Vom Flüchtlingskind zum Fitnesscoach:Münchens erste afghanische Sportstudio-Inhaberin

Vom Flüchtlingskind zum Fitnesscoach: Schugufa Issar Amerchel träumt von einem Studio in München mit afghanischem Design - und einem Studio in Kabul, in dem afghanische Frauen trainieren können.

Schugufa Issar Amerchel träumt von einem Studio in München mit afghanischem Design - und einem Studio in Kabul, in dem afghanische Frauen trainieren können.

(Foto: Stephan Rumpf)

In ihrer Heimat hätte sie niemals sporteln dürfen. In München stärkt Schugufa Issar Amerchel als erste afghanische Fitness-Trainerin Münchens die Rücken von Managern.

Von Martina Scherf

Sie trägt gerne Schwarz, schwarze Leggins, schwarzes Top, schwarzer Lidstrich. Sports by Sia steht auf der Trainingsjacke, es ist ihr Logo und ihre persönliche Identität. Eine Identität, die sie sich hart erkämpft hat. Seit Kurzem hat Sia, 29, ihr eigenes Fitness-Studio in München-Bogenhausen. Und dass sie es soweit bringen würde, war ihr nicht in die Wiege gelegt.

Schugufa Issar Amerchel, wie sie mit vollem Namen heißt, stammt aus Afghanistan. Sie floh mit ihrer Familie vor dem Bürgerkrieg in ihrer Heimat, da war sie zehn Jahre alt. Und Sport für Mädchen oder Frauen, das war in Afghanistan ein Tabu. "Ich wollte das nie so recht akzeptieren", sagt sie, "denn ich liebte Sport schon immer." Jetzt ist der Sport ihr Beruf und sie die erste afghanische Fitness-Trainerin in München. Und sie hat große Ziele.

Sia nennt sie sich, weil das für die Deutschen leichter zu merken ist, es sind die Initialen aus ihren Namen. An diesem Dienstagabend hat sie jeden einzelnen Kursteilnehmer mit Handschlag begrüßt und sich nach dem Befinden erkundigt. Dehn- und Kräftigungsübungen, die sich langsam steigern, stehen auf dem Programm. Bauch, Beine, Rücken, Po. "Auf geht's", sagt Sia, legt sich auf den Boden, steckt ihre Beine in die Schlingen, die von der Decke hängen, und bewegt ihren Körper scheinbar mühelos vor und zurück. "Lächeln nicht vergessen!", ruft sie in den Raum, bevor sie mit einem Schwung in die Höhe schnellt und von einem zur anderen geht, um die Haltung ihrer Kursteilnehmer zu korrigieren. Im Hintergrund läuft orientalische Chill-out-Musik.

Bevor sie ihr eigenes Studio eröffnete, hat Sia jahrelang unterschiedliche Trainingsmethoden studiert und praktiziert - Pilates, Yoga, Wirbelsäulengymnastik -, verschiedene Geräte und deren Wirkungen getestet und zahlreiche Lizenzen erworben. Aus all diesen Erfahrungen hat sie dann ihr spezielles "Sia-Training" entwickelt, gespickt mit einer Portion afghanischer Tradition.

Dazu gehört nicht nur die Musik, sondern auch die Ernährungsberatung, die Verbindung der Übungen mit dem richtigen Atmen und überhaupt die innere Haltung - Konzentration, Anspannung, Entspannung und Freude sollen im Einklang stehen. "Die ganze Gesundheit soll ja von meinem Training profitieren, und es soll auch Spaß machen", sagt sie.

Mühelos wechselt sie vom Deutschen ins Englische oder Russische

Sia hat nicht nur viel sportliche Erfahrung und einen geschulten Blick für die Schwächen und Malaisen der Büromenschen - sie spricht auch noch mehrere Sprachen. In einer multikulturellen Stadt wie München ist das ein großer Vorteil. So ist ihr Kundenstamm durch Mund-zu-Mund-Propaganda auch schnell gewachsen. Mühelos wechselt sie vom Deutschen ins Englische oder Russische. Die Kursteilnehmer haben jetzt Thera-Bänder um die Handgelenke geschlungen, "die Spannung halten, nicht locker lassen", sagt Sia und geht wieder zu jedem einzelnen, um zu korrigieren, "ich sehe alles!".

Als Personal Trainerin stärkt die Afghanin Managern den Rücken und joggt mit Karrierefrauen durch Münchner Parks. Es gibt einen Kunden, der reist aus der Schweiz an, um bei Sia zu trainieren. Jeder bekommt seinen individuellen Trainings- und Ernährungsplan, und Neukunden unterzieht sie erst mal einem ausführlichen "Anamnesegespräch" und einem Fitnesstest. "Fast alle haben es ja mit dem Rücken zu tun", sagt sie, "aber jeder Mensch hat andere Bedürfnisse."

Ihren Traum vom Sport konnte sie lange Zeit nur im Stillen träumen. Erst als die Familie 1999 nach Deutschland kam und sie auf eine deutsche Schule ging, lernte sie nicht nur eine neue Sprache und Kultur kennen, sondern konnte sich endlich auch sportlich austoben. Zuerst kamen die Issar Amerchels nach Baden-Württemberg. Ihr Vater war Generaloffizier, die Mutter Bauingenieurin. Sia ging auf die Realschule und machte die Mittlere Reife, mit einem Einser-Abschluss. 2007, nach dem Tod der Mutter, zog die Familie nach München. Sia absolvierte eine kaufmännische Lehre und arbeitete vier Jahre lang in einer Bank.

Ihr Ziel: Den Sport, der einst tabu war, zum Beruf zu machen

Inzwischen hatte aber ihre zwei Jahre ältere Schwester Ghezal Issar Amerchel ein eigenes Restaurant in München eröffnet, das Bamyan Narges im Glockenbachviertel. Der Name erinnert an die berühmten Buddha-Statuen in Bamyan-Tal, die die Taliban 2001 zerstörten, und an Ghezals Kosenamen Narges. "Meine Schwester brauchte mich, also stieg ich da mit ein und machte die Tagesleitung", sagt Sia.

Auch drei ihrer vier Brüder arbeiten in den beiden Restaurants mit - inzwischen gibt es ein zweites Bamyan Narges am Gärtnerplatz. Ihr Bruder Masood kocht, hinter den beiden Bars stehen Haroon und Kamran. Aber ihr Ziel, den Sport, der einst tabu für sie war, zum Beruf zu machen, verfolgte Sia trotzdem mit beharrlich weiter. Und so hat sie sich zehn Jahre, nachdem sie in München eine neue Heimat fand, als Fitnesstrainerin selbständig gemacht.

Sia träumt von einem Fitness-Studio für Frauen in Afghanistan

Inzwischen ist die kleine Gruppe im Bogenhausener Übungsraum mit Black Rolls ausgestattet, schwarzen Hartgummi-Zylindern, die man sich am Boden liegend unter Oberschenkel oder Gesäß klemmt und dann vor- und zurückrollt. Das dehnt und stärkt die Faszien, erklärt die Trainerin den leicht erschöpften Frauen und Männern. "Ist doch wie Thai-Massage, oder?", fragt sie und lacht. Die Menschen folgen gerne ihren Anweisungen, sie vertrauen ihr, das sieht man.

Sia ist dort angekommen, wo sie immer hinwollte, und dabei fügte sich eins zum anderen: die kaufmännische und die sportliche Ausbildung, die Familie, die ihr Rückhalt gibt, und die afghanische Küche mit ihren Jahrhunderte alten Traditionen und Heilkräften, die auch in Sias Ernährungsberatung einfließen. "Die Münchner mögen die afghanische Kultur", sagt sie und lacht. Da versteht sie sich gerne als Botschafterin.

Nun arbeitet die junge Frau an ihrem nächsten Plan. "Ich möchte ein eigenes orientalisches Studio in München eröffnen", sagt sie, "das ich ganz nach meinen Vorstellungen gestalten kann, mit afghanischem Design und Räumen, in denen man nach dem Training gemeinsam bei einem Chai entspannen kann."

Und dann gibt es da noch einen weiteren Traum. Den Traum auf Frieden in ihrer ersten Heimat. Schugufa Issar Amerchel möchte nicht nur ein Stück Afghanistan nach München holen, sondern auch ein Stück westlicher Lebensart nach Afghanistan bringen.

"Mein großes Ziel für die Zukunft ist es, ein ehrenamtliches Fitness-Studio speziell für Frauen in Afghanistan zu errichten", erzählt sie, "und in einem weiteren Schritt vielleicht auch noch eines für Männer." Denn noch sind in Afghanistan Frauen und Männer in der Öffentlichkeit strikt getrennt. "Sport ist bis heute in vielen Teilen des Landes für Frauen und Mädchen nicht möglich. Gymnastik und Fitness gibt es so gut wie überhaupt nicht. Höchstens Bodybuilding, und das natürlich auch nur für Männer", erzählt sie. Eines Tages, davon ist sie überzeugt, wird sie ihr Ziel von einem Fitness-Studio in Afghanistan verwirklicht haben. "Dann bringe ich nicht nur München in Form, sondern auch Kabul", sagt Sia und lacht.

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