Amoklauf in München:"Tut mir leid, er ist gestorben, bitte unterschreiben Sie hier."

Waffenhändler vor Gericht

Der Angeklagte Philipp K. verbirgt sein Gesicht hinter einer Akte.

(Foto: Sven Hoppe/Dpa)

Im Waffenhändler-Prozess sagt erstmals ein Vater über den Tod seines Sohns aus.

Von Susi Wimmer

Es ist das erste Mal, dass sich ein Angehöriger der Opfer des Amoklaufs am Olympia-Einkaufszentrum (OEZ) vom Juli 2016 im Gerichtssaal zu Wort meldet. Hasan L. erzählt von dem Tag, an dem er seinen Sohn verloren hat, von den letzten fünf Minuten, die er mit ihm verbracht hat, bevor der 14-Jährige erschossen wurde.

Der Vater erzählt von einer grauenvollen Nacht des Wartens und der Ungewissheit, davon, wie er und seine Frau von den Behörden "im Stich gelassen wurden". Und der Vater schafft es, Philipp K., dem Waffenhändler des Täters, in die Augen zu schauen und ihm entgegenzuschleudern, dass er nicht nur die Opfer, sondern auch ihre Familien umgebracht habe. "Wir leben nicht mehr, wir atmen nur noch", ruft er. Philipp K. stiert weiter teilnahmslos durch die Gegend. Keine Reaktion, kein Wort der Reue, geschweige denn der Entschuldigung.

"Schnell, lauf, Can ist dort."

Seit dem 28. August läuft vor dem Landgericht München I der Prozess gegen den Waffenhändler des Amokschützen. Der aus Marburg stammende Angeklagte Philipp K. war im Darknet als Waffenhändler bekannt, er traf sich zweimal mit dem späteren Attentäter und verkaufte ihm eine Glock 17 und Munition. Die Opferfamilien der neun toten Jugendlichen treten als Nebenkläger in dem Prozess auf und sind durch ihre Rechtsanwälte vertreten. Eine persönliche Teilnahme an dem Prozess ist den meisten von ihnen überhaupt nicht möglich, viele kommen bis heute nicht einmal ansatzweise über den Verlust ihres Kindes hinweg.

Hasan L. aber will an diesem Mittwochnachmittag vor Gericht aussagen. Can, sagt er, sei ein so fröhlicher und netter Junge gewesen. "Er war verrückt nach Sport", sagt der Vater. Can trainierte an der Fußballschule in Unterhaching "und er wollte Profisportler werden". In der Woche des 22. Juli 2016, berichtet der Vater weiter, habe er Spätschicht gehabt von 15 bis 24 Uhr. Er habe seinen Sohn deshalb die ganze Woche nicht gesehen. Nur am Freitag, dem 22. Für fünf Minuten. "Wir haben uns begrüßt und uns kurz unterhalten", erzählt Hasan L. Weil beide wussten, sie würden sich am Abend sowieso noch sehen: Es war der 25. Hochzeitstag des Ehepaares L. "Ich wollte die Schicht früher verlassen und gemeinsam mit der Familie Essen gehen."

Doch es kam anders. Um 18 Uhr habe ihn seine Frau bei der Arbeit angerufen und geschrien: "Schnell, lauf, Can ist dort." Mit dort meinte sie das OEZ. Zu diesem Zeitpunkt verbreiteten sich erste Nachrichten über einen Anschlag über öffentliche und soziale Netzwerke. "Ich versuchte verzweifelt, meinen Sohn zu finden, aber ich kam nur bis zur Allguth-Tankstelle. Dort war eine Absperrung." Drei Stunden warteten er und seine Frau, dann wurden sie mit einem Sammelbus in eine Halle nahe dem Einkaufszentrum gebracht. "Wir mussten Kärtchen ausfüllen, aber erhielten bis 23 Uhr keine Auskünfte." Er erfuhr von einer Hotline, rief dort an. "Man sagte mir, Can sei nicht unter den Toten und auch nicht auf der Verletztenliste", erzählt er.

"Wir sind alle zerstört. Wegen deiner 4000 Euro, die du verdient hast."

Um 4 Uhr früh schließlich seien zwei Beamte aufgetaucht. "Sind das seine Sachen", hätten sie gefragt. Und als die Eltern nickten, sei die Antwort gekommen: "Tut mir leid, er ist gestorben, bitte unterschreiben Sie hier." Dann hätten sich die Männer umgedreht und seien gefahren. "Die haben uns um 4 Uhr früh einfach so da stehengelassen. Wir wussten nicht einmal, wie wir heimkommen sollten." Mit einer Handbewegung schleudert er dem Mann auf der Anklagebank die Worte entgegen: "Wir sind alle zerstört. Wegen deiner 4000 Euro, die du verdient hast."

Philipp K. steht wegen fahrlässiger Tötung in neun Fällen vor Gericht und wegen Waffenhandels. Die Nebenkläger sind der Meinung, dass Philipp K. sehr wohl wusste, was David S. mit der Waffe vorhatte. Bei der Übergabe etwa soll der 18-Jährige gesagt haben, er wolle damit "noch ein paar Kanaken abknallen". Am Ende der Verhandlung ließ Richter Frank Zimmer durchblicken, dass das Gericht den Waffenverkauf derzeit nicht als Beihilfe zum Mord werte.

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