Alternatives Wohnen:Herr Nachbar ist nicht anonym

Gemeinsam planen und dann miteinander leben: Immer mehr Münchner wohnen in alternativen Wohnprojekten.

Bernd Kastner

Es tut sich was auf dem Münchner Immobilienmarkt. Nicht, dass die Mieten fielen, ganz im Gegenteil, und eine Veränderung im Großen ist es auch nicht, aber doch im Kleinen. Das Mikroklima, wenn man so will, wird bunter, vielfältiger.

Man muss allerdings genau hinschauen, um die Spurenelemente der Veränderung zu erkennen: Hier die schleichende Aufwertung citynaher Viertel - dort alternative Wohnformen, die sich langsam, aber stetig ausbreiten, auch in dieser sonst so uniformen Wohnstadt.

Um die Aufwertung zu registrieren, müsste man alle paar Wochen durch die Viertel südlich der Kernstadt spazieren. Vom Westend über das Schlachthofviertel nach Sendling und Thalkirchen, und jenseits der Isar durch Untergiesing und die Au, wo die Mieten - noch - unter Schwabinger Niveau liegen.

Dort würden einem Gerüste auffallen, heute plötzlich aufgebaut, morgen wieder weg, herausgeputzte Fassaden freigebend. Ganz unspektakulär ist das, doch für die Bewohner bringt das zweierlei mit sich: Mehr Komfort - und höhere Mieten.

Sichtbarer als neue Bäder in alten Wohnungen sind aber die kleinen, feinen Designer-Laden, die sich in bestimmten Vierteln ausbreiten. Was rund um den Gärtnerplatz längst geschehen ist, passiert zunehmend in jenem Halbkreis südlich der Innenstadt, dem neuen Dorado für Sanierer und Spekulanten. Kleine, feine Läden signalisieren: Das Viertel steigt auf, und mit ihm die Preise. Manch Alteingesessener aber muss weichen.

Ein buntes Haus

Mit dieser Entwicklung, von Experten Gentrification oder Nobilisierung genannt, scheint der zweite Trend, der hin zum ,,anderen Wohnen'', erst einmal gar nichts zu tun zu haben. Am besten lässt sich dieser im Ackermannbogen besichtigen, im ,,Ostblock'' zum Beispiel.

Was nach Plattenbau klingt, ist in Wahrheit ein buntes Haus - voller normaler Leute. Und ein Wagnis. So heißt die Genossenschaft (,,Wohnen und arbeiten in Gemeinschaft, natürlich, innovativ und selbstbestimmt''), die vier Häuser gebaut hat, darunter im Osten ihres Areals den ,,Ostblock'', ein Haus mit 18 Parteien. ,,Wohnen'' ist hier zu verstehen als ,,Miteinander Leben''. Nicht in Art einer Groß-Kommune, sondern als Nachbarschaft, die über das obligatorische Mehl-Ausleihen hinausgeht.

Obwohl sich anfangs alle fremd waren, erzählt Ursula Jenewein, die mit Mann und den beiden erwachsenen Töchtern in einer Maisonettwohnung lebt, ,,waren wir menschlich alle auf einer Wellenlänge, als ob wir uns schon ewig gekannt hätten''. Man hat die Häuser über Jahre gemeinsam geplant und gebaut, hat gestritten und gefeiert - und nun leben sie seit zwei Jahren einen Alltag, der sich vom gewohnten anonymen Nebeneinander unterscheidet.

Klar, sagt Elisabeth Hollerbach, Gründerin und unermüdliche Antreiberin dieser Wohn-Idee, ,,wir lieben uns nicht alle''. Aber auch das sei eine wertvolle Erfahrung: Konflikte nicht zu verschweigen, sondern anzusprechen und zu lösen. Ohne Anwälte, ohne Gerichte.

Herr Nachbar ist nicht anonym

Wagnis probiert eine besondere Mischung: Miet- und Eigentumswohnungen, gefördert und freifinanziert. Hollerbach sagt, sie wollten nicht länger akzeptieren, dass man Sozialwohnungen in Blöcken unterbringe, die an lauten Straßen als Lärmschutzwand für die besseren Quartiere dienen. Es sind Reichere und Ärmere bei Wagnis eingezogen, Singles und Familien, Junge und Alte, und alle feiern schon mal einen Geburtstag auf der gemeinschaftlichen Dachterrasse.

Ein Restaurant haben sie integriert, eine Nachbarschaftsbörse und eine Leihstation, haben einen Chor initiiert und wollen bald ein Kinderparlament gründen. Und so ist Wagnis zum sozialen Motor im neuen Viertel geworden, auch wegen der vielen Buben und Mädchen (80 Kinder bei 130 Erwachsenen), die Gleichaltrige aus der ,,normalen'' Nachbarschaft anziehen und Leben ins Quartier bringen.

,,Wir sind ein bisschen der Zeit voraus, mehr nicht'', sagt Ursula Jenewein. Wagnis steht symbolhaft für den Trend zum anderen Wohnen, der das Gemeinschaftliche in den Vordergrund stellt. Er breitet sich in unterschiedlichen Formen aus, vor allem in den Neubaugebieten Ackermannbogen und Messestadt.

Baugruppen beleben diesen Trend weiter. Was etwa in der Öko-Stadt Freiburg längst Alltag ist, wird zunehmend in München schick: Die Wohnung nicht aus dem Bauträgerprospekt kaufen, sondern sich zusammenzutun, selber planen, bauen. Inzwischen haben auch konventionelle Firmen diesen Trend entdeckt:

Die Firma Nest etwa kombiniert ökologisches Bauen in Form von Passivhäusern mit Einbeziehen der Käufer in die Planung. Und Bürgerbau, eine in Freiburg entstandene Firma, hat längst eine Dependance in München und organisiert professionell das Wirken von Baugruppen. Bürgerbau und Wagnis haben beide auch im aktuellen Bauabschnitt des Ackermannbogens gebaut, in der ökologischen Mustersiedlung, die mit solarer Nahwärme versorgt wird. Auch ein Novum in München.

Neu ist auch vieles, was in der Messestadt wächst: Die Genossinnen von ,,Frauen-Wohnen'' beziehen in diesen Wochen ihr erstes Haus, auch sie haben selbst geplant, speziell für die Bedürfnisse von Frauen. Auch Wagnis will auf dem alten Flughafen noch mehr wagen, das dritte Wohnprojekt wäre dies dann.

Allein, Elisabeth Hollerbach ist skeptisch: ,,Wir leiden unter dem schlechten Image der Messestadt.'' Während im Ackermannbogen die Bewerber für eine Wohnung Schlange stehen, ist das Interesse am Haus in der Messestadt mäßig. Hollerbach ist traurig über das ihrer Meinung nach unberechtigte Negativ-Image, denn die meisten Messestädter fühlten sich wohl - trotz Planungspannen, trotz vieler Migranten und sozial schwacher Bewohner, trotz teilweise abschreckender Architektur. Sie fühlen sich wohl wegen des Miteinanders im ganzen Viertel.

Vereint gegen Spekulanten

Im Kleinen ist dies wiederum in der Caroline-Herschel-Straße zu beobachten. Dort, zwischen großer Wiese und Buga-Park, haben als eine der ersten die ,,Autofreien'' gebaut und die Genossenschaft Wogeno. Beides Pioniere des anderen Wohnens: Die Initiative ,,Wohnen ohne Auto'' war und ist nicht nur die einzige, deren Mitglieder freiwillig (weitgehend) aufs eigene Auto verzichten, sie war Mitte der 90er auch die erste privat organisierte Baugruppe, die von der Stadt den Zuschlag für ein Grundstück erhielt.

Und die Wogeno, heute bundesweit bekannt für ihre soziales, selbstverwaltetes und ökologisches Wohnkonzept, ist vor gut zehn Jahren entstanden im Kampf gegen Sanierung, Spekulation und Entmietung. In Schwabing war das, einem Viertel, das längst so teuer ist, dass kaum mehr was zum Aufwerten da ist.

Aber wer weiß, vielleicht entwächst der aktuellen Sanierungswelle zwischen Westend und Untergiesing eine neue Gegenbewegung. Die ,,Gima'' könnte ein Motor dafür sein. Die ,,Genossenschaftliche Immobilien Agentur'' ist eine bundesweit einzigartige Initiative, gefördert als Forschungsprojekt vom Bundesbauministerium. Sie will verkaufswillige Eigentümer alter Mietshäuser, Bewohner und Münchner Genossenschaften an einen Tisch bringen, um zu verhindern, dass sich Spekulanten immer mehr dieser begehrten Objekte unter den Nagel reißen.

Ziel ist es, dass statt dessen die knapp 40 Genossenschaften zugreifen - zum Wohle der oft langjährigen Mieter, die dann ein lebenslanges Wohnrecht bei moderaten Mieten genießen. Es ist ein sehr schwieriges Unterfangen, hat man bei der Gima nach einem Jahr festgestellt. Aber ein erster Erfolg war schon, dass die beiden bekanntesten Antagonisten des Münchner Wohnungsmarktes, hier der Haus- und Grundbesitzerverein, dort der Mieterverein, einhellig die Idee unterstützen.

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