Alternative Energien:Flügellahm

Die Energiewende kommt nur mühsam voran. Ob der Landkreis bis 2035 energieautark wird, bleibt eine offene Frage.

Von Otto Fritscher, Starnberg

Nun gut, auf eine konkrete Zahl will sich Landrat Karl Roth nicht festnageln lassen. Er spricht von "kleinen Schritten", die auf dem Weg zur Energiewende erreicht worden sind; deutlichere Worte finden sich im aktualisierten Energiebericht 2017 des Starnberger Landratsamtes: "Halbherzig" sei die Entwicklung "in Deutschland, aber auch bei uns im Landkreis", heißt es da.

Rückblende: In euphorischer Stimmung fasst der Kreistag im Dezember 2005, also vor bald zwölf Jahren, den Beschluss, dass der Landkreis bis zum Jahr 2035 energieautark werden soll. Was konkret heißt: Dass die Energie, die hier in den verschiedensten Bereichen wie Strom, Verkehr, Wärme und Industrie verbraucht wird, auch hier erzeugt werden soll. In einem Zeitraum von 30 Jahren soll also die Energiewende komplett vollzogen werden.

Doch bis dahin ist es noch ein weiter Weg: Gerade mal 8,4 Prozent des Gesamtenergieverbrauchs im Landkreis - also die Summe der Bereiche Strom, Wärme und Verkehr - wurden im Jahr 2015 durch erneuerbare Energien gedeckt, neuere Zahlen liegen offiziell noch nicht vor. Die Bilanz dürfte sich allerdings durch die vier Windräder in den Wadlhauser Gräben im Gemeindebereich von Berg um rund vier Prozent verbessern, schätzt Herbert Schwarz, der Umweltberater im Landratsamt. "Immerhin", sagt Landrat Roth. Dennoch: Der Gesamtenergieverbrauch im Landkreis ist 2015 auf rund 3700 Giga-Watt-Stunden leicht gestiegen, was allerdings auch auf den Einwohnerzuwachs um 1,3 Prozent zurückzuführen ist.

In den einzelnen Bereichen sieht es unterschiedlich aus. Der Stromverbrauch eines Landkreis-Bürgers beträgt laut Statistik 3601 Kilowattstunden pro Jahr. Wobei die größten Stromsparer in Gauting wohnen (2774 kWh/Jahr), am meisten Strom pro Einwohner wird in Weßling (9487 kWh) und Andechs (5707 kWh) verbraucht. Was allerdings nicht an Verschwendungssucht liegt, sondern an Großbetrieben wie der DLR in Weßling, der Brauerei und der Molkerei in Andechs. Im Vergleich mit dem deutschen Durchschnitt verbraucht ein Landkreis-Bürger nur in etwa die Hälfte des Stroms, was aber an im Fünfseenland nur schwach vertretener Industrie und produzierendem Gewerbe liegt.

Berg

Die Berger Windräder sind mit einer Nabenhöhe von 149 Metern auch in der Nacht weithin sichtbar.

(Foto: Sven Schmid/oh)

Derzeit gibt es rund 3000 Fotovoltaik-Anlagen im Landkreis, die größte bei Gut Tiefenbrunn (Gemeinde Weßling). Sie decken zusammen knapp acht Prozent des Strombedarfs, dazu kommen weit geringere Anteile von den zehn zumeist kleineren Wasserkraftwerken im Landkreis und den sieben Biomasseanlagen. Die Windkraft bleibt einstweilen relativ flügellahm, denn zu den vier Windrädern in den Wadlhauser Gräben an der Gemeindegrenze von Berg zu Schäftlarn, die nach langem, auch vor Gerichten ausgetragenen Gezerre gebaut wurden, wird kaum ein weiteres hinzukommen. "In die Planung für Windräder haben wir mit den Gemeinden wahnsinnig viel Energie gesteckt, aber die von Horst Seehofer durchgesetzten Abstandsregeln haben die Planung zunichte gemacht", sagt Landrat Karl Roth, und es klingt ein bisschen verärgert. Bergs Bürgermeister Rupert Monn kann sich indes freuen, dem Ministerpräsidenten ein Schnippchen geschlagen zu haben. "Lassen Sie lieber die Finger von den Windrädern", hatte Seehofer dem Berger Gemeindechef landesväterlich geraten - aber Monn hielt sich nicht daran und setzte die Windräder durch.

Mindestens genauso schwierig, wie Windräder zu bauen, ist es wohl auch, die Autofahrer zum Umstieg auf Elektroautos zu bewegen. Der Verkehr ist für rund ein Drittel des CO₂-Ausstoßes verantwortlich. 98 000 Kraftfahrzeuge waren Anfang 2016 beim Landratsamt gemeldet, inzwischen dürfte die Hunderttausender-Marke geknackt worden sein. 82 000 Pkw mit Verbrennungsmotor stehen gerade mal 592 Elektro- und Hybridfahrzeuge (Stand Anfang 2017) gegenüber, immerhin 150 mehr als im Vorjahr. Reine Elektroautos mit STA-Kennzeichen sind es gerade mal 224. Was vielleicht auch am noch immer unzulänglichen Netz an Ladestationen liegt.

Viele Aufgaben warten also auf Josefine Anderer-Hirt, die seit 2012 als Klimaschutzmanagerin des Landkreises amtiert. Sie sagt, sie habe bei der Beratung seit einiger Zeit mehr mit sozialen und psychologischen Fragen zu tun als mit wirtschaftlichen und technischen. "Wie motiviere ich die Bürger, etwas für den Klimaschutz zu tun, wenn der Heizungsbauer ihnen rät, doch einfach von einer Ölheizung auf Erdgas umzusteigen? Beides sind ja fossile Energien", sagt Anderer-Hirt. Überhaupt die Heizungsbauer. Es scheint, als sei dies für die Klimaschutzmanagerin eine schwierige Klientel. "Es ist ja nicht mehr so, dass man einfach den Heizkessel auswechselt. Eine solche Modernisierung ist eine sehr komplexe Sache geworden. Allein die Frage, wer wann welche Zuschüsse gibt, ist oft nicht auf die Schnelle zu klären", sagt sie. Und offenbar geht es manchen Handwerker lieber um den schnellen Umsatz als um ein mittelfristiges Projekt.

Der Landkreis wollte ein Dachkataster erstellen. Der Datenschutz stand dagegen

Und es ist ja nicht so, als ob die Gemeinden sich nicht um den Klimaschutz kümmern würden. Aus dem Klimapakt ist nun die Klimawerkstatt entstanden. Die Mehrzahl der Landkreis-Gemeinden hat sich verpflichtet, jährlich drei Maßnahmen umzusetzen, die dem Klimaschutz dienen.

206 Meter

beträgt die Höhe von jedem der vier Windräder in den Wadlhauser Gräben, gemessen bis zur Rotorspitze. Bauzeit war von Frühjahr bis Dezember 2015. Das Investitionsvolumen betrug 21,6 Millionen Euro, davon brachten 169 Kommanditisten 6,6 Millionen Euro an Eigenkapital auf. Die prognostizierte Verzinsung beträgt 5,5 Prozent. In 1,8 Jahren erzeugen die Rotoren die Energie, die bei der Herstellung der Anlagen verbraucht worden ist. 25 Millionen Kilowattstunden sind der erwartete jährliche Ertrag, was reicht, um den Stromverbrauch der Gemeinde Berg abzudecken.

Und dann ist da noch ein Punkt, der den Fortschritt in Richtung Energiewende bremst: die typische deutsche Lust an der Überregulierung, durch viele, zu viele Vorschriften. Auch der Landkreis hat das zu spüren bekommen, als er etwa ein Dachkataster anlegen wollte. Eine Datenbank, in der man durch einen Mausklick feststellen kann, ob sich eine Fotovoltaikanlage auf dem eignen Hausdach lohnt und wie viel sie bringt. Der Datenschutz hat das Kataster bislang verhindert, das es in den umliegenden Landkreisen längst gibt. Einen neuen Anlauf will der Landrat unternehmen.

Die Frage, trotz vieler Anstrengungen und kleiner Schritte, bleibt: Ist die damals vollmundig angekündigte Energiewende überhaupt noch zu schaffen? "Wenn die Rahmenbedingungen so bleiben, ist das nicht mehr zu stemmen", sagt Landrat Karl Roth, und er klingt dabei nicht gerade begeistert. Josefine Anderer-Hirt ist da etwas optimistischer: "Es gibt ja immer wieder Wunder, auch in der Politik", sagt sie, erinnert an den Fall der Berliner Mauer und lacht. Bis 2035 sind es immerhin noch 18 Jahre. Viel Zeit für Wunder.

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