Altes Ehepaar soll ausziehen:Aus dem Häuschen

Altes Ehepaar soll ausziehen: Seit sieben Jahren streiten sich Maria und Felix P. mit dem Eigentümer ihres kleinen Hauses, weil sie nicht ausziehen wollen.

Seit sieben Jahren streiten sich Maria und Felix P. mit dem Eigentümer ihres kleinen Hauses, weil sie nicht ausziehen wollen.

(Foto: Stephan Rumpf)

Ein altes, krankes Ehepaar aus München soll nach 47 Jahren umziehen, weil der neue Eigentümer das Grundstück gewinnbringend verwerten will. Das ist sein gutes Recht, haben zwei Gerichte bestätigt. Doch die Bewohner wollen sich nicht vertreiben lassen.

Von Bernd Kastner

Es wirkt wie aus der Zeit gefallen, dieses Häuschen. Im Garten stehen alte Apfelbäume, der Putz muss mal weiß gewesen sein, alles hier wirkt altmodisch. Dafür könnte der Konflikt, der sich an ihm entzündet hat, nicht typischer sein für das München der Gegenwart und seinen Immobilienmarkt. Maria und Felix P. sind 78 und 80 Jahre alt und leben seit bald 47 Jahren in diesem Häuschen ganz im Süden der Stadt. Beide sind sehr krank, die Frau ist auf ein Sauerstoffgerät angewiesen. Jetzt sollen sie ausziehen, endgültig.

Ein Investor will das Haus schon seit sieben Jahren abreißen und durch einen Neubau ersetzen. Das ist sein gutes Recht, haben zwei Gerichte geurteilt. Er wäre sonst an der angemessenen wirtschaftlichen Verwertung seines Eigentums gehindert. Das Recht auf Rendite prallt hier auf den Wunsch, in der angestammten Umgebung zu bleiben. Und so erzählt das Häuschen die Geschichte eines jahrelangen Ringens zwischen einem Geschäftsmann, der sich von seinen Mietern getäuscht fühlt, und betagten Bewohnern, die sich als Opfer der Gier sehen. Jetzt muss sich der Bundesgerichtshof mit dem Konflikt befassen.

Einfamilien-, Doppel- und Reihenhäuser wechseln sich in dieser Gegend kurz vorm Waldrand ab, dazwischen stehen Objekte, die in den letzten Jahren von Bauträgern errichtet wurden und die Diskussion um die Gartenstädte befeuern. Die einst so grünen Viertel drohen durch zunehmende Verdichtung ihren Charakter zu verlieren. Auf einem großen Schild unweit des Hauses der P.s wirbt ein Bauträger: "Hier entstehen: 1 freistehendes EFH und 3 Stadthäuser." Und er will mehr: "Wir suchen laufend Grundstücke in guten Lagen."

Dem Ehepaar P. aber geht es gar nicht ums Prinzip der Gartenstadt. Es lebt in einem der letzten kleinen Häuser hier, errichtet vor etwa 60 Jahren, es erinnert an ein Hexenhäuschen. Der erste Stock ist nicht beheizt, die Substanz marode, aber die alten Leute sind hier zu Hause. Als sie 1966 einzogen, war ihr Nachbar ihr Vermieter. Sie bekamen nicht mal einen schriftlichen Mietvertrag, haben bis heute keinen. Die Rente der P.s ist so gering, dass sie auf Sozialhilfe angewiesen sind und auf dem freien Wohnungsmarkt keine Chance haben. Sie zahlen gerade mal 640 Euro Miete.

Trotzdem, sie müssen raus, sagen zwei Gerichte. So klar die Urteile auch sind, so offen sind die gesellschaftlichen Fragen dahinter. Wie vehement darf ein Investor seine Interessen durchsetzen? Wäre es nicht geboten, mit der Verwertung zu warten, bis die alten Leute ins Pflegeheim müssen oder gestorben sind? Andererseits: Wie lange darf ein Mieter blockieren, dass jemand mit seinem Eigentum Geld verdient? Wäre es nicht fair, in eine andere Wohnung zu ziehen? Und beide müssen sich fragen lassen, wann es, Recht hin, Moral her, Zeit ist nachzugeben.

Im Februar 2006 bietet der Eigentümer den Mietern 8000 Euro Abfindung an. Er hat das Haus geerbt, will verkaufen, um mit dem Geld selbst zu bauen, ein ganz typischer Vorgang. Er scheint sich sicher, dass die P.s mitspielen, sie sollen sich entsprechend geäußert haben, ein Abbruchunternehmer besichtigt schon das Haus. Wenig später beurkundet ein Notar den Verkauf an Ralf M., einen Projektentwickler. Seine Ein-Mann-Firma wirbt mit Sätzen wie diesem: "Unser Hauptgeschäftsfeld Immobilienmanagement beinhaltet das Erkennen und Erwerben erfolgversprechender Objekte." Der Investor zahlt für das 530 Quadratmeter große Anwesen 360 000 Euro. Mit der fertigen Planung für ein Doppelhaus will er es weiterverkaufen, ohne Haus, ohne Mieter, wolle Wohnraum für zwei Familien schaffen.

Die Verhandlungen über einen Auszug der P.s laufen. Sie wollen 40 000 Euro Abfindung, man einigt sich auf 36 000, doch das Geld würde mit der Sozialhilfe verrechnet werden. Nachdem die Eheleute erklärt haben, nicht auszuziehen, baut der Anwalt des Investors in vielen Briefen Druck auf: Die P.s hätten doch dem Makler und Verkäufer erklärt, dass sie zum Auszug bereit seien, sobald sie eine andere Wohnung gefunden hätten. "Ohne diese Aussage Ihrerseits hätte unser Mandant das Grundstück überhaupt nicht gekauft." Seither streiten die Parteien darüber, wann wer was versprochen hat oder auch nicht: Die Mieter behaupten, nie den Auszug definitiv zugesagt zu haben. Und wenn, dann nur, wenn sie eine passende neue Wohnung haben.

Abgeblitzt vor Gericht

Seit Juni 2006 sind beide Seiten auf Konfrontationskurs. Der Vermieteranwalt schreibt einen Brief nach dem anderen: Er will die Miete erhöhen, avisiert die Modernisierung, kündigt den Mietvertrag, weil er an der Verwertung seines Anwesens gehindert sei, verlangt von Felix P. das Nebengebäude zu räumen, das dieser als Hobbyraum nutzt, es ist sein Reich, sein Stolz. Und er verklagt die Mieter auf Schadenersatz: Monatlich entstehe ihm ein Schaden von mehr als 800 Euro.

Altes Ehepaar soll ausziehen: Das Häuschen wirkt wie aus der Zeit gefallen.

Das Häuschen wirkt wie aus der Zeit gefallen.

(Foto: Stephan Rumpf)

Das Amtsgericht aber lässt ihn abblitzen: Es gebe keinen Beleg, dass sich die Mieter tatsächlich zum Auszug verpflichtet hätten. Am Ende seines Urteils schreibt der Richter einen Satz, den Felix P. heute noch gern zitiert: Es sei "nicht Sache der Beklagten, für die Fehlinvestition der Klagepartei einzustehen." Wer ein vermietetes Haus kauft, soll das heißen, ist selber schuld, wenn er damit nicht den erwarteten Gewinn macht.

Im Juli 2007, die P.s haben sich bislang erfolgreich gewehrt, beauftragt der Investor einen anderen Anwalt, und der beginnt wieder von vorne: Mieterhöhung, Modernisierungsankündigung, Drohung weiterer juristischer Schritte. Die P.s halten dagegen, alles bleibt wie es ist. Anschließend kehrt für zwei Jahre eine gewisse Ruhe ein.

2009 dann bietet der Eigentümer eine Ersatzwohnung aus seinem Besitz an: Im Viertel gelegen, saniert, drei Zimmer, Terrasse, Zentralheizung, dieselbe günstige Miete wie bisher, obwohl locker 500 Euro mehr drin wären. Begleitet aber wird das Angebot wieder von einer Drohung, vor Gericht zu ziehen. Die angebotene Wohnung ist sehr schön, da sind sich ausnahmsweise alle einig.

Die Lösung ist nah, ein Mietvertrag liegt unterschriftsreif auf dem Tisch, doch am Ende verhindern Details die Einigung: Falls ein Ehepartner stirbt - wie lange darf dann der andere noch wohnen bleiben? Drei Jahre? Vier Jahre? Die Mieter wollen, dass ihr Sohn mit einziehen darf, weil er sie pflegt. Der Vermieter sagt, er habe nichts gegen die Pflege, lehnt aber ab, ihn in den Vertrag mit aufzunehmen. Die P.s bleiben also weiter in ihrem gemieteten Häuschen, ihr Vertrauen in den Investor scheint gering. Der sagt: "Bis heute kann ich diesen Vorgang nicht verstehen."

Im Oktober 2009 kommt die nächste Kündigung, erneut, weil das alte Haus "keine angemessene Rendite mehr abwirft - sondern Verluste schreibt". Es komme nur Abriss und Neubau in Betracht. Nun reicht der Vermieter tatsächlich Klage ein - und gewinnt in zwei Instanzen. Die Richter wägen ab: Hier die lange Wohndauer der Mieter und ihr schlechter Gesundheitszustand. Dort die "erheblichen Nachteile" für den Eigentümer, er mache 7000 Euro Verlust pro Jahr. Außerdem sei er den Mietern mit der Ersatzwohnung sehr entgegengekommen; und ohnehin sei das alte Häuschen in einem "unbewohnbaren Zustand". "Der Abriss und anschließende Neubau entspricht wirtschaftlicher Vernunft."

Im August 2012 bestätigt das Landgericht das Urteil. Im Mieterverein heißt es, dass die einst sehr hohen juristischen Hürden für eine erfolgreiche Verwertungsklage in den letzten Jahren gesunken seien. Mieterschützer betrachten diesen Trend mit Sorge, das gelte auch für Eigenbedarf.

Die Eheleute P. aber geben nicht auf. Ihr Anwalt legt dem Gericht diverse ärztliche Atteste vor, um die Räumung zu verhindern: Beide sind herz- und lungenkrank, die Frau leidet unter Atemnot, von Lebensgefahr ist die Rede. Doch das Amtsgericht bleibt dabei: Die Räumung muss sein. Ein Termin wird mit dem Gerichtsvollzieher festgesetzt, doch der platzt.

Der Grund ist ein juristischer: Der Sohn der P.s ist vor ein paar Jahren bei seinen Eltern eingezogen, um sie zu versorgen, und er ist vom Räumungstitel nicht erfasst. Nun reicht der Investor auch gegen ihn Klage ein, doch die liegt vorerst auf Eis, bis der Bundesgerichtshof entschieden hat. Das kann viele Monate dauern. In Karlsruhe wollen die Eheleute P. die Revision des Räumungsurteils erreichen und argumentieren mit der Gefahr, dass sie eine Zwangsräumung womöglich nicht überleben.

Der Anwalt des Investors vermutet, dass der Gesundheitszustand nur vorgeschoben sei. Seit Jahren ist er mit der Räumung zugange, ohne Erfolg, er wirkt genervt: "Jetzt reicht's!", sagte er bei der letzten Gerichtsverhandlung. Besucht man die P.s in ihrem Häuschen, gewinnt man nicht den Eindruck, dass sie simulieren würden. Maria P. liegt in ihrem Pflegebett im Wohnzimmer, ein gleichmäßiges Rattern ist zu hören. Es kommt vom Generator, der Maria P. mit Sauerstoff versorgt. Fragt man den Vermieter, versichert er, dass er diesen Konflikt nie gewollt habe. Hätte er ihn geahnt, er hätte das Häuschen nie gekauft.

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