Ambulanz für Sexualstraftäter:"Man sitzt dem Täter nicht ohne Gefühle gegenüber"

Der Psychologe Markus G. Feil erzählt, warum Sexualstraftäter unbedingt eine Therapie brauchen - und wie er mit seinem schwierigen Beruf umgeht.

Lara Doktor

Bayerns erste psychotherapeutische Fachambulanz für Sexualstraftäter hat in München ihre Arbeit aufgenommen. Etwa 60 bis 70 Klienten werden dort betreut. Der Psychotherapeut Markus G. Feil leitet sie.

Ambulanz für Sexualstraftäter: Markus G. Feil ist Psychotherapeut und hat sich auf die Behandlung von Sexualstraftätern spezialisiert.

Markus G. Feil ist Psychotherapeut und hat sich auf die Behandlung von Sexualstraftätern spezialisiert.

(Foto: Foto: IM/Kurt Bauer)

sueddeutsche.de: Das Ziel der Therapie in der Fachambulanz ist es, die Täter wieder in die Gesellschaft einzugliedern. Wie soll das passieren?

Markus G. Feil: Wir wollen das Risiko mindern, dass der Täter wieder straffällig wird. Nehmen wir zum Beispiel eine typische Inzestkonstellation. Meist gibt es Konflikte bei den Eltern, die der Mann sich nicht mit seiner Partnerin auszutragen traut. Der Mann weicht aus und etabliert die Tochter als Sexualpartnerin. Wenn Sie diesen Täter konfliktfähiger machen gegenüber der gleichaltrigen Partnerin, sinkt die Wahrscheinlichkeit ganz entscheidend, dass dieser Mann sich noch einmal an der Tochter oder an einem anderen Mädchen vergreift.

sueddeutsche.de: Und wenn er grundsätzlich pädophil veranlagt ist?

Feil: Dann muss man den Patienten ganz anders behandeln. Sie müssen ihm beispielsweise klarmachen, was er da bei seinen Opfern angerichtet hat. Er muss begreifen, dass er diese Ausrichtung hat, dass er sie aber auf gar keinen Fall in die Tat umsetzen darf.

sueddeutsche.de: Merken die Pädophilen nicht, was sie mit ihrer Tat anrichten?

Feil: Man findet hier häufig Missbrauchserfahrungen in der eigenen Biographie. Da passt der Spruch "Aus Opfern werden Täter". Die Täter wissen, was sie tun, weil sie es am eigenen Leibe erfahren haben. Aber sie tun es paradoxerweise gerade deswegen. Unsere Aufgabe ist es auch, die eigenen Erfahrungen als Opfer in der Vergangenheit aufzuarbeiten.

sueddeutsche.de: Haben die Täter ein Unrechtsbewusstsein?

Feil: Es ist ein Teil der Behandlung, ihnen ein Gefühl dafür zu vermitteln, wer sie sind und wie sie sind. Sie müssen anfangen, sich mit anderen Menschen zu vergleichen. Pädophile wissen, dass das, was sie tun, gesetzeswidrig ist. Das schreckt die Täter aber nicht ab. Sehr weit verallgemeinert trifft dieser psychische Vorgang auch auf Raucher zu. Die wissen ja auch, dass Rauchen schädlich ist - und machen es trotzdem.

sueddeutsche.de: Kann man ein typisches Bild von einem Sexualstraftäter zeichnen?

Feil: Der typische Sexualstraftäter ist mit soziologischen Merkmalen nicht zu greifen. Armut oder Arbeitslosigkeit beispielsweise sind nicht ausschlaggebend; es gibt auch Lehrer oder Akademiker in dieser Tätergruppe. Es geht durch alle Berufe, alle Gesellschaftsschichten.

"Man sitzt dem Täter nicht ohne Gefühle gegenüber"

sueddeutsche.de: Wird man zu einem Sexualstraftäter geboren?

Feil: Es gibt viele Untersuchungen derzeit, die darzustellen versuchen, dass das Täterprofil angeboren ist. Ich glaube aber, es ist eine Mischung. Der Anteil der Lebenserfahrung an der Charakterentwicklung und der Neigung hat meiner Meinung nach auch einen hohen Anteil.

sueddeutsche.de: Können die Täter zu einem normalen Verhalten zurückfinden?

Feil: Das kann ich so pauschal nicht sagen. Stellen Sie sich vor, Sie sind heterosexuell und morgen sagt Ihnen jemand, Sie dürfen jetzt nicht mehr heterosexuell sein. Das kann man so sicher nicht erreichen. Was wir in der Therapie bei vielen Tätern erreichen können, ist, dass sie ihre Neigung nur noch in ihrer Phantasie leben, aber nicht mehr in die Tat umsetzen.

sueddeutsche.de: Ist es für Sie nachvollziehbar, dass Therapeuten nicht gerne Sexualstraftäter betreuen?

Feil: Man braucht spezielles Wissen und Vorerfahrung, um Sexualstraftäter behandeln zu können. Zum anderen ist es natürlich so, dass Therapeuten auf einen guten Ruf angewiesen sind - den man schnell verlieren kann. Auch der Umgang mit der Schweigepflicht ist kompliziert geregelt, wenn man mit Straftätern arbeitet. Die Therapeuten haben auch deshalb eine hohe Verantwortung zu tragen, weil immer Rückfälle passieren können. Das muss man mit sich selbst verantworten können.

sueddeutsche.de: Was hat Sie persönlich an dem Thema gereizt?

Feil: Ich habe mich im Laufe meines Studiums mit Sexualwissenschaften beschäftigt. Und da lernt man, dass Sexualität ein sehr weites Feld ist. Normale und abnormale Sexualität sind oft Übergangsbereiche. Und irgendwann habe ich angefangen, mich für die Extreme zu interessieren. Natürlich sitzt man dem Straftäter nicht ohne Gefühle gegenüber. Es kommt darauf an, damit professionell umzugehen.

sueddeutsche.de: Wie wird Ihre Arbeit in Ihrem persönlichen Umfeld wahrgenommen?

Feil: Mein Bekanntenkreis weiß, was ich mache; die akzeptieren das als meinen Beruf in einem schwierigen Umfeld.

sueddeutsche.de: Wie verarbeiten Sie die Probleme, die Ihr Beruf mit sich bringt?

Feil: Ich brauche den Austausch mit meinen Fachkollegen im Rahmen von regelmäßigen Fallbesprechungen, Supervision und wissenschaftlichen Diskussionen. Da betreibe ich meine Psychohygiene für meine berufliche Tätigkeit.

sueddeutsche.de: Wie werden Sexualstraftaten in der Öffentlichkeit wahrgenommen?

Feil: Die vermutete Zahl der Sexualstraftaten ist sehr viel höher als die tatsächliche Zahl. In den Statistiken ist seit Jahren eine Abnahme von schweren Sexualstraftaten zu verzeichnen. Viele glauben aber aufgrund einseitiger Medienberichterstattung, dass die Zahl dieser Delikte erheblich zugenommen hat. Auch die Zahl der Wiederholungstäter wird überschätzt. In der Presse wird immer nur berichtet, wenn etwas schiefläuft, aber nicht, dass es in der weitaus höheren Zahl gut läuft, dass die Täter nicht rückfällig werden. Es hat ja nicht eben erst angefangen, dass man sich um die Täter kümmert, sondern die Behandlung wird immer mehr ausgebaut - und nun auch finanziert.

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