NS-Forschung über Himmler:Vom Mann zum Monster

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Heinrich Himmler war als Reichsführer-SS und Chef der Deutschen Polizei einer der Hauptverantwortlichen für Terror, Völkermord und Kriegsverbrechen. Der Historiker Peter Longerich gibt einen Erklärungsversuch, was den Münchner so grausam werden ließ.

Rezension von Wolfgang Görl

Heinrich Himmler im Gespräch mit Soldaten der Waffen-SS, 1943 Der Reichsführer-SS spricht an der Westfront mit Angehörigen einer Waffen-SS-Einheit. (Foto: SCHERL)

Betrachtet man die Vita der Nazi-Größen, ergibt sich häufig der erschreckende Befund, dass unauffällige, scheinbar normale Männer zu Monstern mutierten, die zu den fürchterlichsten Verbrechen imstande waren. Heinrich Himmler, Sohn eines Münchner Oberstudiendirektors, der am Wittelsbacher Gymnasium unterrichtete, ist so ein Fall, ein Beispiel für die oft zitierte "Banalität des Bösen".

Als Reichsführer SS und Chef der deutschen Polizei war er der Organisator der Judenvernichtung und einer der Hauptverantwortlichen für Terror, Völkermord und Kriegsverbrechen. Was den Mann antrieb, so zu werden, wie er letztlich war, ist ein schwieriges Unterfangen, und womöglich bleibt bei jedem Erklärungsversuch ein Rest, der nicht zu ergründen ist.

Einiges Erhellendes lässt sich dennoch sagen - das zumindest ist das Fazit eines Vortrags, den der an der Universität London lehrende Historiker Peter Longerich im Polizeipräsidium hielt. Longerich war der erste Referent einer Reihe, die die verdienstvolle Ausstellung "Die Münchner Polizei und der Nationalsozialismus" ergänzt.

Longerich ist ein Spezialist auf dem Gebiet der NS-Forschung, er hat in den vergangenen Jahren eine Himmler- sowie eine Goebbels-Biografie vorgelegt. Seinen Vortrag beginnt der Historiker mit einem Hinweis auf Alfred Anderschs Erzählung "Der Vater eines Mörders", in der Himmlers Vater als despotisch-sadistischer Pädagoge geschildert wird. Der naheliegenden Deutung, Himmlers Grausamkeit lasse sich auf den autoritären Vater zurückführen, folgt Longerich nicht.

Auffallender Hang zur Selbstkontrolle

Seinen Forschungen zufolge war Gebhard Himmler kein despotischer Vater. Zwar entwarf er ein System von Regeln und Geboten, die seine drei Söhnen zu beachten hatten, er ließ sie Tagebücher schreiben, die er kontrollierte, aber das entsprach durchaus dem damals üblichen, autoritär geprägten Vaterbild. Auch als Schüler lieferte Heinrich Himmler keine Hinweise auf einen "abnormen Charakter oder besondere Grausamkeit". Es sei ihm lediglich schwer gefallen, emotionale Kontakte zu anderen Menschen zu pflegen. Auffallend ist sein Hang zur Selbstkontrolle, der in seinen Tagebüchern Ausdruck fand. "Was in der Katastrophe endet, muss nicht unbedingt katastrophale Anfänge haben", resümiert Longerich die Jugendzeit Himmlers.

Während des Ersten Weltkriegs absolvierte Himmler eine Offiziersausbildung, er kam jedoch nicht an die Front. Danach schloss er sich paramilitärischen Verbänden an, sah sich als Kämpfer, ausgestattet mit soldatischen Tugenden, die er wie einen Panzer um seine Person legte. Frauen erweckten durchaus sein Interesse, das er in einem Akt militärischer Selbstdisziplinierung aber umgehend zu verdrängen versuchte.

Seine eigentliche Politisierung, so Longerich, fand 1922 statt. Zunehmend nahm Himmler an Veranstaltungen der Rechtsextremen teil, und als der deutsche Außenminister Walter Rathenau ermordet wurde, begrüßte er dessen Tod. Nach dem gescheiterten Hitler-Putsch 1923 stand Himmler "vor seiner persönlichen Bankrotterklärung". Während sich die Republik stabilisierte, schienen seine Pläne gescheitert zu sein. Gleichwohl blieb er auf seinem Weg in den Rechtsextremismus.

Ideologie als Ersatzreligion

Er brach mit dem katholischen Glauben, und fortan diente ihm die völkisch-rassistische Ideologie als Ersatzreligion. Für Gregor Strasser arbeitete er als Assistent, der einflussreiche NSDAP-Mann wurde zu seinem Mentor. 1928 heiratete Himmler. In einem Brief an seine Frau Margarete führte er seine Magenschmerzen auf den Umstand zurück, dass er stets brav und anständig sei. Er möchte aber mal nicht anständig sein.

Himmlers Karriere in der nationalsozialistischen Bewegung und im NS-Staat verlief rasant, unter anderem wurde er 1933 zum Polizeipräsidenten von München. Bereits einige Jahre zuvor hatte die NSDAP die sogenannten Schutzstaffeln (SS) gegründet, anfangs eine Saalschutztruppe, deren Leitung Himmler 1929 übernahm. Rasch baute er die SS zu einer dem Führer verpflichteten, elitären Organisation auf, die sich zum schlagkräftigsten Teil des nationalsozialistischen Repressionsapparates entwickelte.

Für die SS erfand Himmler pseudomythische Rituale, er selbst verstand sich als Erzieher seiner SS-Führer, der sogar über deren Ehepartner entschied. Die SS-Männer waren einem Moralkodex verpflichtet, in dem Tugenden wie Treue, Kameradschaft oder Tapferkeit allein dem gnadenlosen Kampf dienten - für das Volk, für die Rasse. Dabei avancierte der Begriff "anständig" zum Leitmotiv - vor allem dann, wenn er von seinen Leuten hartes, grausames Vorgehen verlangte.

Für Longerich zeigt sich hier Himmlers Doppelmoral. Er wusste sehr wohl, dass die SS keineswegs anständig vorging. Im Gegenteil: Er billigte es, wenn seine Leute die niedrigsten Instinkten an ihren Opfern ausließen. Himmler selbst, schloss Longerich, "wollte ja auch einmal unanständig sein hinter der anständigen Fassade".

© SZ vom 17.11.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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