Semesterstart in München:Nett, dich kennenzulernen!

Der Andrang ist riesig: Für viele Studenten der Universitäten in München wird bereits der erste Tag zur Bewährungsprobe. Die Orientierung fällt nicht immer leicht. Aber auch im Chaos lassen sich neue Bekanntschaften schließen.

Christiane Lutz und Sebastian Krass

Für die 80 000 Studenten der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) und der Technischen Universität (TU) hat am Montag das Wintersemester begonnen. Gut 12 000 kamen zum ersten Mal überhaupt an eine Hochschule. Die SZ hat im Münchner Univiertel und in Garching Eindrücke von diesem besonderen Tag gesammelt.

7.45 Uhr, LMU, Lichthof

Willkommen auf der Baustelle! Wo die herrschaftliche Eingangshalle des LMU-Hauptgebäudes sonst Neuankömmlinge erst einmal sprachlos macht, füllt jetzt ein Gerüst den Raum aus. Auch der schönste Lichthof muss einmal saniert werden. Allerdings nicht jetzt, während des Semesters ruhen die Arbeiten aus Sicherheitsgründen, im April 2014 soll der Lichthof fertig sein. Doch im Moment stellen sich lauter ratlose junge Menschen eine ganz andere, viel dringlichere Frage: Wo muss ich hin? Wer BWL studieren will, hat Glück. Überall stehen hilfsbereite Menschen in schwarzen Polohemden mit dem Aufdruck "O-Phase", das steht für Orientierungsphase. Und Orientierung ist das, was hier ohne Zweifel am dringendsten benötigt wird. Vor einer wegen Bauarbeiten gesperrten Toilettentür stehen drei junge Frauen. Eine sagt: "Wenn wir jetzt rüber zu den anderen Toiletten gehen, finden wir doch nie wieder zurück."

8 Uhr, LMU, Große Aula

An der schweren hölzernen Eingangstür zur Großen Aula klebt ein Aushang: "Zutritt nur für Baustellenpersonal!" Oben drüber steht in Stein gemeißelt: "Das Wahre ist gottähnlich." Trotzdem, hier muss sie sein, die Begrüßungsveranstaltung der BWLer, so haben es die Helfer gesagt. Und tatsächlich, etwas kleiner steht auf dem Aushang, dass die Bauarbeiten bis zum 12. Oktober dauern sollten. Es scheint hingehauen zu haben. Die Große Aula erstrahlt in vollem Ornament. Der Raum ist schon gut gefüllt, ein paar Jungs flachsen, erzählen sich Geschichten vom Wochenende. Andere schauen auf das mächtige fünfteilige Apoll-Mosaik in der Apsis, ihnen stehen Anspannung und Unsicherheit im Gesicht: Wo bin ich hier gelandet? Was soll das nur werden? Doch wenn alles gut läuft, bekommen sie vielleicht in diesem Saal ihr Abschlusszeugnis, wie Generationen von LMU-Studenten vor ihnen.

8.15 Uhr, LMU, Hörsaal B101

Und das soll eine Massen-Uni sein? 50 Leute verlieren sich in einem Saal, der locker die zehnfache Kapazität hat. Sie wollen die Vorlesung "Grundfragen und Methoden der Literaturwissenschaft" hören. Eigentlich müsste es jetzt losgehen, doch die Dozentin ist noch nicht da. Macht nichts, so bleibt Zeit, Leute kennenzulernen.

8.40 Uhr, LMU, Hörsaal B101

Das Pult ist nach wie vor verwaist. Klar wundern sich die Erstsemester inzwischen ein bisschen, aber sie lassen sich nichts anmerken. Angeregtes Getuschel erfüllt den Raum, eine junge Frau holt Schlaf nach. Plötzlich kommen zwei Dutzend aufgeregte Kommilitonen herein, sie suchen die Vorlesung "Grundfragen und Methoden der Linguistik". Schon steht der nächste Trupp verlorener Seelen in der Tür. Langsam setzt sich die Erkenntnis durch, dass sowohl die Einführung in die Literaturwissenschaft als auch die für Linguistik montags um 8 Uhr c.t. stattfinden, aber im wöchentlichen Wechsel - und diese Woche sowieso noch nicht. Doch es soll ja auch Leute geben, die ihr Examen ablegen, ohne je die Tücken des Vorlesungsverzeichnisses durchstiegen zu haben. Aber macht nichts, so bleibt noch mehr Zeit, Leute kennenzulernen.

Neu im Angebot: der Hopfendöner

9.45 Uhr, TU Garching, Hörsaal MW 2001

900 Erstsemester Maschinenbau zücken panisch Block und Stift und schreiben, schreiben, schreiben. Der Dozent jagt eine Folie nach der anderen über den Beamer, "das schauen Sie sich zu Hause alles noch mal an", sagt er, "wir haben hier keine Zeit." Irritierte, teils verzweifelte Blicke der Studenten nach links und rechts, einige tippen hektisch SMS in Smartphones. Kaum einer traut sich, auf die Toilette zu gehen. "Hab ich viel verpasst?" raunt einer, der es doch gewagt hat. Nach einer Viertelstunde stürmt die Maschinenbau-Fachschaft herein und erlöst die Studenten: Alles nur ein Scherz. Heute werden sie noch verschont, die Fachschaft stellt ihre Arbeit vor, und natürlich auch ihr Maskottchen, eine Ente, die in mannshohem Kostüm hereingewatschelt kommt.

10.15 Uhr, LMU, Audimax

Anders als bei den Maschinenbauern geht es bei den Soziologen gleich richtig los. Der Dozent projiziert einen Ausschnitt aus Aristoteles' Nikomachischer Ethik zum Thema "das rechte Maß" an die Wand und liest ihn vor. Plötzlich murrt einer lautstark: "Das versteht doch niemand." Der Dozent kontert: "Zum rechten Maß gehört auch, dass Sie sich zügeln, wenn andere reden." Und schon ist man mittendrin in der Diskussion über den Grundbegriff der "sozialen Ordnung". Die Vorlesung "Einführung in die Soziologie" bei Armin Nassehi gehört inzwischen fast genauso zu einem Wintersemester an der LMU wie das Neujahrskonzert zum Programm der Wiener Philharmoniker. Nassehi läuft kreuz und quer durch den Saal, seine Vorlesung folgt dem Prinzip: "Hier rede nicht nur ich, sondern auch Sie." Und so stellt er Fragen, eine nach der anderen. Bei den ersten Fragen bleibt es noch sekundenlang still. Also fragt Nassehi eine Studentin direkt: "Wer muss eigentlich Maß halten?" Sie: "Gute Frage." Er: "Dankeschön." Der Saal lacht, langsam bricht das Eis. Nun gehen immer mehr Finger nach hoch, und Nassehi klagt, das sei bestimmt Absicht, ihn hin und her zu scheuchen. Bald ist klar, dass soziale Ordnung nur funktioniert, wenn die Menschen Maß halten, wenn sie auf Handlungen verzichten, die ihnen eigentlich offenstünden. "Sie reden nur, wenn Sie gefragt sind, und ich halte eine Vorlesung, obwohl ich einfach Döneken aus meinem Leben erzählen könnte", beschreibt Nassehi die soziale Ordnung dieser Veranstaltung. Der erste Schritt in die Soziologie ist gemacht.

12.30 Uhr, Garching, Mensa

Schnitzel geht immer. Ein 300-Gramm-XL-Schnitzel geht noch besser. Hungrige Studenten schieben sich an der Theke entlang, wo "XL-Portionen" angeboten werden. "Wir reagieren damit auf den Wunsch der Studenten nach mehr Fleisch und größeren Portionen", sagt Gregor Fricke, Leiter der Abteilung Hochschulgastronomie, über das Angebot, das es nur Garching gibt. Maschinenbauer hätten eben großen Appetit. Auch neu auf dem Mensa-Menü: der Hopfendöner. Für drei Euro gibt es eine aufgemotzte Wurstsemmel aus Pökelfleisch, süßem Weißbiersenf, Krautsalat und Tomaten im Brezenteig - der Andrang ist noch mäßig. Ist halt kein XL-Schnitzel.

17 Uhr, TU in der Arcisstraße, Innenhof

Kalt ist es, und doch sind mehr als tausend Studenten zur Begrüßung durch den TU-Präsidenten Wolfgang Herrmann gekommen. Ob sie wirklich seine Rede hören wollen? Egal, er begrüßt sie auf jeden Fall mit warmen Worten. Wie in einer "neuen Heimat" sollen die Studenten sich an der TU fühlen, sagt Herrmann. Und dass sie ihre Meinung und ihre Wünsche äußern sollten, zum Beispiel via Facebook. "Es kann gut sein, dass ich Ihnen gleich am nächsten Morgen antworte." Herrmann spricht auch das große Thema an allen drei großen Hochschulen in dieser Stadt für dieses Semester an: das Semesterticket. Ende November beginnt eine Urabstimmung unter den Studenten. An LMU, TU und an der Hochschule München, der früheren FH, muss sich jeweils eine Mehrheit für das Semesterticket finden, damit es probeweise eingeführt wird. "Stimmen Sie dafür", appelliert Herrmann. Und nach einer Dreiviertelstunde gibt es dann endlich das, wofür wohl die meisten gekommen sind: 5000 Liter Freibier aus Weihenstephan.

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