Abschied :Schweini gehabt

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Warum geht der Abschied vom bayerischen Bayern-Spieler Bastian Schweinsteiger vielen Münchnern nahe? Weil er in der großen Plastik-PR-Welt des Profifußballs einer der wenigen war, die noch wirklich in der Stadt gelebt haben

Von Philipp Crone

Spät in der Nacht nach dem verlorenen Champions-League-Finale von 2012 steigt Bastian Schweinsteiger die Wendeltreppe des Heart-Club nach oben, das Gesicht von einem Schal verhüllt. Die meisten anderen Spieler haben sich auf den Heimweg gemacht in ihre Grünwalder Villen. Schweinsteiger macht das, was jeder normale Sportler nach einer so bitteren Niederlage machen würde: Er feiert sie weg.

Normal. In der Welt des FC Bayern und seiner Spieler ist es normal, dass man von den kickenden Münchner Vorortbewohnern nichts mitbekommt. Sie existieren eigentlich nicht. Der Lebensfahrplan für die Vertragslaufzeit in München lautet heute üblicherweise: Säbener-Grünwald, Grünwald-Säbener. Und höchstens mal ins H'ugo's, wo Ferraris vor der Tür stehen mit der Aufschrift: "Gott liebt auch dich". Aber wenn, dann ist mindestens der Berater dabei, wenn nicht gleich die Berater-Blase.

Normal wäre, sich in dieser wunderbaren Stadt in ein Café zu setzen, zum Beispiel am Gärtnerplatz, wer da in der Nähe wohnt. Normal ist es für Schweinsteiger gewesen, hier zu leben, nicht nur hier zu sein. Also lud er jedes Jahr zu einer fulminanten Faschingsparty ein, zu der dann Freunde aus der Stadt kamen, und die ganze Mannschaft. Die durften endlich mal raus aus Grünwald.

Schweinsteiger hatte nie Berater dabei, stattdessen seinen Bruder Tobias oder früher Mitspieler Andreas Ottl und Mario Gomez, der auch gerne in München unterwegs war. Gomez ging dann nach Florenz. Auch eine Stadt, in der man gut leben kann. Nikias Hofmann, Betreiber des Heart, sagt: "Bastian war einer der wenigen, die sich noch frei bewegt haben. Viele verschanzen sich ja nur noch."

Schweinsteiger nicht. Er hockt bei seinem Italiener in der Reichenbachstraße an einem Tisch auf dem Bürgersteig und lässt sich von keinem Fan aus der Ruhe bringen. Er wohnt in einem Haus mittendrin, an seinem Klingelschild soll der Name eines berühmten Fußballers stehen, der ebenfalls in England spielte. Er trägt als Frischverliebter die Taschen seiner Freundin, der Tennisspielerin Ana. Zeigt ihr mit dem Fahrrad die Stadt, seine Stadt. Und früher war er dort mit dem Model Sarah Brandner zusammen unterwegs, die ebenso wie Ana Ivanović nicht in Verdacht geriet, ein weitgehend willenloses Villenweibchen zu sein, das gestresst ist, weil der Yoga-Personalcoach ein paar Minuten zu spät kommt.

Wenn heute wieder ein spanischer Neuzugang zu vermelden ist beim FC Bayern, dann sind diese Spieler oft derart überfordert von dem neuen Leben, dass sie lieber im spanischen Freundeskreis nach Hilfe suchen, als mal einen der Münchner zu fragen, wo die schönen Ecken sind. Und selbst wenn: Wen könnten sie jetzt noch fragen? Es hat ja schon Monate gedauert, bis zumindest einige Spieler auf ihren Fahrplan die Haltestelle Audi-Dome gesetzt haben. Dort ist auch der FC Bayern, Basketball. Schweinsteiger hat mit Abstand die meisten Spiele seiner großen Kollegen gesehen, mit ihnen Freiwurf-Wettbewerbe ausgetragen und sich mit dem früheren Kapitän Steffen Hamann angefreundet. Bei den Basketballern ist es übrigens üblich, dass die Neuankömmlinge von einem Etablierten die Stadt gezeigt bekommen.

Der Bolzplatz bei ihm im Viertel ist in Gefahr und droht, abgerissen zu werden? Da wirft der 30-Jährige sich den großen Schal um und Bälle in die Kindermenge, die natürlich kommt, um Schweini-31 zu bejubeln. Oder er macht bei einer Aktion für Flüchtlinge mit. Aber statt den distanzierten Profi zu geben wie sonst so viele, fällt er in Tanz und Gesang der jungen Menschen mit ein. Er macht einfach, was er will.

Wenn man ihn als Sportler beschreibt, dann wird auch hier die seltsame Fußballwelt deutlich, in der Schwalben und theatralische Verletzungssimulation zum Alltag gehören. Sein Cut am Auge im Finale der Weltmeisterschaft 2014 gegen Argentinien ist bis heute für viele der Beweis, was für ein heroisch schmerzresistenter Anführer dieser Mann ist. Blutend ging er vom Platz, die Ärzte tackerten die Wunde am Spielfeldrand, Schweinsteiger zuckte kurz. Heldenhaft? Wie lächerlich. Auch hier gilt: Der Mann ist ganz normal. Minuten vor dem Gewinn eines Weltmeistertitels kennt ein Leistungssportler keine Schmerzen mehr. Tackern ist halt ungewohnt und unangenehm. Darüber gesprochen hat Schweinsteiger ohnehin kaum. Warum auch?

In England können sie sich jetzt auf einen neugierigen Spieler freuen, der sich sicher nicht in einem Vorort verkriechen wird. Auch deswegen geht er ja dorthin, um Neues zu sehen. Auf keinen Fall, um jetzt einfach nur auf der anderen Straßenseite den Weg zum Trainingsgelände und zurück zu fahren.

© SZ vom 14.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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