Glyptothek:Lilli, die Museumsente

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Entenmutter Lilli passt auf, dass ihre Jungen keinen Unfug treiben. (Foto: Robert Haas)

Immer zur Brutzeit nistet sich eine Stockente im Innenhof der Glyptothek mit wechselnden Erpeln ein - jeden Sommer, seit etwa acht Jahren.

Von Wolfgang Görl

Sie heißt Lilli, und sie ist eine der treuesten Besucherinnen der Glyptothek. Seit etlichen Jahren beehrt sie regelmäßig im Frühjahr das Museum antiker Skulpturen am Königsplatz, ja, sie nistet sich förmlich ein und bleibt für mehrere Wochen. Und wenn sie die Glyptothek Mitte Juli im Watschelgang verlässt, hat sie eine Schar flaumiger Entenküken im Schlepptau.

Die Geschichte, in deren Verlauf eine gewöhnliche Stockente zum bewunderten Glyptothekenvogel mutiert, begann vor circa acht Jahren. Damals, erinnert sich Hausmeister Erwin Niedermaier, war die Ente mit einem Mal da, und zwar nicht allein, sondern mit einem prächtig gefiederten Erpel als Begleiter. Allerdings interessierten sich die Vögel, die offenkundig auf dem Luftweg ins Museum gelangt waren, nicht im geringsten für den Barberinischen Faun oder andere antike Meisterwerke, sondern ihre Aufmerksamkeit schenkten sie einzig und allein dem Innenhof. Ganz besonders hatte es ihnen ein Efeugebüsch angetan, das in einer Ecke des Hofs die Mauer emporwächst. Darin, in etwa zwei Metern Höhe, baute das Paar ein Nest.

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Den Hof der Glyptothek als Nistplatz zu nutzen, ist an sich keine so schlechte Idee, meint Jörg Gebauer, der hauptberuflich Konservator der Staatlichen Antikensammlung und Glyptothek ist, sich nebenher aber zum Entenexperten gemausert hat. "Hier gibt es keine Katzen und keine Hunde", die den Vögeln gefährlich werden könnten - eine ideale Entenkinderstube. Der Erpel aber machte sich aus dem Staub, kaum dass die Eier im Nest lagen. So sind Männer nun mal. Seine Gefährtin, wie bei Stockenten üblich, musste alleine brüten, und nach etwa vier Wochen schlüpften die Küken.

Als die Entlein nach einiger Zeit aus dem Nest sprangen und ihrer Mutter auf den Spaziergängen durch den Glyptothek-Hof sozusagen im Gänsemarsch folgten, war Niedermaier erst einmal ratlos. Was tun? Er rief die Feuerwehr, die zwar die Küken einfing, aber viel zu langsam war, um die Alte zu erwischen. Der Einsatz, man muss es so deutlich sagen, war ein Schlag ins Wasser. Doch Niedermaier fand einen Ausweg, der sich bis heute bewährt.

Es ist Montagmorgen, Ruhetag im Museum, und im Innenhof der Glyptothek wäre tote Hose, würden nicht gerade Schauspieler für die dortigen Theaterspiele proben. Drei Tage zuvor hat Lilli ihr diesjähriges Gastspiel beendet. Wie immer war sie mit einem Gespielen aufgetaucht, hat ein Nest gebaut, Eier gelegt, den Erpel verabschiedet, gebrütet und die Küken betreut. "Es ist immer dieselbe Ente", versichert Niedermaier.

Es sind ein paar kleine Eigenheiten des Gefieders, an denen er Lilli wiedererkennt. Damit die Entenfamilie einen perfekten Aufenthalt in der Glyptothek hat, schnürt der Hausmeister ein Rundum-sorglos-Paket. Er legt Futter aus, Haferflocken, und stellt ein Planschbecken zur Verfügung. Darin starten die Küken ihre Laufbahn als Schwimmvögel.

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In diesem Jahr allerdings kam es zu einer Tragödie. Neun Küken hatte Lilli, doch eines Morgens war die gesamte Brut tot. Was ist geschehen? Am Vortag war die Glyptothek extrem gut besucht, sehr viele Kinder tummelten sich im Innenhof, und vielleicht, so vermutet Niedermaier, haben sie, begeistert von den niedlichen Entlein, die Küken so sehr herumgescheucht, dass sie vor lauter Stress eingingen. Aber auch Krähen kommen als Übeltäter in Frage.

Für solche Unglücksfälle hat die Natur vorgesorgt. "Stockenten können ohne Weiteres ein zweites Mal brüten", erklärt Jörg Gebauer, der Glyptothek-Ornithologe. Lilli tanzt da keineswegs aus der Reihe, auch sie fing wieder von vorne an. Diesmal schlüpften nur drei Junge, deren erste Lebenswochen unter der Obhut ihrer Mutter und der Zusatzpflege durch Hausmeister Niedermaier reibungslos verliefen.

Vergangenen Freitag dann der große und immer etwas traurige Moment, in dem sich der Münchner Zweig der Familie Duck verabschiedet. Entenflüsterer Niedermaier spürt, wann es so weit ist. Dann öffnet er die große Innenhoftür, Lilli und ihre Küken, denen der Hausmeister mit hölzernen Zwischenstufen hilft, kraxeln die Treppe hoch, sie marschieren durchs Café zur zweiten Tür, die ins Freie führt.

Der Entenlotse bringt die Familie sicher ans Ziel

Niedermaier folgt der Wandergruppe mit einigem Abstand, über eine Wiese führt der Weg zur Arcisstraße. Dort spielt er den Schutzmann, er hält den Verkehr auf, damit die Vögel passieren können. Entlang der Stirnseite des Ägyptischen Museums führt Lilli ihre Schar zur Gabelsbergerstraße, die ein besonders gefährliches Pflaster ist. Auf drei Spuren rasen die Autos über die Piste, Niedermaier muss da unbedingt Geleitschutz geben, möglichst unter Einsatz der Fußgängerampel.

Auf der Wiese vor und hinter der Alten Pinakothek watschelt die Entenparade wieder auf sicherem Terrain, das Tempo ist hoch, Orientierungsstopps gibt es nicht. Lilli kennt den Weg genau, "die Viecher san so schlau", schwärmt Niedermaier. An der Theresienstraße fungiert er wieder als Verkehrspolizist, dann ist das Ziel erreicht: der künstliche Teich vor dem Restaurant Hunsinger in der Neuen Pinakothek. Offenbar hat Lilli ein Faible für Museen. Falls es sie im nächsten Jahr wieder in die Glyptothek zieht: Hausmeister Niedermaier steht bereit.

© SZ vom 20.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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