Coming-Out in der Familie:Mama, ich bin lesbisch

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Homosexualität bei den eigenen Kindern: Oft endet die Toleranz in den Familien. (Foto: dpa)

In der Gesellschaft gilt gleichgeschlechtliche Liebe längst als etwas Normales. Doch in den Familien endet die Toleranz oft. Viele Eltern haben ein Problem damit, dass ihre Kinder homosexuell sind - ein Besuch bei einer Selbsthilfegruppe.

Von Melanie Staudinger

Es ist das betretene Schweigen, das die Situation unangenehm macht. Die schamvollen Blicke, die sich abwenden und suggerieren, dass das Gegenüber gerade überhaupt nicht weiß, wie es mit dem Gespräch umgehen soll. Sabine Mayerhofer hat solche Reaktionen schon ein paar Mal in den vergangenen vier Jahren erlebt. Zwei ihrer Töchter sind lesbisch, bringen ihre Freundinnen ganz selbstverständlich mit nach Hause, keine der beiden hat ein Geheimnis daraus gemacht. "Ich selbst bin sehr offen, aber im Familien- und Freundeskreis wird das nicht immer so toll aufgenommen", sagt sie. Kritik habe sie einstecken müssen, dass sie zu locker mit ihren mittlerweile erwachsenen Kindern umgehe, dass sie ihnen zu viel erlaube. Manche hätten sich gar von ihr abgewandt.

Sabine Mayerhofer heißt in Wirklichkeit anders. Ihren Namen will sie für sich behalten, ebenso wie die anderen Eltern, die sich zum Gespräch bereit erklärt haben. Nicht weil sie sich für ihre Kinder schämt, wie die zierliche Frau betont, sondern weil die beiden Töchter das nicht möchten. "Wir wissen nicht, was auf uns zukommen würde", erklärt sie. Was sie befürchtet? Sie zuckt mit den Schultern: "Nachteile. Im Beruf vielleicht."

Unter anderem diese Unsicherheit hat Sabine Mayerhofer dazu bewogen, sich der neuen Selbsthilfegruppe für Eltern homosexueller Kinder anzuschließen, die sich auf Initiative des Lesbentelefons ( Letra) und des Schwulen Kommunikations - und Kulturzentrums ( Sub) seit Oktober im Gärtnerplatzviertel trifft.

Angst vor Verurteilung

Einmal im Monat kommen Väter und Mütter zusammen, die glauben, dass sie sich eigentlich ganz gut verstehen mit ihren Söhnen und Töchtern, die sich aber dennoch eine Reihe von Fragen stellen. "Ich wollte wissen, wie andere Eltern damit umgehen", sagt Elisabeth Scheurer. Ihre zwei Söhne sind schwul, der ältere der beiden hat sich jedoch sehr spät geoutet. Kurz vor der Hochzeit mit seiner damaligen Freundin habe er gestanden, erzählt Ehemann Erich Scheurer, Jahrgang 1943. Und dann war es aus zwischen den beiden.

Die Freunde hätten oft nachgefragt, ob er denn schon eine Neue hätte. "Am liebsten hätte ich einfach die Wahrheit gesagt", erklärt Elisabeth Scheurer. Getraut aber habe sie sich nicht. "Ich habe auf meinen Mann Rücksicht genommen." Der gibt zu, dass er sich mit dem Thema hart tue. Zu groß sei seine Angst, dass das Umfeld die Söhne verurteilen und schlecht von ihnen denken würde, weil sie eben anders sind als viele andere.

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Wenn das eigene Kind plötzlich zu einer Randgruppe gehört, reagieren Eltern höchst unterschiedlich, wie Sozialpädagogin Miriam Vath von Letra weiß. Dabei könnten sich Väter und Mütter zunächst über eine Tatsache freuen: Wer sich outen will, sucht sich in der Regel eine Person, von der er sich eine positive Reaktion erwartet. "Wenn diese Person ein Elternteil ist, ist das ein großer Vertrauensbeweis."

Und dennoch erleiden manche Eltern fast einen Nervenzusammenbruch oder distanzieren sich komplett von ihren Kindern. "Viele haben Angst, dass ihr Kind keinen Partner findet, weil sie das Vorurteil haben, dass schwule oder lesbische Beziehungen nicht lange halten", sagt Vath. Andere machten sich Gedanken, wie die Nachbarn reagieren werden, oder sie fragten sich, ob ihr Kind mit dieser Lebensweise glücklich werden könne.

"Eltern sind in einer schwierigen Situation", erklärt Vath. Die Selbsthilfegruppe biete einen geschützten Rahmen, in der sich Väter und Mütter mit Menschen austauschen können, die in der gleichen Situation sind wie sie. Ihrer Ansicht nach gibt es zwei Realitäten. Die eine ist, dass sich für Homosexuelle schon viel zum Positiven gewendet hat - gesamtgesellschaftlich gesehen. Wenn es jedoch konkret um einen Fall in der eigenen Familie gehe, empfänden viele die Situation als wesentlich komplizierter. "Es ist für Eltern schlicht eine andere Dimension, ob sich ein ehemaliger Fußballspieler wie Thomas Hitzlsperger outet oder der eigene Sohn", sagt Vath. Im Privaten sei die Toleranz noch nicht wirklich angekommen", erklärt Thomas Fraunholz, ihr Kollege vom Sub.

Die Sache mit den Enkel

Dieser Eindruck hat sich bestätigt, als die Münchner Eltern sich vor Kurzem mit einer Selbsthilfegruppe aus Nürnberg getroffen haben, die es seit zwei Jahrzehnten gibt. "Die haben sich damals mit den gleichen Themen befasst wie wir heute", sagt Sabine Mayerhofer. In 20 Jahren habe sich trotz aller gesellschaftlicher Entwicklungen bei den Gefühlen der Eltern nicht viel getan: "Das hat mich betroffen gemacht." Sie selbst stelle auch bei sich eine schwindende Toleranz den Töchtern gegenüber fest. Eine verändere sich durch ihre neue Freundin stark: Aus dem eher langweilig aussehenden Langhaarmädchen wurde eine taffe Frau mit Kurzhaarschnitt, Tattoos und Piercings. "Als Mutter würde man sich ein gesellschaftskonformeres Aussehen wünschen", sagt Mayerhofer.

Und dann ist da noch die Sache mit den Enkeln. Klar sei das heute möglich, sagt Erich Scheurer, aber eben nur "um die Ecke herum". Er würde seine Söhne gerne vor solchen Schwierigkeiten beschützen, auch wenn er es auf der anderen Seite als große Bereicherung seines Lebens empfindet, mit den beiden eine vollkommen neue Welt kennenzulernen. "Wenn ich jetzt schwule Paare sehe, kann ich das sofort zuordnen", erzählt er und lacht. Seine Frau Elisabeth Scheurer berichtet, dass sie stolz auf sich sei, weil sie anders als viele ihrer Bekannten offener über Homosexualität sprechen könne.

Welche Reaktion denn die angenehmste wäre für die Eltern, wenn das Gespräch auf die Kinder kommt? Sabine Mayerhofer überlegt kurz: "Am besten keine. Dann wüsste ich, dass meine Töchter akzeptiert sind."

© SZ vom 25.01.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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