Abi-Affäre an Münchner Gymnasium:Stadtschulrat schaltet Staatsanwalt ein

Die Affäre um einen möglichen Betrug an einem Münchner Gymnasium weitet sich aus. Während Stadtschulrat Schweppe eine lückenlose Aufklärung ankündigt, geht es längst auch um die Frage, ob die Beziehung zwischen Direktor und Schüler unangemessen eng war - und wer gegebenenfalls davon wusste.

Von Peter Fahrenholz und Katja Riedel

Die Abi-Affäre am Thomas-Mann-Gymnasium (TMG) weitet sich aus. Münchens Stadtschulrat Rainer Schweppe hat inzwischen die Staatsanwaltschaft eingeschaltet und auch die Stadtspitze informiert. Dabei geht es nach SZ-Informationen mittlerweile nicht mehr nur um den Verdacht, dass der vorläufig suspendierte Direktor Jörg L. einem Schüler beim diesjährigen Abitur vorab Prüfungslösungen zugespielt haben soll. Es geht auch um die Frage, ob der Schulleiter schon seit Längerem pädagogisch unangemessene Beziehungen zu Schülern unterhalten hat - und, falls ja, wer hiervon wusste.

Schulreferent Schweppe hat deshalb über das Personalreferat, das bei disziplinarrechtlichen Vorgängen zuständig ist, die Staatsanwaltschaft informiert. "Wir werden alles tun, dass der Sachverhalt rückhaltlos aufgeklärt wird", sagte der Schulreferent der SZ. Die Staatsanwaltschaft werde alle relevanten Unterlagen erhalten. Es gebe deswegen in seiner Behörde und beim Personalreferat eine "Durchforstung der Aktenlage".

Dabei sollen auch mögliche Auffälligkeiten aus der Vergangenheit überprüft werden. "Alles, was wir finden, geben wir weiter", sagte Schweppe, "da wird nichts gefiltert." Am Donnerstag hat der Stadtschulrat Bürgermeisterin Christine Strobl (SPD) über den Fall informiert. Sie vertritt OB Christian Ude während seines zweimonatigen Sonderurlaubs. Auch die Stadtspitze nehme den Vorgang "sehr ernst", sagte Schweppe. Die Ergebnisse der rathausinternen Überprüfung wird die Stadt ebenfalls an die Staatsanwaltschaft weiterleiten. Diese prüft derzeit, ob sie gegen Jörg L. ein Verfahren wegen des Verrats von Dienstgeheimnissen einleiten soll.

Der 61-jährige Musiklehrer soll seit mindestens 2011 ein überaus freundschaftliches Verhältnis zu dem betreffenden Schüler unterhalten und dies auch nicht verheimlicht haben. Aufgrund von zwei konkreten aktenkundigen Informationen hierüber hatte das Schulreferat bereits 2011 Unterlagen zur Aufklärung des Sachverhaltes an das städtische Personalreferat übergeben. Offenbar wurden Zeugenaussagen, die das Verhältnis zwischen Jörg L. und dem Schüler betrafen, jedoch wieder zurückgezogen - unklar ist, ob dies auf Druck hin geschah. Es blieben aber Vorwürfe, die L.s Art der Schulleitung und sein Verhalten bemängelten.

An der Schule griff das Personalreferat trotzdem nicht ein. Offenbar sahen der Schüler und der Direktor auch keinen Anlass, ihren engen Kontakt zu verheimlichen. Konsequenzen folgten erst, als vor wenigen Wochen Korrektoren der Abiturprüfung Hinweise sahen, die nahelegten, dass der Schüler über den Inhalt der Abiturprüfung im Fach Musik vorab informiert gewesen sein könnte.

Lehrer und Schüler weisen Anschuldigungen zurück

Dabei steht der Vorwurf im Raum, Jörg L. könnte einen versiegelten Prüfungsumschlag vorzeitig geöffnet haben. Am Prüfungstag fiel nach Schilderungen aus der Schule auf, dass der Schüler sehr knapp vor Beginn der Klausur erschien, aber bereits nach 15 Minuten eifrig losschrieb. Alle anderen Schüler seien da noch dabei gewesen, die Aufgaben durchzulesen. Nach kurzer Zeit habe er offenbar bereits abgeben wollen - und zwar früher, als dies überhaupt erlaubt gewesen sei, heißt es.

Erst- und Zweitkorrektor der Klausur gewannen dann offenbar den Eindruck, dass die Formulierungen dem Wortlaut des Erwartungshorizonts erstaunlich ähnlich seien. Sie meldeten dies dem Prüfungsausschuss, der eine Drittkorrektur an einer anderen Schule beantragte. Dieser dritte Korrektor verständigte dann das Kultusministerium, das die Ermittlungen an die zuständige Ministerialdirigentin übergeben hat. Deren Urteil über mehrere fragliche Prüfungen, sowohl aus der Qualifikationsphase als auch aus dem Abitur, steht noch aus. Das städtische Personalreferat gibt an, den Schulleiter bereits vor einigen Wochen vorläufig suspendiert zu haben.

Jörg L. ließ über einen Anwalt alle Vorwürfe zurückweisen: Es habe keine Manipulation bei der Abiturprüfung gegeben. Es gebe zu keinem Schüler ein engeres persönliches Verhältnis. Die Beziehung auch zu jenem Schüler habe ausschließlich mit schulischen Belangen zu tun. Der Anwalt wirft der Stadt vor, das Verfahren sei weit von rechtsstaatlichen Standards entfernt. Das Gutachten, das Ähnlichkeiten zwischen der Abiturarbeit und der amtlichen Musterlösung nahelege, sei substanzlos. Dass die Stadt seinen Mandanten vorläufig vom Dienst entbunden habe, sei unwahr. Es habe nur eine "Maßnahme" getroffen, weil ein Verdacht im Raum stehe.

Der Schüler, dem Unterschleif bei der Abiturprüfung vorgeworfen wird, bestreitet über seinen Anwalt sowohl einen engen Kontakt zu dem Lehrer als auch den Unterschleif "in aller Deutlichkeit". Derartige und ähnliche Behauptungen und Gerüchte seien "völlig unrichtig". Ihm sei die schriftliche Abiturprüfung "ohne jegliche fremde Hilfe gelungen". Sein Mandant sei ein hervorragend begabter Musiker, Pianist, Chor- und Orchesterdirigent, der sogar den Schulchor leitete, in dem auch viele Lehrer sängen. Gerüchte entstammten "gewissen Neidkomplexen", schreibt der Anwalt des Schülers. In einer schriftlichen Stellungnahme hat der Schüler seinem Anwalt zufolge geschrieben: "Hier muss ich bemerken, dass ich mir die volle Punktzahl redlich verdient habe."

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