Türken protestieren in München:Bis Erdoğan weg ist

Türken protestieren in München: Die Münchner Unterstützer der Istanbuler Demonstranten halten vor dem türkischen Generalkonsulat in Nymphenburg die Stellung.

Die Münchner Unterstützer der Istanbuler Demonstranten halten vor dem türkischen Generalkonsulat in Nymphenburg die Stellung.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Münchner Türken campen seit Wochen vor ihrem Generalkonsulat und möchten damit Solidarität mit ihren Landsleuten in Istanbul zeigen. Doch nicht alle Anwohner sind mit dem Protest einverstanden, die Demonstranten wurden bereits angefeindet, beleidigt und bespuckt.

Von Jakob Wetzel

Wären da nicht die Fahnen, die Transparente und das meterhohe Atatürk-Plakat, es wäre eine Szene wie auf dem Campingplatz. Neun Frauen und Männer sitzen vor ihrem Zelt am Straßenrand. Sie haben sich wohnlich eingerichtet, Klappstühle und Bierbänke aufgestellt und eine gemusterte Decke über den Tisch ausgebreitet. Im Boden stecken Fackeln, es gibt Kaffee. Nur die Milch ist aus.

Seit zwei Wochen campieren Münchner Türken vor dem türkischen Generalkonsulat in der Menzinger Straße, aus Solidarität mit den Demonstranten in der Türkei. Der Bund Türkischer Jugendlicher (TGB) und der Verein zur Förderung der Ideen Atatürks (ADD) haben den Protest organisiert. Am 13. Juni um 10 Uhr entrollten sie ihre Transparente, zwei Wochen nach dem Beginn der Demonstrationen in Istanbul. Seitdem ist ihr Camp kontinuierlich besetzt.

50 bis 60 Leute seien sie insgesamt, sagt Hakan Koc, der Münchner Vorsitzende des TGB. Fast täglich würden sie mehr. Vor Ort wechselten sie sich ab, es sei immer jemand im Camp, 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche, bei jedem Wetter. Seit den starken Regenfällen vor zwei Wochen schlafen sie nachts auf Paletten.

"Die Demonstranten in der Türkei sollen wissen, dass sie nicht alleine sind", sagt Dilek Yilmaz. Die 40-jährige Hausfrau demonstriert fast täglich vor dem Konsulat, um ihre zwei Kinder kümmert sich dann ihr Mann. Sie hofft, auch mit Anhängern der türkischen Regierung ins Gespräch zu kommen. "Wir wollen zum Nachdenken anregen", sagt sie. Die Demonstranten haben Broschüren und Unterschriftenlisten vorbereitet und suchen den Dialog mit anderen türkischen Münchnern - wenn die sich auf eine Diskussion einlassen.

Von den Passanten erfahren die Demonstranten viel Unterstützung. Viele hupen oder winken, wenn sie im Auto vorbeifahren. Andere bringen etwas zu essen oder zu trinken vorbei. Im Wirtsgarten gegenüber dürfen die Demonstranten unentgeltlich die Toilette benutzen. Vom Konsul und seinen Mitarbeitern hingegen werden sie ignoriert. Vor zwei Wochen baten die Demonstranten in der türkischen Vertretung um Strom, sie wurden abgewiesen. Seitdem behelfen sie sich mit einem gespendeten Generator. Äußern möchte sich im Generalkonsulat niemand, nur so viel heißt es dort: Der Protest sei ein demokratisches Recht ihrer Landsleute.

Angefeindet, beleidigt, bespuckt

Dieses Recht indes wollen nicht alle Passanten zugestehen. Wiederholt hatte der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan den Demonstranten in den vergangenen Wochen gedroht, auch denen im Ausland. Handfeste Auseinandersetzungen gab es in der Menzinger Straße zwar noch nicht. Dafür wurden die Demonstranten angefeindet, beleidigt und bespuckt. Einmal habe ein Busfahrer der MVG eigens angehalten, um sie zu beschimpfen, erzählen sie. Vor vier Tagen habe sie ein Taxifahrer aufgefordert, den Platz binnen 24 Stunden zu räumen, sonst helfe er nach. Geschehen sei nichts. Dennoch: Nachts bleibe immer jemand wach.

Die türkischen Münchner seien in zwei Lager gespalten, sagt Vural Ünlü, der Vorstandsvorsitzende der Türkischen Gemeinde in Bayern. Auf liberaler wie auf konservativer Seite kochten die Emotionen hoch, meint er und warnt: "Sich gegenseitig zu zerfleischen ist nicht zielführend." Wichtige Themen wie die Integration in München kämen dadurch zu kurz.

"Wir bleiben solange hier, bis Erdogan abdankt", sagt Dilek Yilmaz. Erdogan habe das halbe Land privatisiert, er gängele die Presse und trete die Menschenrechte mit Füßen, klagt sie. "Erdogan muss weg." Sie hofft, dass es bis dahin nicht mehr lange dauert. Aber die Demonstranten haben sich darauf eingerichtet, zur Not auch länger zu campen. Manche Demonstranten hoffen zumindest auf vorgezogene Neuwahlen. Regulär finden in der Türkei im Oktober Kommunalwahlen statt, Wahlen zum türkischen Parlament sind erst für 2015 angesetzt. Das Protest-Camp in München hätten sie vorerst bis zum 17. Juli genehmigen lassen, sagt Yilmaz. "Wir können das aber problemlos verlängern."

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