Aids in München:"Die traurigen Tage werden noch kommen"

Pro Jahr stecken sich 200 Münchner mit HIV an. Die Therapie wird immer besser, nach wie vor sind Homosexuelle am stärksten gefährdet.

Philipp Crone

Das Robert-Koch-Institut (RKI) schätzt, dass sich bis Ende Dezember etwa 400 Menschen in Bayern in diesem Jahr neu mit dem HI-Virus infiziert haben werden, die Hälfte davon in München. Die Therapie werde, so die Fachleute, zwar immer besser, eine Impfung sei aber nach wie vor noch nicht in Sicht.

Aids in München: Ein Schnelltest kostet 26 Euro, wirbt die Münchner Aids-Hilfe.

Ein Schnelltest kostet 26 Euro, wirbt die Münchner Aids-Hilfe.

(Foto: Foto: afp)

Christian hat es im Biergarten erfahren. Der 27-Jährige wurde an einem Nachmittag in diesem Sommer vom Blutspendedienst angerufen. Mit den Werten seiner letzten Spende würde etwas nicht stimmen, habe man ihm gesagt. Einen Tag später war klar: Er hat sich mit dem HI-Virus infiziert."Ich habe dann sofort angefangen, mich mit Informationen vollzupumpen", sagt der Handwerker, der in einer "lockeren" homosexuellen Beziehung lebt. Die Auswahl an Hilfestellungen war denkbar groß.

Michael Tappe, fachlicher Leiter der Münchner Aids-Hilfe, sagt: "Das Betreuungssystem in München ist hervorragend." Es gibt für die mehr als 5000 HIV-Positiven in der Stadt Kliniken wie etwa die HIV-Spezialambulanz der LMU, dazu mindestens zehn auf HIV spezialisierte Ärzte zur Auswahl, das sind mehr als in Berlin. Einer von ihnen ist Hans Jäger. Der 61-Jährige hat seit 20 Jahren eine Schwerpunktpraxis am Stachus und ist heute zuversichtlich. "Es wird zwar auch in den nächsten zehn Jahren keine wirksame Impfung gegen HIV geben, aber die Therapie wird immer wichtiger." Denn dadurch seien mittlerweile bis zu 80 Prozent seiner Patienten nicht mehr ansteckend.

Jäger sagt: "Man kann davon ausgehen, dass Patienten, bei denen der HI-Virus im Blut sechs Monate lang unter der Nachweisgrenze ist, nicht mehr infektiös sind." So gelte heute nicht nur Safer Sex, sondern auch die Behandlung als Vorsorge. Auch Tappe sieht in der Therapie eine Präventionsmöglichkeit. "Es darf nun aber natürlich nicht so sein, dass alle ihre Kondome wegwerfen." Für die Betroffenen sei es jedoch ein enormer psychischer Vorteil, wenn sie wissen: Ich bin nicht mehr ansteckend.

Zahl der Neuinfektionen ist konstant

Trotz der wissenschaftlichen Fortschritte ist die Zahl der Neuinfektionen laut RKI stabil auf hohem Niveau. Seit eineinhalb Jahren sei die Infektionsrate nun stabil, nachdem sie nach einem zwischenzeitlichen Rückgang wieder angestiegen war. "Aids wurde in dieser Phase nicht mehr so stark wahrgenommen", sagt Tappe. Da die Zahl der Neuinfektionen konstant sei, aber immer weniger Menschen an Aids stürben, lebten immer mehr an HIV erkrankte Patienten in Deutschland, erklärt Tappe.

In Zukunft will die Münchner Aids-Hilfe noch mehr für die Aids-Tests werben. Ein Schnelltest kostet 26 Euro, und schon nach einer halben Stunde steht das positive oder negative Ergebnis fest. "Die meisten Infektionen passieren mittlerweile bei Menschen, die glauben, dass sie HIV-negativ sind und dass sie kein Risiko eingehen", sagt Tappe. Oft würde das Kondom weggelassen, weil beide Partner davon ausgehen, nicht infiziert zu sein. Deshalb sei es so wichtig, in kurzen, regelmäßigen Abständen einen Test zu machen. Dafür wirbt die Aids-Hilfe vor allem auch in der schwulen Szene Münchens.

Zwei Millionen sterben jährlich

Laut RKI ist die Gruppe der homosexuellen Männer nach wie vor unter den etwa 63.500 Menschen, die in Deutschland mit HIV oder Aids leben, mit einem Anteil von etwa 60 Prozent am größten. Weltweit sind 40 Millionen Menschen mit dem HI-Virus infiziert, zwei Millionen sterben jährlich, sagt Tappe.

Der Arzt Hans Jäger geht davon aus, dass es innerhalb der nächsten acht Jahre möglich sein wird, die Krankheit zu heilen, "wenn sich der wissenschaftliche Fortschritt weiter so fortsetzt wie im Moment". In diesem Jahr konnte zum ersten Mal ein Patient nach einer Knochenmarktransplantation als geheilt eingestuft werden. "Das ist allerdings ein sehr aufwendiges und nicht ungefährliches Verfahren", sagt Jäger.

Der 27-jährige Christian will eine Therapie machen, sobald sich seine Werte verschlechtern. Momentan sind sie normal. "Noch bin ich sehr locker", sagt er, "aber die traurigen Tage werden noch kommen."

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