Allach-Untermenzing:Gefahr am Wehr

Die Schnelleinsatzgruppe Wasserrettung vom Langwieder See probt in einem tückischen Abschnitt der Würm, wie man Menschen vor dem Ertrinken rettet, wenn sie der Sog der Strömung erfasst

Von Anita Naujokat, Allach-Untermenzing

Einsatzbesprechung in der Wasserwachtstation am Langwieder See: Manfred Gürich erläutert anhand eines Videofilms den jungen Frauen und Männern rings um den Tisch die anstehende Rettungsübung. Einsatzort ist die Würm in der Grünanlage an der Servetstraße gegenüber der alten Mühle, dort, wo auch das Kneipp-Becken ist. Die Würm teilt sich an dieser Stelle in zwei Seitenarme, in der Mitte ist eine Insel, die in Privatbesitz sei, erläutert Gürich. Das Szenario: Ein Spaziergänger hat gemeldet, wie ein Mann von einer in der Würm treibenden Luftmatratze gefallen ist und von der Strömung fortgerissen wurde.

Gürich ist einer der Einsatzleiter der zur Wasserwacht des Bayerischen Roten Kreuzes gehörenden Schnelleinsatzgruppe Wasserrettung (SEG). Die SEG München-West ist zusammen mit der SEG am Heimstettener See im Osten bis auf den innerstädtischen Teil der Isar für sämtliche Seen, Flüsse und Gewässer in der Stadt und im Landkreis München zuständig. Zum Stützpunkt gehört auch eine First-Responder-Einheit (FR), die rund ums Jahr auch bei Notfällen im Umkreis außerhalb vom Wasser tätig wird. Geübt wird einmal im Monat an allen Seen und Flüssen im Zuständigkeitsgebiet.

Allach-Untermenzing: Üben für den Ernstfall: Selbst für ausgebildete Wasserretter wie Matthias Gentz ist die starke Strömung mitunter eine Herausforderung.

Üben für den Ernstfall: Selbst für ausgebildete Wasserretter wie Matthias Gentz ist die starke Strömung mitunter eine Herausforderung.

(Foto: Robert Haas)

Der Übungsort dieses Mal ist kein Zufall: Kürzlich waren im Bezirksausschuss (BA) Allach-Untermenzing der zunehmende Badebetrieb an der Stelle in der Würm und die mangelhaften Sicherheitsmaßnahmen das Thema. Gürich ist ebenfalls Mitglied in dem Stadtteilgremium. Er kann die Gefahr in diesem Abschnitt nur bestätigen. Der Laie mag es kaum glauben: Aber besonders tückisch seien Wehre, wenn die Schotten oder Bretter heruntergefahren sind. Denn bleibt auch nur ein noch so kleiner Spalt zwischen Balken und Untergrund, drücken die Wassermassen mit einer solchen Gewalt durch die Enge, dass selbst ein erwachsener Mann durch den Sog nicht mehr hochkommen könne. Eine solche Öffnung könne schon ein Stein oder ein Ast auslösen. "Wir schicken dort nicht mal Rettungstaucher hinunter", sagt Gürich. In einem echten Notfall würde man versuchen, dem Verunglückten mit Stangen zu helfen.

Eine solche riskante Stelle ist das Wehr am Nebenarm, die andere einige Meter weiter nördlich im Hauptarm an der Turbine, wo sich ebenfalls das Wasser mit großer Kraft durchdrängt. Im ruhigen Bereich davor werde gern gebadet, sagt Gürich. "Die Leute springen rein, lassen sich ein Stück vortreiben und klettern seitlich wieder raus." Vor der Turbine, die zur Stromerzeugung dient, ist ein Rechen angebracht, um Äste und anderes Treibgut abzufangen. Wer diesem zu nahe kommt, werde wie beim Wehr ebenfalls unweigerlich von der Strömung gegen den Rechen gedrückt und habe keine Chance mehr, über die Wasseroberfläche zu kommen, sagt Gürich. In Norddeutschland sei ein Berufstaucher an so einem Wehr förmlich um das Brett gewickelt worden.

Allach-Untermenzing: Bei einem echten Unglück würden die Helfer sofort mit Herzmassage, Mund-zu-Mund-Beatmung beginnen und Sauerstoff reichen.

Bei einem echten Unglück würden die Helfer sofort mit Herzmassage, Mund-zu-Mund-Beatmung beginnen und Sauerstoff reichen.

(Foto: Robert Haas)

Auf dem Weg zur Übung nimmt Rudolf Brettner, als Vorsitzender der Ortsgruppe München-West Chef von etwa 45 aktiven Wasserrettern - darunter elf Rettungstaucher und eine -taucherin -, kein Blatt vor den Mund. "Der Mensch ist kein Fisch", sagt er. Nach drei Minuten unter Wasser sänken die Überlebenschancen in der Regel so ziemlich auf Null. 400 Menschen ertränken pro Jahr in Deutschland, allein in der Stadt und im Landkreis München seien es zehn bis 15.

Meist kämen die Helfer zu spät, weil Angehörige oder Freunde zunächst selbst nach einem Verschwundenen am See suchten, bevor sie Alarm schlügen. Deshalb gehöre auch die Suche nach Leichen zu den Aufgaben derer, die eigentlich Leben retten wollen. "Die Toten zu bergen, ist man den Angehörigen schuldig", sagt Brettner, der sonst bei der Berufsfeuerwehr in München tätig ist. In Fließgewässern seien die Aussichten, noch helfen zu können, besser als in den Seen. In Flüssen bestehe die Chance, dass sich jemand noch an etwas festklammern könne.

Allach-Untermenzing: Notrufsäule an der Würm.

Notrufsäule an der Würm.

(Foto: Robert Haas)

Felix Engel und Matthias Gentz müssen an diesem Tag ins Wasser. Ihre Neoprenanzüge und ihre Ausrüstung haben sie wie beim Ernstfall auch schon während der Fahrt im Wagen angelegt, was auf dem holprigen Weg von der Rettungsstelle zur Goteboldstraße nicht einfach ist. Dabei sei der Weg, um dessen Ausbau seit einiger Zeit gerungen wird, derzeit noch in einem einigermaßen erträglichen Zustand, da vor Kurzem die Schlaglöcher aufgefüllt worden seien, sagt Gürich. Doch besonders im Winter und nach Regenfällen koste er die Retter wertvolle Minuten. Die Stadt und die Untere Naturschutzbehörde seien nach einigem Widerstand mittlerweile für eine Befestigung, jetzt hake es an der Eigentümerin, der Autobahndirektion Südbayern, sagt Gürich. "Wir nehmen den Weg immer so schnell, dass wir noch ankommen", sagt Brettner diplomatisch auf die Frage, wie schnell man darauf noch fahren könne.

Am Fluss angelangt, werden die Funkrufnamen zugewiesen. Derzeit geht die Kommunikation nur analog, obwohl die Wasserretter schon über Digitalfunk verfügen. Doch wegen des G-7-Gipfels sei der Digitalfunk - der eigentliche Kanal der Polizei - aus Angst vor Überlastung für fast alle Gruppen gesperrt worden, hatte Brettner schon zuvor erläutert.

Angeleitet von Christoph Riederer und Ausbilder Michael Guess suchen zwei Gruppen in jeder Richtung den Fluss und die Ufer ab. Die blaue Luftmatratze haben sie schon bald in Richtung der Turbinen gefunden. Kurz danach entdecken die Helfer auch den "Vermissten", der sich im Gestrüpp am Ufer verfangen hat. Die vollgelaufene Attrappe muss erst einmal geleert werden, bevor die Helfer sie aus dem Wasser bergen können. Im Ernstfall würden jetzt sofort Mund-zu-Mund-Beatmung, Herzmassage, Defibrillator und Sauerstoffzufuhr eingesetzt, bevor der Verunglückte unter laufender Reanimation in die Klinik gebracht werde. Doch dieses Mal war es zum Glück nur eine Puppe.

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