Dachauer Mordprozess:Kein böses Wort über den guten Kumpel

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Rudolf U. ist angeklagt, im Dachauer Amtsgericht einen Staatsanwalt erschossen zu haben. Seine Freunde beschreiben ihn dennoch als einen herzlichen Menschen, der immer für seine Kumpels da war. Sie wollen nichts Schlechtes über ihn sagen und nur langsam stellt sich heraus: Rudolf U. hatte noch ein anderes Gesicht.

Annette Ramelsberger

Sie kennen sich seit ihrer Jugend, waren am Wochenende viel gemeinsam aus, beim Tanzen, beim Billardspielen. Und sie mögen sich immer noch. Über seinen Kumpel lässt der Münchner Kaufmann Benjamin S. nichts kommen: "Er war impulsiver als andere Menschen, aber er war auch deutlich herzlicher als andere Menschen", sagte der Unternehmer am Montag als Zeuge vor dem Landgericht München. Dort ist der Kumpel angeklagt, vorsätzlich und geplant einen jungen Staatsanwalt getötet zu haben - mitten im Amtsgericht von Dachau, aus Hass darüber, dass er wegen Sozialversicherungsbetrugs zu einem Jahr Haft auf Bewährung verurteilt wurde.

Rudolf U., der Angeklagte, muss nicht nur der eiskalte Täter gewesen sein. Er hat auch eine andere Seite, eine unerwartete. Für seine Freunde war er eine sichere Bank: Er war da, wenn es ihnen dreckig ging. Wenn die Frau sie verlassen hatte, wenn sie Zuspruch brauchten oder auch nur eine Couch zum Übernachten. "Man konnte zu jeder Tages- und Nachtzeit zu ihm kommen", sagt Benjamin S.. Und dass der alte Kumpel seinen Humor auch nach seinem Schlaganfall im Jahr 2009 nicht verloren habe.

Eine ganze Reihe von Freunden und Bekannten traten am Montag im Gericht auf, und sie alle berichteten von Rudolf U. als zwar schwierigem, aber auch sehr herzlichem und sogar witzigem Menschen. Und deshalb, so lässt sich erahnen, nahmen sie ihm auch seine Ankündigungen nicht ab. Als er wieder mal erklärte, er werde alle erschießen. "Das sagt doch jeder mal, wenn man sich ärgert", sagt eine alte Freundin. Und wird sofort von Richter Martin Rieder belehrt: "Mir ist nicht bekannt, dass ich in meinem bisherigen Leben so etwas schon mal geäußert habe."

U.s Freunde wollen ihrem alten Kumpel, der da im Krankenbett neben dem Richtertisch liegt, nichts Böses nachsagen. Für sie waren seine Ausbrüche von einer Kategorie wie "Denen trete ich in den Hintern", so sagt ein Zeuge. Auch sein bester Freund, mit dem er im vergangenen Herbst noch auf einer Kreuzfahrt nach Lanzarote war, will ihm nichts Böses - immerhin sei "der Rudi" zu ihm gestanden, als er schwere Probleme mit dem Alkohol gehabt habe. Doch dann erinnert sich der Mann auch daran, wie der Rudi immer gesagt habe, er bringe sämtliche Leute um, die ihn betrogen hätten. Rudolf U. war Transportunternehmer; er hatte häufig beruflich Probleme, mit den Fahrern, den Fahrzeugen, mit den Speditionen, die nicht rechtzeitig zahlten.

"Und wen wollte der Angeklagte umbringen?", fragt der Richter. Leute von einer großen Spedition, sagt der Zeuge - weil die die Rechnungen nicht gezahlt haben. Und seinen Hausarzt: Der sei schuld, dass er einen Schlaganfall erlitten habe. Und auch den Richter. "Warum?", fragt der Richter. "Weil er nie Recht kriegt", antwortet der Zeuge. "Wussten Sie, dass der Angeklagte eine Waffe hatte?", fragt der Richter den Freund. "Ja", sagt der. "Wozu?" - "Damit er diese Leute erschießen kann." "Und wie haben Sie reagiert", fragt der Richter. "Ich hab' gesagt: Das machst du nicht. Das überlässt du Gott. Gott wird die richten. Aber er sagte: Nein, er muss es machen."

Der alte Freund will nichts Schlechtes sagen, nur die ständigen Justizhändel von Rudolf U. seien ihm auf die Nerven gegangen. Dieser habe ihm immer wieder Stöße voller Gerichtsakten gezeigt und geklagt, wie ungerecht er behandelt werde. Bei dieser Gelegenheit sei Rudolf U. immer laut geworden. Das habe er einfach nicht mehr hören wollen. Und er habe nicht ertragen, dass sein Kumpel einfach immer Recht haben wollte, sagt der Zeuge.

An dieser Stelle meldet sich der Angeklagte mit dünner Stimme vom Krankenbett. Er fragt: "Ist Ihnen nie in den Sinn gekommen, dass ich auch Recht haben könnte?"

Die Tat geschah am 11. Januar. Rudolf U. kam in Haft. Dort im Gefängnis besuchte ihn seine alte Mutter. Ein Polizist war dabei, er berichtete vor Gericht von diesem Treffen. U. habe seiner Mutter gesagt, er habe kein schlechtes Gewissen. Die Tat tue ihm nicht leid. Er würde jederzeit wieder so handeln. Er habe nur Mitleid mit der Witwe des Staatsanwalts, und er bedauere, dass er den Richter nicht auch noch erwischt habe. Am Ende fragt einer der Zeugen: "Darf ich mich vom Rudi verabschieden?" Er tritt an das Bett von Rudolf U. heran und tätschelt die Decke.

© SZ vom 13.11.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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