade bloß nicht vorstellen, wie das möglich sein sollte", sagt Reif ironisch. Abgeneigt ist er nicht, er hält die geplanten Überprüfungen derzeit bloß für illusorisch: "Aber klar, wenn ich genug Personal bekomme und das rechtlich geklärt ist, dann klingeln wir auch regelmäßig an den Türen von allen 20.000 Haushalten, auch wenn da gerade ein Kindergeburtstag stattfindet."

Der Amoklauf von Winnenden, das glaubt auch Reif, hätte damit trotzdem kaum verhindert werden können. Menschen machen Fehler. Sie vergessen Schränke abzuschließen, oder sie lassen Waffen offen liegen, weil sie darauf vertrauen, dass ihre Kinder schon keine Dummheiten anstellen werden. Und der Amokschütze von Winnenden hätte Kontrolleuren des Ordnungsamtes wohl kaum verraten, dass er jederzeit den Waffensafe seines Vaters öffnen konnte.

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