Es gibt Not im reichen München, die niemand sieht. Rentnerinnen etwa, die in kalten Wohnungen hausen, weil sie es sich nur leisten können, einen einzigen Raum zu heizen. Oder auch den Fall einer früheren leitenden Altenpflegerin, die mittlerweile im Ruhestand lebt. Sie ist gehbehindert und sucht eine Wohnung mit Aufzug, aber sie findet keine, die sie bezahlen kann. Ihre Rente reicht nicht. Also übernachtet sie seit zwei Jahren bei ihrer Tochter, sie schläft in deren Wohnung auf einem Klappbett im Flur.
In einer amtlichen Statistik findet sich diese Armut nicht wieder. "Es gibt eine verdeckte Obdachlosigkeit von Älteren in München", sagt Irene Götz. Die Professorin am Institut für Europäische Ethnologie der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität hat untersucht, wie ältere Münchnerinnen ihren Alltag bewältigen, obwohl ihre Rente kaum zum Leben reicht.
Mit drei Doktorandinnen und einer Kollegin von der Uni Regensburg hat sie 50 Ruheständlerinnen getroffen, die es sich kaum noch leisten können, in ihrer Heimatstadt zu leben. Die Frauen erzählten, wie sie zurechtkommen, sie sprachen darüber, dass sie ihre Not vor Bekannten aus Scham verschweigen, und darüber, dass wenig so wichtig ist wie eine eigene Wohnung. Die Gespräche dauerten zum Teil mehrere Stunden. Ende 2018 soll ein Buch mit 20 ausgewählten Porträts erscheinen.
Im Alter seien vor allem Frauen arm dran, sagt Götz - besonders dann, wenn sie Lücken in der Erwerbsbiografie haben, weil sie es waren, nicht ihre Männer, die sich um die Kinder gekümmert oder Angehörige gepflegt haben. "Man müsste die Renten anders finanzieren, vielleicht ergänzend durch Steuern", fordert Götz deshalb. Und vor allem müsste man den Anstieg der Mieten bremsen. Denn wenn jemand im Alter umziehen muss, verliert er oft nicht nur seine Wohnung, sondern auch den sozialen Anschluss. "Und dann wird es noch schwieriger."