Altstadt:Bittere Medizin

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Schluss nach langen Jahren: Apothekerin Karen-Mareen Bereiter von der Karmeliten-Apotheke an der Schäfflerstraße 3 gibt Ende September auf. (Foto: David-Pierce Brill)

Eine Ära geht zu Ende: Nach 359 Jahren muss die Karmeliten-Apotheke schließen. Diesen Samstag ist letztmals geöffnet, danach muss Inhaberin Karen-Mareen Bereiter nur noch das teils historische Mobiliar entsorgen

Von Esther Diestelmann, Altstadt

In den Schaufenstern rote Schilder: Räumungsverkauf wegen Geschäftsaufgabe. Am Wochenende geht die 359-jährige Geschichte der Karmeliten-Apotheke an der Schäfflerstraße zu Ende. Ein letztes Mal wird Karen-Mareen Bereiter hinter dem Apothekentresen stehen und die Rezepte ihrer Kunden entgegennehmen. "Ich werde meine Stammkunden sehr vermissen", sagt Bereiter, seit 1981 Inhaberin der Traditionsapotheke. Sie ringt um Fassung. Rückt die rahmenlose Brille zurecht, zupft am Ärmel ihres weißen Apothekerkittels, atmet aus. Sie habe lange um den Erhalt der Apotheke gekämpft, leider ohne Erfolg, sagt sie.

Zum 30. September läuft der Mietvertrag aus. Der Firma Fries & Co. gehören die Verkaufsräume. Seit knapp einem Jahr liefen die Verhandlungen. Mündlich hatten sich beide Parteien bereits auf einen neuen Mietvertrag geeinigt. Zwei Mal fünf Jahre, plus fünf Jahre Option seien vereinbart worden, sagt Bereiter. Schriftlich war dann allerdings die Rede von einem Sonderkündigungsrecht nach fünf Jahren. Für die Geschäftsführerin von Fries & Co. ist das nichts Ungewöhnliches. Man habe schließlich in den vergangenen 20 Jahren, seitdem die Apotheke an der Schäfflerstraße sitzt, immer wieder den Mietvertrag verlängert, sagt die Geschäftsführerin, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen möchte. "Ich wollte die Apotheke eigentlich an eine Mitarbeiterin übergeben", sagt Bereiter, die in drei Jahren hatte in Rente gehen wollen. Aber ohne einen dauerhaften Mietvertrag bestehe einfach keine Planungssicherheit.

Von Montag an muss Karen-Mareen Bereiter deshalb ihr Lebenswerk und das vieler Generationen vor ihr auflösen. Zwei Wochen wird sie brauchen, um die seit dem Jahr 1657 bestehende Apotheke abzuwickeln. Sie gehörte ursprünglich zum Karmeliten-Kloster an der Maxburgstraße. Bis zur Säkularisation führten die Apotheke Laienbrüder aus dem Karmeliten-Orden. Zur Zeit der Klosteraufhebung stand die Karmeliten-Apotheke unter der Leitung des Laienbruders Zacharias Pracht. Er verhalf ihr aus dem Kloster in die Moderne. Nach zwölf Jahren Pacht und im Alter von 70 Jahren sah sich Pracht außerstande, weiterzumachen. Sogar das Finanzministerium bedauerte dies. Aus einem Bericht aus dem Jahr 1816 geht hervor, dass man mit Pracht einen äußerst verlässlichen Apotheker verliere, der nie eine Rüge der "medicinischen Policei" erhalten habe und deshalb höchstes Vertrauen in der Bevölkerung genieße.

1817 zog die Apotheke an den Promenadenplatz - wo heute Lodenfrey sitzt. Dort blieb sie bis zum Ersten Weltkrieg. Es folgte ein Umzug in die Maffeistraße. Bomben des Zweiten Weltkriegs zerstörten Teile, in den Fünfzigerjahren wurde die Apotheke neu aufgebaut. Die Maß-Möbel aus Ingolstadt und die in Oberammergau handgeschnitzten Schutzpatrone der Apotheker, Cosmas und Damian, waren bis zuletzt Teil der Inneneinrichtung.

Vergleichbar mit der Reputation von Zacharias Pracht ist auch das Ansehen von Karen-Mareen Bereiter. Viele Stammkunden reagierten entsetzt, als sie vom Ende der Apotheke erfuhren. "Ein altes Ehepaar hat wie ein Schlosshund geweint", sagt Bereiter. Sie ist eine Apothekerin der alten Schule. Viele Kunden kämen zu ihr, weil sie keine Mühen scheue, sagt sie. "Für herzkranke Kinder gibt es keine individuell dosierten Medikamente, die müssen Apotheker selbst mischen", sagt sie. Das dauere lange und bringe finanziell kaum etwas. Sie und ihre vier Angestellten hätten es trotzdem immer gemacht. "Ethik satt Monetik", sagt sie.

Einige Kunden haben sich sogar bemüht, für Bereiter und ihr Team alternative Räumlichkeiten zu finden. Die Apothekerin wusste teilweise vor den Eigentümern, welche Mieter in der Nachbarschaft über eine Kündigung nachdenken. Zusätzlich hat sie zwei Maklerbüros beauftragt. Erfolglos. Die Apothekenbetriebsordnung gibt vor, dass eine Apotheke mindestens 110 Quadratmeter groß sein muss, räumlich zusammenhängend. Schon diese Auflage schließe im Münchner Zentrum viele Räume aus, sagt sie.

"Ein historischer Ort kann der eigenen Verortung dienen. Man empfindet das Verschwinden eines solchen Orientierungspunktes dann auch als Verlust von etwas Vertrautem", sagt Simone Egger vom Institut für Geschichtswissenschaften der Universität Innsbruck. Im Moment wandle sich sehr viel, auch weil die Städte zu Marktplätzen würden. Das gilt auch für die Karmeliten-Apotheke. Die Unternehmer-Familie Fries wolle sich nicht länger als fünf Jahre auf einen Mieter festlegen, sagt die Geschäftsführerin. Bereiter muss sich jetzt um die Abwicklung kümmern. Die handgefertigten Möbel müssen weg. "Das alte Zeug will heute keiner mehr haben", sagt sie wehmütig. "Ich würde mir wünschen, dass die Einrichtung in irgendeiner Form erhalten bleibt", sagt sie mit stockender Stimme. Eine Stammkundin betritt den Laden. Bereiter begrüßt sie namentlich. "Wie geht es Ihrem Mann?"

© SZ vom 17.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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