Abfallbeseitigung:Der Pappe satt

Weil an Café-Theken immer mehr Getränke in To-go-Bechern ausgegeben werden, sind sie neuer Schauplatz eines alten Glaubenskrieges: Bequemlichkeit gegen Nachhaltigkeit. In München regt sich Widerstand

Von Laura Kaufmann

Die Kundin schüttelt energisch den Kopf. "Doch nicht einen Espresso, so viel Zeit hat wirklich jeder", antwortet sie auf die harmlose Frage des Barista: "Zum Mitnehmen?" Vor ihr fummelt eine andere Kundin gerade einen Strohhalm durch den Plastikdeckel ihres Bechers - sie sieht ein bisschen so aus, als wolle sie sich unsichtbar machen.

Theken wie diese hier im Café Benko an der Luisenstraße sind der neue Schauplatz eines Glaubenskriegs, des Kampfes von Bequemlichkeit gegen Nachhaltigkeit. Sie sind die Nachfolger der Supermarktkasse, wo es mittlerweile selbstverständlich ist, eine mitgebrachte Stofftasche hervorzuziehen. Dem Barista aber einen eigenen Alubecher entgegenzustrecken, dem haftete bis vor Kurzem noch etwas Übereifriges an. Bis vor Kurzem.

"Manche Gäste haben im Moment ein schlechtes Gewissen, wenn sie einen Kaffee zum Mitnehmen bestellen", berichtet Rüdiger Pankrath. Er betreibt das Coffeemamas an der Lindwurmstraße und hat Anfang des Jahres eine zweite Filiale an der Müllerstraße eröffnet. Es kämen durchaus Kunden mit Mehrwegbechern, sagt er - aus Alu oder aus Porzellan oder klein zusammenfaltbar aus dem Outdoorladen. Von 100 Kunden am Tag sei das aber vielleicht einer. "Wir füllen gern in Mehrwegbecher. Da sehen wir uns in der Pflicht der Umwelt gegenüber", sagt Pankrath.

Abfallbeseitigung: "Ich finde es schon interessant, dass Plastiktüten so ein No-go geworden sind, während To-go-Becher noch die Norm sind."

"Ich finde es schon interessant, dass Plastiktüten so ein No-go geworden sind, während To-go-Becher noch die Norm sind."

(Foto: Catherina Hess)

Grund für das Umdenken sind auch Initiativen wie die des Bezirksausschusses Schwanthalerhöhe. Der wollte der Pappbecherflut mit einer Zwangsabgabe von 20 Cent je Stück beikommen. Das sei rechtlich nicht möglich, entgegnete die Stadtverwaltung. Nun fordern die Stadtteilpolitiker, die Stadt solle zumindest mit einer Kampagne bei den Münchnern dafür werben, dass sie Mehrwertbecher nutzen; die Rathaus-SPD hat sich der Initiative angeschlossen. Dabei ist der Bavariapark, auf den der Bezirksausschuss unter anderem anspielt, noch gar nicht einmal der Brennpunkt. Das Baureferat hat im Jahr 2014 bereits alle 200 Abfalleimer in der Fußgängerzone und in ein paar anderen Problemzonen durch neue, doppelt so große Behälter ausgetauscht - wegen der To-go-Becher und der vielen Fast-Food-Behältnisse.

Im Hofgarten oder im Englischen Garten sehen die Mülleimer an schönen Sommertagen grundsätzlich so aus, als hätte hier gerade ein mittelgroßes Rockfestival stattgefunden. "Niemand macht sich die Mühe, seinen Becher klein zu treten und dann erst wegzuwerfen", klagt Thomas Köster, der oberste Verwalter des Englischen Gartens. "So sehen die Mülleimer mit drei halb durch den Schlitz gequetschten Bechern schon voll aus, und die restlichen landen auf dem Eimer und um ihn herum." Auf jährlich 3000 Euro beziffert Köster die Mehrkosten für die Müllbeseitigung wegen der Pappbecher. An der Finanzierung beteiligen sich mittlerweile die Filialen der Kaffeeketten in der Umgebung. Und im Hofgarten sollen die hängenden Abfalleimer demnächst durch solche ersetzt werden, die bis zum Boden reichen.

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Weil die Herstellung der To-go-Becher viel Wasser und Papier benötigt, empfiehlt die Deutsche Umwelthilfe Mehrwegbecher. Die sind zwar aufwendiger herzustellen, und in der Öko-Bilanz schlägt sich auch negativ nieder, dass sie regelmäßig gespült werden müssen. Aber nach nur 40 Anwendungen nivellierten sich diese Effekte, hat die Umwelthilfe berechnet: Der Mehrwertbecher ist demnach klar die umweltfreundlichere Variante.

Cafébetreiber wie Rüdiger Pankrath reichen je nach Größe des Lokals gut und gerne 1000 Einwegbecher in der Woche über den Tresen. "Die großen Hersteller verschicken ihre Becher oft erst ab 100 000 Stück ohne Aufpreis", berichtet Pankrath. Der Hersteller Huhtamäki ist einer der Marktführer für Essensverpackungen und Pappbecher in Deutschland, er hat sein Werk in Alf an der Mosel gerade erst weiter ausgebaut, um dem Trend gerecht zu werden. Im vergangenen Jahr erwirtschaftete das Unternehmen, das in Finnland sitzt, weltweit einen Umsatz von 2,7 Milliarden Euro.

Pankrath sagt, er würde es begrüßen, könnte er mehr Gästen in Eile ihren Kaffee in mitgebrachte Becher schenken. Verzichten auf das To-go-Geschäft könne er nicht: "Gerade in München sind die Pachten selbst für kleine Läden so hoch, dass die Getränke zum Mitnehmen einen unverzichtbaren Teil des Umsatzes ausmachen." Hätte er reich werden wollen, er hätte besser eine Pappbecherfabrik eröffnen sollen, scherzt der Gastronom.

Eine, die sich dem entgegenstellt, ist die Münchnerin Julia Post. "Coffee to go again" heißt die Initiative der 26-jährigen Politikstudentin: Cafés, die ihren Kunden bereitwillig Cappuccino und dergleichen in mitgebrachte Becher füllen, bekommen einen Aufkleber mit dem Logo der Initiative, den sie sichtbar an der Eingangstür anbringen können. Das könnte die Hemmschwelle mancher Kunden senken: Einige Gastronomiebetriebe lehnten Mehrwertbecher wegen Hygienebedenken ab, sagt Post. Andere aber, wie Starbucks, geben Mehrwegbechernutzern sogar einen Rabatt von 30 Cent. Im vergangenen September hat die Studentin die ersten Cafébetreiber angesprochen. Inzwischen klebt ihr Logo schon an etwa 50 Türen in München, an der des Café Zeitgeist an der Türkenstraße zum Beispiel, an der des Eiscafé Al Teatro an der Reichenbachstraße oder bei Billys an der Adalbertstraße. Und genau diese Initiative soll der städtische Abfallwirtschaftsbetrieb unterstützen, wenn es nach dem Willen der Stadtrats-SPD geht.

Viel Müll

Jeden Tag werden etwa 7,6 Millionen Pappbecher in Deutschland weggeworfen, 320 000 Stück pro Stunde - das hat die Deutsche Umwelthilfe berechnet. Das ist nicht nur viel Müll, sondern verbraucht auch viele Ressourcen. Der herkömmliche To-go-Becher besteht aus Pappe, ist aber innen mit Kunststoff beschichtet, dazu kommt noch der Kunststoffdeckel. Für die Herstellung braucht es mehr als einen halben Liter Wasser - mehr, als später für den Kaffee darin benötigt wird. Für die werden laut Umwelthilfe bundesweit pro Jahr 29 000 Tonnen Papier verbraucht, jährlich werden 43 000 Bäume dafür gefällt. Die durchschnittliche Nutzdauer eines solchen Bechers beträgt etwa 15 Minuten, dann landet er in der Mülltonne. Becher aus kompostierbarem Kunststoff sind nicht unbedingt umweltfreundlicher, weil sie in den seltensten Fällen auf dem Kompost landen. Beim Verbrennen aber erzeugen Pappbecher zumindest mehr Energie. lka

"Ich finde es schon interessant, dass Plastiktüten so ein No-go geworden sind, während To-go-Becher noch die Norm sind", sagt Post. Aber sie weiß auch, dass es ein schwieriger, schleichender Prozess ist, Gewohnheiten umzustellen. "Ich versuche selbst, nach und nach immer mehr Müll zu reduzieren, und es ist eine große Herausforderung." Jeder fange da an, wo er könne. Manchmal freilich ergibt das schizophrene Situationen: Am vergangenen Wochenende hat Post bei der Eröffnung des ersten verpackungsfreien Supermarktes in München zwei Mädchen beobachtet - beide trugen Pappbecher in der Hand.

Ihre Vision ist die von einem Mehrwegbechersystem. Becher, die man in dem einen Café gegen Pfand ausleihen und in dem anderen wieder zurückgeben kann. "Ich weiß morgens noch nicht zwingend, ob ich in acht Stunden einen Cappuccino trinken möchte, und habe meinen Mehrwegbecher immer sicherheitshalber in der Tasche", sagt sie. Mit einem Mehrwegbechersystem bliebe den Kaffeetrinkern die Spontanität erhalten und den Café-Betreibern das To-go-Geschäft, zugleich würde die Umwelt geschont. Dafür müssen nur genügend Lokale an einem Strang ziehen. Bis dahin nimmt Julia Post immer ihren zusammenfaltbaren Becher mit. Oder sie nimmt sich einfach mal die Zeit für einen Cappuccino aus der Porzellantasse.

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