Abschiebehaft für Flüchtlinge:Ohne Urteil in Stadelheim

Justizvollzugsanstalt Stadelheim, 2011

Hunderte Menschen werden Jahr für Jahr in Stadelheim inhaftiert, ohne dass sie etwas verbrochen haben.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Ausländer, die abgeschoben werden sollen, werden inhaftiert - obwohl die Gesetzeslage reichlich unklar ist. Ein Münchner Jesuit versucht, die Praxis der Abschiebehaft in Bayern aufzubrechen. Erste Erfolge vor Gericht hat er erzielt, doch die Staatsregierung will an ihrem umstrittenen Procedere festhalten.

Von Bernd Kastner

Hunderte Menschen werden Jahr für Jahr in Stadelheim inhaftiert, ohne dass sie etwas verbrochen haben, ohne dass sie ein Gericht verurteilt hätte. Ein Münchner Jesuit versucht nun zusammen mit vier Rechtsanwälten, die Praxis der Abschiebehaft in Bayern aufzubrechen - im Sinne der Flüchtlinge. Erste Erfolge hat Dieter Müller vom Jesuiten-Flüchtlingsdienst vor Gericht bereits erzielt, ein Asylbewerber musste freigelassen werden. Doch die Staatsregierung will an ihrem umstrittenen Procedere weiter festhalten.

Asylsuchende, die in ihre Heimat oder einen anderen europäischen Staat abgeschoben werden sollen, werden weiter in gewöhnlichen Gefängnissen festgehalten. Aus Sicht von Müller und dem Münchner Anwalt Michael Sack verstößt dies gegen europäisches Recht. Zudem leiden die Flüchtlinge unter der Stigmatisierung.

Die Diskussion um die Abschiebehaft wird weniger politisch als vielmehr juristisch geführt. Seit 2010 schreibt eine EU-Richtlinie vor, Abschiebehäftlinge in gesonderten Einrichtungen unterzubringen. Nur wenn ein Mitgliedsstaat über keine solche Einrichtungen verfügt, dürfen sie in gewöhnlichen Justizvollzugsanstalten inhaftiert werden.

In Bayern warten, mangels gesonderter Einrichtungen, derzeit laut Innenministerium rund 80 Abzuschiebende in Gefängnissen auf ihre Zwangsausreise, die meisten in Stadelheim. Dort sind sie zwar in einer separaten Abteilung unterge-bracht, die Haftbedingungen unterscheiden sich aber kaum von Straf- oder Untersuchungsgefangenen.

Müller vergleicht die Bedingungen in der JVA Stadelheim mit denen in der Berliner Abschiebeeinrichtung. In Berlin dürfe ein Flüchtling etwa 30 Stunden im Monat Besuch empfangen - in Stadelheim nur vier Stunden. In Berlin dürfe er unbeschränkt sein eigenes Handy benutzen, sofern es keine Kamera habe - in München komme ein Flüchtling nur etwa zweimal fünf Minuten pro Woche zum Telefonieren, unter Aufsicht.

Die bayerische Praxis erschwere die Kommunikation der Flüchtlinge mit ihren Familien, Freunden und Anwälten enorm. Vor allem aber mache diesen Menschen die Kriminalisierung zu schaffen, kritisiert Müller. Bei vielen Bürgern entstehe durch die Inhaftierung der Eindruck: Die haben bestimmt was ausgefressen. Nein, sagt Müller, haben sie nicht. Sie haben nur versucht, Schutz zu suchen in Deutschland.

45 Haftbeschwerden eingereicht

Der Jesuit hat nun mit den vier Asyl-Anwälten Ingvild Stadie, Felicitas Kohler, Michael Sack und Franz Bethäuser in einer konzertierten Aktion 45 Haftbeschwerden eingereicht. Damit soll endlich geklärt werden, was in der EU-Richtlinie der Begriff "Mitgliedsstaat" bedeutet. Die Staatsregierung interpretiert die Vorschrift so: Wenn kein separates Abschiebegefängnis in einem Bundesland vorhanden ist, darf man die Flüchtlinge in eine JVA bringen - weil im EU-Mitgliedsstaat Bundesrepublik die Länder für Abschiebungen zuständig sind.

Jesuit Müller und Anwalt Sack aber sagen: Im Mitgliedsstaat, also der Bundesrepublik, sind sehr wohl eigene Einrichtungen da, in Brandenburg, Berlin und Rheinland-Pfalz, also müsste Bayern die Abschiebehäftlinge dorthin schicken - oder sie freilassen. Letzteres ist vor kurzem auf richterlichen Beschluss hin passiert: Das Landgericht München II, zuständig für den Großraum, hat einen Eriträer auf freien Fuß gesetzt.

Die Münchner Richter berufen sich dabei auf den Bundesgerichtshof in Karlsruhe. Der hat dem Europäischen Gerichtshof die Frage vorgelegt, wie die EU-Richtlinie zu interpretieren sei. Dabei hatten die Karlsruher Richter deutlich zu verstehen gegeben, dass sie erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der bisherigen Praxis haben. Zugrunde liegt ihr das deutsche Aufenthaltsgesetz, in dem aus "Mitgliedsstaat" das Wort "Land", also Bundesland, wurde.

Das Landgericht München II hält es für "wahrscheinlich", dass die bisherige Gesetzesauslegung demnächst höchstrichterlich gekippt werde. Laut Michael Sack habe auch das Landgericht München I diese Auffassung zum Ausdruck gebracht, zu einer weiteren dezidierten Entscheidung zu den Haftbedingungen sei es bislang aber vor keinem Gericht gekommen. Dennoch seien 24 Flüchtlinge bereits freigelassen worden.

Die für die Abschiebung zuständigen Behörden, meist Bundespolizei oder Ausländerämter, hätten inzwischen mehrfach die Flüchtlinge von sich aus freigelassen - vor einer Gerichtsentscheidung. Auch manche Richter hätten Abschiebehäftlinge freigesetzt, aus verschiedenen formalen Gründen, so vermieden sie eine generelle Bewertung der Praxis.

Das bayerische Innenministerium gibt sich gelassen: Man sei überzeugt, rechtmäßig zu handeln, so manches Gericht sehe das ja auch so. Also bleibe es bei der bisherigen Praxis der Abschiebehaft - solange der Europäische Gerichtshof nichts Gegenteiliges beschließe. Bis zu einer Entscheidung aber wird es noch viele Monate dauern. Solange werden Flüchtlinge inhaf-tiert, obwohl die Gesetzeslage reichlich unklar ist.

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