Altenheime in München:Pflege häufig mangelhaft

Fixierte Patienten, sorgloser Umgang mit Medikamenten: Die Heimaufsicht kontrolliert 61 Einrichtungen in München und sieht "problematische Defizite".

Sven Loerzer

Trotz gestiegener Qualität bleibt "optimale Pflege" die Ausnahme in Altenheimen. Die Gesamtsituation ergebe immer noch "kein zufriedenstellendes Bild", zieht Kreisverwaltungsreferent Wilfried Blume-Beyerle Bilanz der Heimaufsicht für die letzten beiden Jahre. "Zu oft" stelle die Behörde "gefährliche Pflege oder Routinepflege" fest.

Altenheime in München: Als "defizitär" stuft die Heimaufsicht die soziale Betreuung in vielen Senioreneinrichtungen ein.

Als "defizitär" stuft die Heimaufsicht die soziale Betreuung in vielen Senioreneinrichtungen ein.

(Foto: Foto: ddp)

Bei der Kontrolle aller 61 Heime in München überprüften die Mitarbeiter der Heimaufsicht auch die Versorgung einzelner Pflegebedürftiger. Nur in 35 von 1281 Fällen kamen sie zu dem Urteil "optimal", bei 721 Fällen lautete es "angemessen", in 381 Fällen handelte es sich um Routinepflege, bei der auf die Gewohnheiten von Bewohnern keine Rücksicht genommen wird. In 144 Fällen ergab die Überprüfung gefährliche Pflege - das bedeutet, dass körperliche Schäden drohen oder bereits eingetreten sind.

Bei ihren 190 Prüfbesuchen in den Heimen stellte die Aufsicht 205 Mängel fest, mehr als 70 Prozent davon in der Pflege und Betreuung der hilfsbedürftigen Menschen und etwa 20 Prozent beim Umgang mit Medikamenten. Um den Schutz der Bewohner zu gewährleisten, erließ die Behörde Anordnungsbescheide mit insgesamt 49 Auflagen.

In vier Fällen kam es zu einem Aufnahmestopp für neue Bewohner, außerdem wurden drei Beschäftigungsverbote ausgesprochen, in sieben Fällen wurde sogar die Staatsanwaltschaft eingeschaltet, weil der Verdacht der Körperverletzung bestand.

Hohe Fixierungsquoten

"Hochgradig problematische Versorgungsdefizite" macht die Heimaufsicht im Umgang mit Krankheitsbildern wie Demenz und Depression aus: Der Umgang mit Essensverweigerung oder Schlaflosigkeit bringe viele Einrichtungskonzepte "schnell an ihre Grenzen". Die soziale Betreuung sei "häufig als kritisch bis defizitär einzustufen", was aber nicht nur auf die "begrenzten Ressourcen" zurückzuführen sei, sondern auch auf Unwissenheit, Ängste und fachliche Defizite beim Personal.

Im Durchschnitt erleiden immer noch 29 Prozent der Bewohner "freiheitsentziehende Maßnahmen", werden vor allem mit Gurten und Bettgitter ans Bett gefesselt. Nicht nur angesichts der Tatsache, dass es Alternativen gibt, um Stürze zu verhindern, könne bei einer so hohen Fixierungsquote "nur schwerlich von einer guten Pflege gesprochen werden", so der städtische Ordnungschef.

In einem Heim würden sogar fast zwei Drittel der Bewohner fixiert, in einem anderen dagegen nur fünf Prozent. In 34 Fällen stellten die Pflegekräfte Bewohner durch die Gabe von Psychopharmaka "ruhig", ohne dass dafür eine rechtliche Legitimation bestanden hätte. "Die Verschreibung und Gabe von Psychopharmaka zur Ruhigstellung erfolgte offenbar eher sorglos und ohne rechtliches Bewusstsein."

Besonders problematisch ist nach den Erfahrungen der Heimaufsicht die Versorgung der Bewohner in der Nacht. Um die Situation zu verbessern, müsste dafür eine Mindestbesetzung festgeschrieben und - anders als bisher - zusätzlich und nicht auf Kosten des am Tag eingesetzten Personals finanziert werden.

Weit entfernt von wünschenswert

Als unbefriedigend bewertet Blume-Beyerle auch die fachärztliche Versorgung der Bewohner, vor allem mit Psychiatern und Neurologen. Zum einen fehle es häufig an geeigneten Untersuchungsräumen, zum anderen aber auch an Personal, das die Bewohner in die jeweiligen Praxen begleiten könnte.

Insgesamt betrachtet, so Blume-Beyerle in seinem Bericht für den Stadtrat, habe es zwar vor allem im Bereich der körperlichen Versorgung "bei einem Großteil der Einrichtungen eine deutliche Qualitätsverbesserung gegeben". Einige Heime erreichten "sogar gesamtkonzeptionell" eine hervorragende Qualität. Dennoch sei alles in allem "die Qualität nach wie vor nicht so, wie sie sein müsste und wünschenswert wäre".

Außerdem sei die Anzahl der Defizite gewachsen. "Von einer Entwarnung in der Pflege kann somit nicht gesprochen werden", betont Blume-Beyerle. Er sieht den Gesetzgeber und den Staat in der Pflicht, "für eine bessere Ausgangssituation, vor allem auch in finanzieller Hinsicht" zu sorgen: "Eine Basisversorgung nach Kassenlage ist nicht ausreichend." Allerdings hätten es trotz der schlechten Rahmenbedingungen auch die Heime selbst in der Hand, bessere Qualität zu bieten.

Immer öfter muss sich die Heimaufsicht auch um Beschwerden über die Altenpflege kümmern: Ihre Zahl stieg um 76 Prozent auf 116. In fast der Hälfte der Fälle (55) bestätigte das Überprüfungsergebnis die Beschwerde.

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