Amalienstraße:Politiker, Komiker und ein Widerstandskämpfer

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Verruchte Kneipen, berühmte Literaten und mutige Widerstandskämpfer: Die bewegte Vergangenheit der Amalienstraße kennt kaum ein Münchner.

Lisa Sonnabend

Auf der Fensterbank stehen Topfpflanzen, der Boden ist mit braunem Teppich ausgelegt. Das Haus in der Amalienstraße 25 ist ein Mittelklassehotel - und so wirkt es auch. Nichts deutet mehr darauf hin, dass an diesem Ort in den zwanziger Jahren bekannte Künstler und Literaten ein- und ausgingen.

Der Widerstandskämpfer Walter Klingenbeck lebte in der Amalienstraße 44. (Foto: Foto: sde/SZ)

Es ging anders zu damals, als hier noch das Café Stefanie stand, als hier die Gäste nächtelang diskutierten und tranken, als Revolutionäre sich Umsturzpläne ausdachten, als die Münchner erste Erfahrungen mit Kokain machten und als die "Elf Scharfrichter" hier ihr berühmtes Kabarett gründeten. Das Café Stefanie, das auch Café Größenwahn genannt wurde, war mindestens genauso berühmt wie der Simpl von Kathi Kobus in der parallelen Türkenstraße, bis die Kneipe in der Amalienstraße 1943 von einer Bombe zerstört wurde.

Heute erinnert kein Schild mehr an den legendären Ort, nur wenige kennen die Geschichte und Geschichten, die sich hinter der Amalienstraße 25, aber auch den anderen Hausnummern, verbergen. Die Geschichtsschreibung ist eben nicht immer gerecht. So ging Schwabing als Hort des kulturellen Lebens in die Annalen ein, obwohl sich die Schwabinger Bohème und die 68er weitgehend in den Lokalen der Maxvorstadt aufhielten. Und hier wiederum nicht nur im legendären Simpl in der Türkenstraße, sondern auch in Lokalen in der Amalienstraße: dem "Café Stefanie" - oder auch der "Witwe Bolte" mit der Hausnummer 87.

In den sechziger Jahren begann Münchens bekanntester Regisseur Rainer Werner Fassbinder in dem Hinterzimmer der "Witwe Bolte" seine Karriere. Sein "antitheater" sollte die "absolute Alternative sein zum normalen Schauspielbetrieb". Und das wurde es auch. Die Gruppe war wie eine Kommune hierarchiefrei organisiert, die Stücke waren provokant, die Texte enthielten obszöne Wörter, die Kasse klingelte.

Doch Fassbinder beanspruchte für sich nach und nach die Leitung der Gruppe, finanzierte mit dem Gewinn des Theaters seine Filmprojekte und verbrachte kaum noch Zeit in der "Witwe Bolte". Die Schauspieler des "antitheaters" bekamen in Fassbinders Filmen höchstens noch kleine Nebenrollen. 1972 wurde die "Witwe Bolte" abgerissen - sie musste der Amalienpassage weichen.

Seit 1808 verläuft die Amalienstraße parallel zu Ludwigs- und Türkenstraße. Erst hieß sie Freudenstraße, 1812 wurde sie dann nach der bayerischen Prinzessin Amalie Auguste benannt. Rund 900 Meter ist die Amalienstraße lang. Heute machen kleine Cafés, Restaurants und die zahlreichen Antiquariate das Lebensgefühl aus. Dominiert wird die Straße von der Ludwig-Maximilians-Universität und ihren Studenten.

Dabei war das Verhältnis der Bewohner zur Universität nicht immer ungetrübt. Als in den siebziger Jahren der Ausbau der Universität beschlossen wurde, sollten zahlreiche Mieter ihre Wohnungen verlassen. Die Bewohner gründeten die "Aktion Maxvorstadt", hängten Plakate mit der Aufschrift "Wir wehren uns" an die Fenster und brachten die Medien auf ihre Seite: Doch sie hatten wenig Erfolg und mussten die Häuser räumen.

Amalienstraße
:Politiker, Komiker und ein Widerstandskämpfer

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Lisa Sonnabend

Das Wohnviertel um die Amalienstraße wurde mehr und mehr zu einem Verwaltungs- und Universitätsviertel. Die Einwohnerzahl des Stadtteils schrumpfte damals von 18.000 auf 11.000. Der Komiker Gerhard Polt hat den Häuserkampf der Maxvorstädter in einem Hörspiel verarbeitet: Der "Herr Dachs aus der Amalienstraße" versucht darin, sein Café gegen die Uni zu verteidigen. Erfolglos. Polt lebte damals im Haus Nummer 79.

Überhaupt war die Amalienstraße Heimat vieler berühmter Personen. Der Dramatiker Henrik Ibsen lebte in der Amalienstraße 53, der Maler Paul Klee soll in der Hausnummer 45 gewohnt haben und der Kunstsammler und Schriftsteller Lothar Günther Buchheim residierte in der Nummer 73. Der spätere bayerische Ministerpräsident Franz Josef Strauß ging in der Amalienstraße 36 zur Schule und hinter der Nummer 23 eröffnete 1955 der allererste Wienerwald, in dem Schauspieler Hans Clarin sich oft ein Hendl bestellte.

Heinrich Himmler, Reichsführer während der NS-Zeit, wuchs in der Hausnummer 16 auf - zur gleichen Zeit lebte im selben Haus auch der Dramatiker Franz Wedekind. Willi Graf, Mitglied der Widerstandsgruppe Weiße Rose, hauste in einem kleinen Zimmer in der Nummer 95.

"Ich weiß, wofür ich sterbe"

Bereits eineinhalb Jahre vor Graf kämpfte Walter Klingenbeck in der Amalienstraße gegen die Nazis. Der Schalttechnik-Lehrling traf sich anfangs mit Verbündeten, um unerlaubt ausländische Radiosender abzuhören. Später konstruierte er einen Geheimsender, mit dem er und seine Gruppe anti-nationalistische Beiträge weiterverbreiteten wollten. Ein Senderstandort war die Wohnung von Klingenbecks Eltern in der Amalienstraße 44. Dort kam es zu ersten Probesendungen.

Doch 1941 malte Klingenbeck eines Nachts Victory-Zeichen an Gebäude in Bogenhausen. Unvorsichtig erzählte er von dieser Aktion - und wurde prompt denunziert. Am 5. August 1943 wurde Klingenbeck in Stadelheim im Alter von nur 19 Jahren hingerichtet. "Nimm die ganze Sache nicht tragisch", schrieb Klingenbeck am Tag seines Todes einem Freund. "Ich weiß, wofür ich sterbe."

Heute ist die Realschule in Taufkirchen nach Klingenbeck benannt, ebenso wie seit 1998 ein kleiner Weg zwischen Ludwig- und Kaulbachstraße. Doch lange wurde dem Widerstandskämpfer Klingenbeck kaum gedacht, er blieb ein Unbekannter. Dazu passt es ins Bild, dass er in der Amalienstraße lebte - der Straße, deren Geschichte kaum ein Münchner kennt.

Weitere Informationen über die Amalienstraße und ihre Vergangenheit: "Amalienstraße - von Häusern und Menschen", Dokumentation von Sepp Hödl, Bezirksausschuss Maxvorstadt München, 2007, Telefon: 089/22802673.

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