Altstadt:Emotionaler Abschied vom Ruffinihaus

Altstadt: Gustavo Hinojosa muss Holzschnitzereien einpacken.

Gustavo Hinojosa muss Holzschnitzereien einpacken.

(Foto: Robert Haas)

Jahrzehntelang wurde hier nicht Alltägliches verkauft, jetzt wird es eineinhalb Jahre lang renoviert. Nicht alle Händler, die nun ausziehen müssen, werden zurückkommen.

Von Pia Ratzesberger

Eugen Hillenbrand hat nachgerechnet. Er wird 400 Bananenkisten brauchen. Er geht nach hinten, zu den Büchern, entlang der Bücher, sie stapeln sich am Boden, in den Regalen, auf der Treppe. Dann die schmalen Stufen hinauf, in den ersten Stock, Blick über die Regale. Um die 16 000 Bücher müssten es jetzt sein, ungefähr 40 passen in einen Karton. Er wird also 400 Bananenkisten brauchen, wenn er Ende des Jahres aus seinem Laden auszieht. "Da kommen schon Emotionen hoch." Er kneift die Augen zusammen. "Wir waren schon ein bisschen. . ." Hillenbrand räuspert sich. Er spricht langsam, als würde er bei jedem Wort überlegen, ob es auch wirklich das passende ist. "Wir waren schon ein bisschen institutionell."

Eugen Hillenbrand ist jetzt 78 Jahre alt und nicht nur sein antiquarischer Buchladen "Shakespeare & Co" ist zu einer Institution am Rindermarkt geworden in all den Jahren, sondern das ganze Haus. Das Ruffinihaus. In den umliegenden Straßen werben die Geschäfte, die man in vielen deutschen Innenstädten findet. H&M, Esprit, Abercrombie and Fitch, Zara, Douglas. Am Rindermarkt aber gibt es noch ein Perückengeschäft. Einen Fotoladen. Ein Fruchthaus. Ein Geschäft mit Holzschnitzereien und eben den Buchladen von Eugen Hillenbrand.

Das Ruffinihaus gehört der Stadt und so zahlen die kleinen Händler hier niedrigere Mieten, der Quadratmeter kostet in dieser Gegend ansonsten schon einmal mehrere hundert Euro. Es ist einer der letzten Orte in der Innenstadt, den noch nicht die Konzerne übernommen haben. Zum Ende des Jahres aber müssen Hillenbrand und die anderen ausziehen, sie werden ihre Lager räumen, die Einbauschränke rausreißen. Die Türen zusperren, zumindest für die nächsten 18 Monate. Erbaut in den Jahren 1903 bis 1905 wird das Haus nun kernsaniert.

Der Architekt Gabriel von Seidl hat das Ruffinihaus damals geplant, mit dem Namen bezeichnet man eigentlich eine Gruppe von drei Häusern, benannt nach dem Salzkaufmann Johann Baptista Ruffini. In den vergangenen Jahren befanden sich in den oberen Etagen die Büros der Stadtverwaltung, im Erdgeschoss die Läden von Hillenbrand und den anderen. Vor drei Jahren wurde bekannt, dass saniert werden muss. Dann fand man auch noch Asbest, die Bauzeit verlängerte sich, die Kosten stiegen, von um die 1,2 Millionen Euro auf etwa 35 Millionen Euro. Termin für den Wiedereinzug: August 2019. In eineinhalb Jahren.

Hillenbrand tritt auf die Straße, deutet hinüber zum Stadtmuseum. Dort, am Sankt-Jakobs-Platz, wird er in dieser Zeit seinen Laden haben. Er und sechs andere Händler ziehen in ein Zwischenquartier um, ebenfalls von der Stadt vermietet, 21 Händler sind sie im Ruffinihaus. Mehr als sieben Geschäfte aber habe man nicht anbieten können, heißt es beim Kommunalreferat, man habe allen Händlern eine Alternative vorgeschlagen, die auf diesen einen Laden angewiesen seien. Manche führten ohnehin einen zweiten, andere hätten von sich aus gesagt, sie wollten in den Monaten zumachen, zum Beispiel das Café Segafredo. Wieder andere suchen sich für die Zeit einen neuen Job.

Altstadt: Erbaut in den Jahren 1903 bis 1905 wird das Ruffini-Haus nun kernsaniert.

Erbaut in den Jahren 1903 bis 1905 wird das Ruffini-Haus nun kernsaniert.

(Foto: , Fotos: Robert Haas)

Auf einem der Schaufenster im Ruffinihaus stand bisher "Moriskentänzer Spezialität". Jetzt steht dort: "Räumungsverkauf". Im Laden wartet Gustavo Hinojosa auf Kundschaft, er will so viel wie möglich loswerden. Er hat das Geschäft vor zwei Jahren übernommen, verkauft die traditionellen Moriskentänzer. Figuren mit goldenen Gewändern und spitzen Schuhen, deren Name von den maurischen Springtänzen herrühren soll, die früher an den Höfen aufgeführt wurden. Die Originale stehen im Münchner Stadtmuseum, im Jahr 1480 von Erasmus Grasser geschnitzt. Die großen Figuren kosten mehr als 1000 Euro und so bräuchte Gustavo Hinojosa in seinem neuen Laden also wieder spezielle Schaufenster, extra gesichert. "Zu teuer."

Nicht alle Händler werden zurückkehren

Im Gegensatz zu den anderen wird Gustavo Hinojosa nicht rüber zum Stadtmuseum ziehen, er wird das Geschäft ausräumen und seinen alten Job wieder antreten, als Verkäufer bei einem Juwelier. Die Tradition aber solle fortbestehen, die Moriskentänzer wird für ihn der Fotoladen aus dem Ruffinihaus mit verkaufen. "Bis ich in zwei Jahren wieder da bin."

Das ist zumindest der Plan, sicher ist seine Rückkehr nicht. Er wird sich um den Laden neu bewerben müssen. Auch eine seiner Nachbarinnen weiß noch nicht, ob sie wieder einziehen wird, auch wenn ihr der Laden sicher ist. Sie will auf jeden Fall. Marion Schmöller packt gerade italienische Orangenstäbchen ein, 100 Gramm für drei Euro, dazu die Karte. "Ab Mitte Januar finden Sie uns im Rosental 16." Ihr Laden ist ähnlich voll gepackt wie der von Gustavo Hinojosa, nur mit kandierten Früchten statt mit Holzfiguren.

Heute Nacht hat Marion Schmöller schlecht geschlafen. "Ich habe geträumt, dass ich mit den Kisten nicht fertig geworden bin." Zum 10. Januar will sie aus dem Laden draußen sein, am 15. Januar wird der Strom abgestellt. Sie wird alles rausreißen müssen aus ihrem "Wohnzimmer". Das ist das Problem.

Ihr Großvater Miquel Adrover eröffnete im Jahr 1912 das spanische Fruchthaus, damals noch auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Im Zweiten Weltkrieg schlugen die Bomben ein, danach bezog Adrover den jetzigen Laden am Rindermarkt. Mit einem Aufzug transportiert Marion Schmöller noch immer die schweren Kisten aus dem Lager nach oben, allein dessen Ausbau wird sie 3000, 4000 Euro kosten. "Wenn wir in 18 Monaten alles neu einbauen müssen, kostet uns das ordentlich Geld."

Eugen Hillenbrand wird sich dann zur Ruhe gesetzt haben, ein Nachfolger wird seinen Laden übernehmen. Marion Schmöller wird mit ihrer Tochter den neuen Laden einrichten, sofern das Geld reicht. Und Gustavo Hinojosa wird vielleicht seinen Job kündigen. Um zurückzukommen, an den Rindermarkt.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: