Altenpfleger aus Vietnam:Frau Müller geht's gut

Altenpfleger aus Vietnam: Einer übt, während die anderen Schüler der Klasse zusehen: der Auszubildende Di Tran Trien und seine Klassenlehrerin Sedef Ölmez.

Einer übt, während die anderen Schüler der Klasse zusehen: der Auszubildende Di Tran Trien und seine Klassenlehrerin Sedef Ölmez.

(Foto: Catherina Hess)

"Sie sind höflich, respektvoll und diszipliniert": Bei der Inneren Mission in München werden 22 Vietnamesen zu Altenpflegern ausgebildet. Sie alle haben in ihrer Heimat spezielle Kurse besucht - und doch hadern sie alle mit demselben Problem.

Von Stephan Handel

Frau Müller soll jetzt eine Spritze bekommen. "Wie geht's es Ihnen, Frau Müller?" fragt Di Tran Trien. "Haben Sie gut geschlafen?" Frau Müller antwortet nicht, was kein großes Wunder ist, denn sie ist ja nur eine Puppe und aus Plastik. Dennoch nimmt Di Tran Trien seine Aufgabe, die Spritze für Frau Müller, sehr ernst. Zum dritten Mal schon desinfiziert er seine Hände, und als er vergisst, die Latex-Handschuhe anzuziehen, seufzt die Klasse hinter ihm: "Oh no!"

"Wie geht's es Ihnen, Frau Müller?", fragt Di Tran Trien noch einmal. Dass er mit den Feinheiten der deutschen Sprache noch nicht bis ins Letzte zurechtkommt, ist kein Wunder: Die siebte Woche erst sind er und seine Klassenkameraden in München, sie haben die Mission, etwas zu unternehmen gegen den Pflegenotstand in deutschen Heimen und Krankenhäusern: Lange schon kann der Bedarf nicht mehr mit deutschen Arbeitskräften gedeckt werden. Deshalb hat sich das Bundeswirtschaftsministerium in Südostasien umgeschaut: 1000 Bewerber meldeten sich auf eine Ausschreibung, 100 wurden ausgewählt, 22 davon werden nun an der Pflegeakademie der Inneren Mission in Sendling zu Altenpflegern ausgebildet.

Höflich, respektvoll und diszipliniert

"Die Vietnamesen passen perfekt in unser Qualitätsprofil", sagt Christian Zanke, Assistent der Geschäftsführung bei "Hilfe im Alter", einer Tochterfirma der Inneren Mission. "Sie sind höflich, respektvoll und diszipliniert." Vor allem aber verfügen sie alle über eine Vorbildung: Sie haben in ihrer Heimat einen Universitäts- oder College-Abschluss in "Nursing" erworben, sind also ausgebildete Krankenpfleger. Zudem haben sie, ebenfalls in Vietnam, einen sechsmonatigen Vorbereitungskurs absolviert, in dem sie unter anderem auch Deutsch lernten.

Deshalb kann Di Tran Trien Frau Müller, seine Plastikpatientin, beruhigen: "Keine Sorge, Frau Müller." Die müsste sie, wäre sie lebendig, tatsächlich nicht haben: Di macht alles übergenau, die Desinfektion, die Reinigung der Arbeitsfläche, die Vorbereitung der Materialien. Nur einmal kommt er in einen Disput mit Sedef Ölmez, der Klassenlehrerin - als er erklärt, dass in Vietnam nun, da Patientin und Spritze soweit seien, auch ein Anti-Schock-Mittel bereitzuliegen habe, für den Fall der Fälle. Sedef Ölmez erklärt, dass das in Deutschland nicht vorgeschrieben sei, und notwendig sei es auch nicht, weil ein Schock wohl kaum zu erwarten bei einer Spritze unter die Haut. Di schüttelt ungläubig den Kopf. Was, einen Mundschutz gibt's auch nicht?

Das sind allerdings unter den Problemen, die Sedef Ölmez zu lösen hat, die kleineren. Die Sprache stellt immer noch das größte Hindernis dar, auch wenn acht Wochenstunden Deutschunterricht auf dem Stundenplan stehen. Dieser Mangel wiegt den Vorteil der medizinischen Vorbildung fast wieder auf. Dennoch, sagt die Lehrerin, sei es ihr ein Vergnügen, mit der Klasse zu arbeiten: Alle extrem motiviert, "Hausaufgaben vergessen gibt's nicht."

Ungewohnt viel Praxis

Für die Vietnamesen ist der Unterricht durchaus eine Umstellung, sagt Di Tran Trien später im Gespräch: viel praktisches Üben, während in Vietnam eher die Theorie im Vordergrund stand. Ungewohnt ist es auch, dass die Lehrerin nicht als allwissende, unangreifbare Instanz vor der Klasse steht, sondern dass Mitdenken, gar Kritik durchaus gefordert wird.

Zwei Jahre dauert die Ausbildung an der Pflegeakademie, in dieser Zeit lernen die Schüler nicht nur den praktischen Teil ihres - späteren - Berufs, sondern auch den theoretischen, rechtliche Vorschriften, Einblick in die Verwaltung, Berufskunde allgemein. 2100 Stunden Unterricht sieht der Lehrplan vor, und 2500 Stunden Mitarbeit in Altenheimen. Die erste Woche dort haben sie schon hinter sich, Nguyen Thi Hai Nhi und Le Thi Hang haben dabei zum ersten Mal einen Badewannenlift gesehen und waren sehr erstaunt: In Vietnam werden alte Menschen zumeist in den Familien gepflegt, die wenigen Heime sind mehr Verwahrstationen, erzählen die beiden 23-jährigen Frauen. Deshalb haben sie auch vor, nach dem Ende der Ausbildung zunächst noch ein paar Jahre in Deutschland zu bleiben und dann erst wieder in die Heimat zurückzukehren.

Ilse Hirdes ist die Leiterin der Pflegeakademie und sagt, so pflegeleicht die vietnamesischen Schüler auch seien, so sei das Projekt doch eine Herausforderung. Am Ende der Schulzeit müssen sie alle die gleichen Prüfungen ablegen wie ihre deutschen Kollegen. "Und es darf nicht passieren, dass jemand durchfällt", sagt Hirdes: Junge Menschen für zwei Jahre ins Ausland zu locken und sie dann mit nichts in der Tasche wieder nach Hause zu schicken, das könne nicht sein.

Sie müssen bestehen

Zudem wäre es in Vietnam für die Schüler wie für ihre Familien eine große Schande, wenn sie als Gescheiterte zurückkämen. Deshalb steht für alle Fälle ein Nachhilfedienst zur Verfügung, Psychologen bei menschlichen Problemen, und eine ehemalige Pflegerin vietnamesischer Herkunft gibt die "Tante", die den jungen Menschen - zwischen 21 und 25 Jahren sind sie alt - außerhalb professioneller Zusammenhänge zur Seite steht.

Natürlich haben sie auch ein Privatleben - sie wohnen zusammen in den Einrichtungen der "Hilfe im Alter", sie haben kurz nach ihrer Ankunft eine Stadtrundfahrt gemacht, und sie erkunden die nähere und weitere Umgebung auch alleine: Am Tegernsee war er, erzählt Di Tran Trien, in Nymphenburg, und, oh ja, auf dem Oktoberfest. Hai Nhi und Hang, seine Kolleginnen, berichten ebenfalls begeistert von dem "Superfest" und behaupten felsenfest, sie hätten jede eine ganze Maß Bier getrunken, "Bier ist super".

Im Unterrichtsraum ist Di Tran Trien nun endlich soweit - Frau Müller kann ihre Spritze bekommen. 40 Minuten hat er gebraucht bis hierhin, was auch dann ein wenig lang erscheint, wenn man Erklärungen und Anmerkungen von Lehrerin Ölmez abzieht. Aber das wird er schon noch lernen in den nächsten zwei Jahren. Frau Müller jedenfalls, soweit man das einer Plastikpuppe ansehen kann, geht's es sehr gut.

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