Alternatives Wohnprojekt:Kollektives Kapital

Alternatives Wohnprojekt: WG Wohnprojekt Ligsalzstrsse 8 im Westend, Eine Gruppe von 12 Bewohnern hat das Haus gekauft undverwaltet es als Verein , gemeinsamer Wohn/Ess/Gartenbereich, Sprecher des WG-Projekts Alexander Weiß, .Juni 2015 , Foto : C : Stephan Rumpf

WG Wohnprojekt Ligsalzstrsse 8 im Westend, Eine Gruppe von 12 Bewohnern hat das Haus gekauft undverwaltet es als Verein , gemeinsamer Wohn/Ess/Gartenbereich, Sprecher des WG-Projekts Alexander Weiß, .Juni 2015 , Foto : C : Stephan Rumpf

(Foto: Stephan Rumpf)

Hausbesitzer mit Besetzercharme: Das alternative Wohnprojekt Ligsalz 8 im Westend hat eine private Immobilie den Marktgesetzen entzogen. Seit sieben Jahren kultiviert es das Leben im Sinne einer solidarischen Stadtgesellschaft.

Von Andrea Schlaier

Es kann sein, dass man auf einem Gartenstuhl zu sitzen kommt, vor dem weiß gestrichenen Küchenbüfett an der langen Holztafel, am Wasser nippt, in diesem beachtlich großen, halböffentlichen Wohnzimmer, das vermutlich mal ein türkischer Lebensmittelladen war. Und es kann sein, dass genau in diesem Augenblick einer vorne an der Glastür schellt, neben dem großen Schaufenster, auf dem Plakate kleben mit Bekenntnissen wie "Unsere Solidarität gegen eure Repression". Möglich auch, dass der Mensch, der hier tropfnass vom strömenden Regen angespült wird, selig lächelt und vermeldet, gerade vom G-7-Gipfel zu kommen und hier ein paar Sachen abholen zu müssen, "mit denen ich nicht in eine Polizeikontrolle hätte kommen wollen". Die Nacht davor hat er hier im Gästezimmer hinter dem Laden-Wohnzimmer gepennt.

Wer der durchgeweichte Fremde ist? "Keine Ahnung, irgendeiner von uns kennt ihn schon", sagt Alexander Weiß, der ihn reingelassen hat und dann wieder auf der anderen Seite des hölzernen Flohmarkt-Tisches Platz nimmt. Klingt nach schönster Hausbesetzer-Idylle. Täuscht aber. Es ist durchaus offen, das Haus, das an der Ligsalzstraße 8 im Westend steht - einziges alternatives Wohnprojekt seiner Art in der Millionenstadt. Doch zum Klischee taugt es nicht.

Was nicht allein an Weiß liegt, einem der jungen Gründungsväter des Projekts. Er sitzt einem gegenüber mit gebügeltem hellblauen Hemd, dunkelblauer Business-Hose aus Baumwolle und formstrenger Designer-Uhr am Handgelenk. Der 36-Jährige mit dem kurz geschorenen Blondhaar ist Abteilungsleiter im IT-Bereich.

Das Haus, in dem Weiß seit 2008 zusammen mit elf weiteren Menschen zwischen 19 und Ende 40 zusammenlebt, ist nach eigener Terminologie zwar "entprivatisiert" und "kollektiv angeeignet". Aber legal bis auf die Knochen: Die Gruppe hat sich vor etwa zehn Jahren der Freiburger Initiative "Mietshäuser-Syndikat" angeschlossen und nach deren Prinzip ein Haus aus dem freien Wohnungsmarkt "herausgekauft", um es als eigenständiger "Hausverein" selbst zu verwalten. Durch diesen Hebel soll bezahlbarer Wohnraum geschaffen, erhalten und nach Gusto des jeweiligen Hausvereins bespielt werden.

Wie das Mietshäuser-Syndikat funktioniert

Das Mietshäuser-Syndikat hat seine Wurzeln in der Freiburger Hausbesetzerszene der 1980er-Jahre und ist mittlerweile zu einem mehrfach ausgezeichneten Unternehmensverbund gewachsen, der bundesweit 96 Hausprojekte und 22 Projektinitiativen hütet. "Das Syndikat ist inzwischen so groß", sagt Weiß, "dass es kartellrechtlich relevant ist".

Das Syndikat-Prinzip funktioniert so: Eine künftige Wohngemeinschaft gründet einen Hausverein und anschließend zusammen mit dem Syndikat eine Hausbesitz GmbH, die letztlich die Immobilie kauft. Die GmbH hat diese zwei Gesellschafter, mit Vorteilen für beide Seiten: Mit dem im Gesellschaftsvertrag vereinbarten Konsensprinzip und ihrem Vetorecht kann das Syndikat den Verkauf des Objekts oder übermäßige Mieterhöhungen verhindern, spielt also die Rolle eines Wächters. Bei allen anderen Entscheidungen redet dem Hausverein keiner rein: Er ist frei in der Gestaltung seiner Wohnformen, die im Unternehmensverbund ganz unterschiedlich gestaltet sind, vom reihenhausartigen Familien-Domizil bis zu Komplexen mit mehr als hundert Apartments.

Immer muss man aber bereit sein, dicke Bretter zu bohren: "Wir haben unseren Traum hartnäckig verfolgt", sagt Alexander Weiß. Sieben Jahre lang suchten er und seine Mitstreiter in München ein geeignetes Objekt. "Wir wussten nicht genau, wie wir das Geld aufbringen sollten." Und trotzdem. 26 Jahre alt war er, Student der Philosophie, Informatik und Psychologie, damals als sie die leer stehende Immobilie an der Ligsalzstraße 8 von Privatleuten kauften - und die 510 000 Euro dafür von allen möglichen Seiten zusammengekratzt haben. Ein Ringen um Privatkredite sei das gewesen, formaljuristische Verrenkungen für den Kaufvertrag, der ganze nervtötende Kram eben, der einem beim Kauf eines Eigenheims blüht.

Umbauen, ausbauen, neu definieren

In dem Fall setzten sich Menschen damit auseinander, die vorher in WGs gelebt und keine Lust mehr auf befristete und "dynamisch" erhöhte Mietverträge hatten. Für 250 000 Euro setzte die Gruppe dann außerdem noch zwei Stockwerke drauf und malochte dafür ein Jahr lang an den Wochenenden auf der Baustelle, ehe die neuen Hausleute einziehen konnten.

In dem Gebäude mit dem idyllischen Innenhof verteilen sich drei Wohnungen auf verschiedene Ebenen, definiert als zwei Dreier- und eine Sechser-WG. Im Erdgeschoss grenzt das weitläufige Hausverein-Wohnzimmer gewissermaßen an den Bürgersteig. "Wir zahlen alle einen Fixpreis von 350 Euro, da sind auch die Gemeinschaftsflächen unten mitfinanziert", sagt Weiß. Damit werden die Kredite für die etwa 20 Quadratmeter großen Zimmer abbezahlt. Ein paar wenige Cent pro Quadratmeter fließen ans Mietshäuser-Syndikat. Das verwendet den "Solidarbeitrag" zur Finanzierung neuer Projekte.

Alle zwei Wochen treffen sich die Ligsalz-Bewohner, das sind Studenten, Ärzte, Freiberufler, um übers laufende Familiengeschäft zu beraten. "Klar", sagt Mitgründer Weiß, "wenn man mit anderen Menschen zusammenlebt, gibt's auch Konflikte. Hat jemand keine Lust, sich mit anderen auseinanderzusetzen, ist das die falsche Wohnform." Das heiße nicht, dass sich die zwölf Bewohner dauernd in die Haare bekämen, sagt Weiß.

"Es gibt schon Diskussionen, zuletzt wurde mal überlegt, ob wir einen Beamer anschaffen oder nicht." Entscheidungen fielen grundsätzlich im Konsens. Jeder übernimmt hier eine Aufgabe, der eine kümmert sich um die Steuer, der andere um Veranstaltungen. "Ich wohne super gern hier, auch wenn ich gern mal Familie haben würde und sich die Frage stellt, wie und ob das in der Ligsalzstraße funktionieren würde." Wer auszieht, ist übrigens draußen, aus dem Projekt.

Sechsmal die Woche geben die Ligsalzer den lang gestreckten Raum mit dem weißen Klavier in der Ecke für Gruppen im Viertel frei: Ein Chor übt regelmäßig, im "Salzstangensalon" werden Dokumentarfilme geschaut und es finden etwa politisch bewegte Lesungen über Fluchtbewegungen auf der ganzen Welt statt. Einmal im Monat wird für Freunde des Hauses ein Sonntags-Brunch ausgerichtet. Unterm Riesen-Geweih hinter der Theke zischt dann wahlweise die Espresso-Maschine oder der Samowar.

Alexander Weiß, dieser zurückhaltend auftretende Mensch mit gedämpfter Stimme, spricht von der Solidarität, die zum Selbstverständnis Ligsalz 8 gehört: "Es war uns wichtig, hier nicht nur zu wohnen. Wir wollen dem Stadtviertel auch was zurückgeben." Man habe, auch wenn's merkwürdig klinge, das Kapital, um Raum zur Verfügung zu stellen. Ein offenes Haus für Nachbarn, die für kleines Geld irgendein Plätzchen für gemeinsame Aktivitäten suchen, wohlgemerkt keine Party-Lounge.

Es gibt auch eine enge Kooperation mit dem Bayerischen Flüchtlingsrat. Wenn ein Schützling der Organisation eine Verhandlung hat und nicht in seiner ehemaligen Unterkunft übernachten will, kann er sich hier im Hinterzimmer auf die Couch hauen. Vielleicht war es diese aktive Nächstenhilfe, die die Ligsalzstraße 8 wiederholt zur Zielscheibe von Nazi-Anschlägen gemacht hat. "Es ist unklar", sagt Alexander Weiß, "warum die sich uns ausgesucht haben, wir waren überrascht."

Gut, im offenen Wohnzimmer träfen sich Gruppen, die man in der linken und alternativen Szene einordnen könne. "Ich weiß gar nicht, was hier immer alles für Plakate rumhängen." Was der gebürtige Allgäuer aber sagen will: Die Unterstützung und der Zuspruch der Nachbarn, "und zwar solchen, die niemals zu uns zum Brunch kommen würden", sei einfach großartig gewesen. "Viele finden es vielleicht komisch, wie wir leben, aber toll, dass wir da sind."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: