Amoklauf:Gefangen in zwei Welten

  • Die technischen Daten aus PC und Handy des Münchner Amokläufers werden derzeit ausgewertet.
  • Offenbar war David S. im Internet sehr aktiv und gut vernetzt.
  • Im realen Leben hingegen hatte er mehrfach Probleme mit Mobbing.

Von Martin Bernstein und Susi Wimmer

Während der 16-jährige mutmaßliche Mitwisser des Amokschützen David S. auch am Dienstag noch auf freiem Fuß war, arbeiten Landeskriminalamt (LKA) und Polizeipräsidium daran, die fehlenden Puzzleteile bei der Rekonstruktion der Bluttat zu finden und zusammenzusetzen.

Die Spurensuche verlagert sich mehr und mehr in die Welt der Internetplattformen, auf denen S. und sein 16-jähriger Bekannter offenbar einen Großteil ihrer Freizeit verbrachten. "Es ist ein unglaublicher Datenwust", sagte LKA-Sprecher Ludwig Waldinger am Dienstag. Dabei kommen der Polizei auch immer wieder Falschmeldungen und Trittbrettfahrer in die Quere. In bereits vier Fällen hat das, wie aus Polizeikreisen zu erfahren war, ernste Folgen für solche Trittbrettfahrer.

Der Urheber eines Drohbriefs gegen eine Münchner Firma und der Verfasser eines gewaltverherrlichenden und drohenden Facebook-Eintrags sollen dem Vernehmen nach vorläufig festgenommen worden sein, ebenso ein Mann, der vor Bundespolizisten das Ziehen einer Waffe simuliert hatte, und ein anderer, der mit einer ungeladenen Pistole vor Passanten herumgefuchtelt haben soll. Zudem tauchen im Internet immer wieder fingierte Einladungen auf - ähnlich der, mit der der Amokläufer am Freitag versucht hatte, viele Freunde zum Tatort, dem McDonald's-Restaurant, zu locken.

Im Internet hofft die Kriminalpolizei auch weitere Hinweise auf die Rolle des 16-Jährigen zu bekommen, mit dem sich der Amokschütze noch knapp zwei Stunden vor der Tat am McDonald's getroffen hat. Die beiden hatten sich im vergangenen Jahr in der Psychiatrie kennengelernt und seither ihre Sucht nach dem Ego-Shooter-Spiel Counter Strike und ihre Amok-Fantasien geteilt. Der 16-Jährige hatte gewusst, dass S. eine scharfe Waffe besitzt, und wohl auch, dass er sie am Freitag dabei hatte. Trotzdem will er nach dem Treffen mit S. einfach nach Hause gegangen sein.

David S. soll ziemlich gemobbt worden sein

Am Dienstag wurden Spekulationen laut, wonach der 16-Jährige mit dem Video zu tun haben könnte, das zeigt, wie David S. nach den ersten fünf Morden aus dem McDonald's kommt und auf flüchtende Jugendliche schießt. Tatsächlich stand die Person, die das Video aufnahm, ein gutes Stück vom Geschehen entfernt und filmte bereits, als S. aus dem Schnellrestaurant herauskam.

Wer sie war, wissen die Ermittler noch nicht. Die Polizei teilte jedoch mit, derzeit gebe es keine Erkenntnisse, dass der 16-Jährige der Urheber gewesen sei. Ihn hatte ein Ermittlungsrichter am Montag wieder laufen gelassen. Die Staatsanwaltschaft hat dagegen Beschwerde eingelegt, über sie ist noch nicht entschieden.

Ein Ermittlungsansatz für die Polizei ist der Facebook-Account, den sich David S. unter falschem Namen im Mai zugelegt hatte. Darüber generierte er Freunde und lud sie für Freitag zum "Meggi" ein. Ob er diese Personen direkt über den Messenger angeschrieben hat, konnte LKA-Sprecher Waldinger am Dienstag nicht sagen.

Die Ermittler wüssten auch noch nicht, ob unter den Opfern auch jene Facebook-Freunde waren - ob sich also der 18-Jährige Opfer ausgesucht und an die Hanauer Straße bestellt hatte. Ein Jugendlicher allerdings schreibt im Netz, dass ihn David S., sein ehemals bester Freund, unter seinem richtigen Namen für Freitag ins Schnellrestaurant eingeladen habe mit der Ankündigung, dass er alle töten werde.

Gefesselt, verprügelt, auf Kleidung uriniert

Da solche Redensarten bei David S. aber, so der ehemalige Freund, alltäglich gewesen seien, habe er das nicht ernst genommen. Das LKA, bestätigt Waldinger, habe mit dem ehemaligen Freund bereits gesprochen.

Er berichtet in dem Post auch, dass der 18-jährige David S. seit Jahren von seinen Mitschülern aufs Übelste gemobbt worden sei. Auch eine Bekannte einer Mutter einer Mitschülerin berichtet, dass der leicht hinkende und linkisch wirkende David S. von Mitschülern "gequält" worden sei. Man habe ihn gefesselt und geschminkt, während des Sportunterrichts auf seine Privatklamotten uriniert, ihn verprügelt und beleidigt.

Zweimal soll David S. die Polizei zu Hilfe gerufen haben. 2010, da war er zwölf Jahre alt, zeigte er einen Diebstahl an, der aber nicht aufgeklärt werden konnte. 2012 meldete er bei der Polizei, dass er von drei Burschen verprügelt worden sei. Damals, so sagt Staatsanwalt Florian Weinzierl, habe man sich um einen Ausgleich bemüht und die Beteiligten zum Reden an einen Tisch gebracht.

Nach wie vor versucht die Polizei auch herauszufinden, wo sich David S. am Freitagabend nach den Schüssen am OEZ zwei Stunden lang aufgehalten hatte. Die ersten Schüsse waren um 17.52 Uhr im Schnellrestaurant an der Hanauer Straße gefallen, David S. erschoss neun Menschen. Gegen 18.15 Uhr lieferte er sich einen wütenden Dialog mit einem Anwohner, dann verschwand er.

Erst um 20.30 Uhr stellten ihn Zivilfahnder an der Henckystraße. Hier hielt sich David S. die Waffe an den Kopf und erschoss sich. Was ist in den zwei Stunden passiert, wo hielt sich David S. auf? "Die Antworten auf die Fragen sind für uns enorm wichtig", sagt Waldinger. Die Polizei werte Videos aus, nutze alle technischen Mittel - und befrage natürlich auch alle Anwohner.

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