Mordprozess in München:Dachauer Todesschütze entschuldigt sich

"Kein herzloses Monster": Im Prozess gegen den Dachauer Todesschützen fordern Anklage und Pflichtverteidiger lebenslänglich. Die Witwe des getöteten Staatsanwaltes wendet sich direkt an den schwer kranken Angeklagten - und der entschuldigt sich bei der Familie seines Opfers.

Todesschütze Dachau, Amtsgericht Dachau

Der Angeklagte Rudolf U. verfolgt den Prozess vom Krankenbett aus. Nun hat die Staatsanwältin lebenslänglich für ihn gefordert.

(Foto: dapd)

"Ich möchte der Familie T. einmal sagen, dass es mir leid tut als Mensch", sagt Rudolf U. - "ich kann nicht mehr sagen." Der Mann liegt in seinem Krankenbett neben dem Richtertisch. Im Januar hat er den erst 31-jährigen Staatsanwalt Tilman T. im Dachauer Amtsgericht erschossen, nun neigt sich Mordprozess gegen den 55-Jährigen im Landgericht München II dem Ende zu.

Erstmals an diesem Donnerstag ergreift auch die Witwe von Tilman T. das Wort: "Sie haben ihn mir genommen und warum? Sie kannten Tilman gar nicht", sagt die junge Frau. Sie wendet sich direkt an den Angeklagten, der Ehering ihres toten Mannes hängt an einer Kette um ihren Hals, in der Hand hält sie ein Foto. Es zeigt ein Bild aus glücklichen Tagen, das Bild eines glücklichen Paares.

"Tilman war so voller Leben", sagt die Witwe. Er habe Richter werden wollen. "Es kam ihm darauf an, etwas Gutes, Sinnvolles mit seinem Leben anzufangen." Die Tat sei besonders schwer zu verarbeiten, weil sie so sinnlos sei. Die vergangenen Monate seien für sie unerträglich gewesen, erzählt die Amerikanerin.

"Er hat nur seine Arbeit gemacht", sagt die Frau, die in dem Prozess als Nebenklägerin auftritt. Es interessiere sie nicht, ob der Angeklagte ein schweres Leben habe oder gehabt habe. "Sie haben sich entschlossen, an diesem Tag im Januar eine Waffe in den Gerichtssaal zu bringen", sagt sie zu dem 55-Jährigen. "Mit den Entscheidungen, die Sie getroffen haben, haben Sie mein Leben ruiniert."

Staatsanwaltschaft fordert lebenslänglich

Zuvor hatte die Staatsanwaltschaft eine lebenslange Gefängnisstrafe für Rudolf U. gefordert. Tilman T. sei "vom Angeklagten kaltblütig ermordet" worden, sagte Staatsanwältin Nicole Selzam. "Der Angeklagte war bei dieser Tat voll schuldfähig."

Er habe sich "in krasser Eigensucht" über das Lebensrecht anderer hinweggesetzt. Er habe aus niederen Beweggründen und in "absolutem Vernichtungswillen" gehandelt und die Wehrlosigkeit seiner Opfer ausgenutzt, so Selzam. Nur das Eingreifen von Zeugen habe verhindert, dass er auch den Amtsrichter tötete. Das Geständnis sei "ohne jede Reue" erfolgt.

Wenn er die Möglichkeit dazu hätte, sei ein weiterer "Rachefeldzug gegen die Justiz" nicht auszuschließen. Selzam verlangte in ihrem Plädoyer zudem, die besondere Schwere der Schuld festzustellen. Damit ist eine vorzeitige Entlassung aus der Haft nach 15 Jahren kaum möglich.

"Seine eigene Vorstellung von dem, was Recht ist"

Am Nachmittag hat die Verteidigung das Wort im Gerichtssaal, im Wesentlichen schließt sie sich den Forderungen der Staatsanwaltschaft an. "Ich stimme zu 90 Prozent den Ausführungen der Frau Staatsanwältin zu", sagt Wahlverteidiger Maximilian Kaiser. Eine konkrete Forderung stellte er nicht. Denn vor allem geht es in seinem Plädoyer einmal mehr um ihn selbst.

Kaiser beschwerte sich darüber, dass der Pflichtverteidiger sich an die Presse gewandt habe. Dass er selbst nicht als Pflichtverteidiger beigeordnet wurde. Dass sein Mandant gegen seinen Willen amputiert worden sei. "Mein Mandant wollte sich selber richten." Und dann sagt er noch etwas, was die anderen Anwälte nur noch den Kopf schütteln lässt: "Es geht mir nur darum, dass hier kein Schauprozess geführt wird."

Die wirkliche Verteidigung übernimmt dann der so gescholtene Pflichtverteidiger Wilfried Eysell. Er sagt: "Der Angeklagte weiß, dass er von diesem Gericht wegen Mordes und Mordversuches zu lebenslanger Haft verurteilt wird." Eysell betont aber auch: Der Angeklagte sei "kein herzloses Monster". Er habe vor elf Monaten Staatsanwalt Tilman T. "zufällig" als "Vertreter der Justiz" und "Vertreter der Obrigkeit" ermordet. Erst im Prozess habe Rudolf U. das Opfer als Menschen gesehen.

Der Angeklagte habe die Tat gewollt, sagt Eysell - und er habe "seine eigene Vorstellung von dem, was Recht ist". Allerdings seien nur drei der sechs Schüsse im Dachauer Amtsgericht in Mordabsicht abgefeuert worden. Eine besondere Schwere der Schuld sieht Eysell nicht.

Auch die Eltern des getöteten Staatsanwaltes meldeten sich am Donnerstag im Gerichtssaal zu Wort. Sie gingen hart mit der bayerischen Justiz ins Gericht. Ihr Sohn sei "ein beklagenswertes Opfer der bayerischen Justiz", sagte die Mutter. "Ein Metalldetektor hätte Tilman das Leben gerettet."

"Unwürdiges Schmierentheater"

Die Familienangehörigen treten in dem Prozess als Nebenkläger auf. Ihre Anwälte kritisierten die vorangegangenen "Manöver" des Wahlverteidigers Kaiser als "schamlos", "geschmacklos" und "unwürdiges Schmierentheater".

Kaisers Auftreten vor Gericht hatte immer wieder für Unverständnis bei Prozessbeteiligten gesorgt. So hatte der Anwalt im Laufe der Verhandlung wutentbrannt den Gerichtssaal verlassen, weil die Kammer ihn nicht zum Pflichtverteidiger seines insolventen Mandanten machen wollte - und seine Bezahlung damit nicht gesichert ist.

Am Mittwoch hatte er noch eine Vielzahl von Anträgen eingebracht - darunter sogar einen auf Einstellung des Verfahrens. Mit seinem Befangenheitsantrag gegen das Gericht scheiterte er nun. Es liege kein Verfahrenshindernis vor, sagte der Vorsitzende Richter Martin Rieder.

Außerdem muss kein weiteres psychologisches Gutachten erstellt werden. Dies sei nicht erforderlich, erklärte Rieder. Gutachter Henning Saß sei ein renommierter Sachverständiger. Dieser hatte den geständigen Angeklagten für schuldfähig erklärt. Kaiser hatte die Ablösung des Sachverständigen gefordert, da dieser unzureichend erfahren mit Amokläufen sei. Über einen Amoklauf hatte Saß aber kein Wort verloren.

Der Angeklagte hatte vor elf Monaten im Amtsgericht Dachau während der Urteilsbegründung plötzlich eine Pistole aus der Jacke gezogen und um sich gefeuert. Damals stand er wegen nicht bezahlter Sozialversicherungsbeiträge vor Gericht, nun ist er des Mordes sowie des dreifachen Mordversuchs angeklagt - laut Anklage wollte er nicht nur den Staatsanwalt und den Richter töten, sondern auch seine Anwältin und den Protokollführer. Rudolf U. hatte am zweiten Prozesstag gestanden, er habe T. und den Richter aus Wut über mehrere verlorene Gerichtsverfahren erschießen wollen. Das Urteil soll am 29. November verkündet werden.

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