Chancen der Grünen bei OB-Wahl:Mitgegangen, mitgefangen

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Auf eine grüne Zukunft in München hofft Sabine Nallinger. Das Bild zeigt sie im vergangenen Juli bei ihrer ersten Pressekonferenz als OB-Kandidatin. (Foto: Stephan Rumpf)

Für die Münchner Grünen ist Stuttgart derzeit das Idealbild. Dort ist wahr geworden, was sie selbst auch gerne schaffen würden: den Oberbürgermeister zu stellen. Anders als in Stuttgart regieren sie allerdings in München seit 1990 mit - und versuchen sich jetzt trotzdem als frische Kraft zu verkaufen.

Von Peter Fahrenholz

Dass einer von München aus sehnsuchtsvoll nach Stuttgart schaut, kommt eher selten vor. Denn der Münchner, der viel auf seine Weltläufigkeit gibt, misst seine Stadt lieber an richtigen Weltmetropolen. Für die Münchner Grünen jedoch ist Stuttgart derzeit gewissermaßen das Idealbild. Denn dort ist wahr geworden, was sie selbst auch gerne schaffen würden: dass die Grünen den Oberbürgermeister stellen.

Warum nicht auch in München, ließe sich bei flüchtiger Betrachtung fragen. "Ich glaube, die Städte haben sehr viel gemeinsam", sagt die Grünen-Spitzenkandidatin Sabine Nallinger, die selber aus Stuttgart stammt. Beides sind prosperierende Landeshauptstädte, denen der Wohlstand einerseits einen weit größeren Handlungsspielraum beschert, als ihn andere Kommunen haben. Andererseits aber auch einige gleich gelagerte Probleme: Sie müssen so viele Wohnungen wie möglich bauen, die Verkehrslawine durch den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs bändigen und die Kinderbetreuung, so schnell es geht, ausbauen. "Da sind wir uns sehr ähnlich", sagt Nallinger.

Und steht nicht München tatsächlich vor einer Zäsur, bei der die Karten ganz neu gemischt werden, wie Nallinger auf ihrer Internetseite schreibt? Nach mehr als 20 Jahren im Amt muss OB Christian Ude (SPD) im Frühjahr 2014 abtreten, weil er die Altersgrenze für kommunale Wahlbeamte erreicht hat. Ohne Ude, den unbezwingbaren Platzhirschen, sieht die Lage schon ganz anders aus als bei der Wahl im Jahr 2008. Da kam Hep Monatzeder als OB-Kandidat der Grünen gerade mal auf 3,4 Prozent der Stimmen, obwohl er als Dritter Bürgermeister eine bekannte und populäre Figur in der Stadt war.

Auf den zweiten Blick sieht die Sache indes ganz anders aus. Nicht nur weil die Münchner doch etwas anders ticken als die Stuttgarter, ist es eher unwahrscheinlich, dass sich der Traum der Grünen von einer Oberbürgermeisterin im Rathaus erfüllen wird. Die politischen Rahmenbedingungen in beiden Städten unterscheiden sich nämlich grundlegend.

SPD seit Kriegsende tonangebende politische Kraft

Das fängt schon mit den Sozialdemokraten an. In Stuttgart hat die SPD nie eine große Rolle gespielt, als Auffangbecken für enttäuschte CDU-Wähler kam sie nie in Frage. Damit aber war der direkte Weg zu den Grünen frei, die zudem bei der OB-Wahl im Oktober mit Fritz Kuhn einen wertkonservativen Kandidaten präsentiert haben. In München hingegen ist die SPD seit Kriegsende die tonangebende politische Kraft. Nur einmal, Ende der 1970er Jahre, hat sie nicht den Oberbürgermeister gestellt, und das hatte sie sich selber zuzuschreiben.

Und auch nach der Ära Ude präsentiert die SPD mit dem pragmatischen Wirtschaftsreferenten Dieter Reiter einen OB-Kandidaten, der über die eigene Parteigrenze hinweg als wählbar erscheint, für realpolitisch orientierte Grüne ebenso wie für Leute, die bei anderen Wahlen ihr Kreuz bei der CSU machen würden. Auch die Münchner Christsozialen ihrerseits geben keineswegs ein so schwaches Bild ab wie die Unionskollegen in Stuttgart. Zwar sind sie kommunalpolitisch seit vielen Jahren auf die Oppositionsbänke verbannt. Bei allen anderen Wahlen hingegen liegt die CSU auch in München meistens vorn, das Potenzial für einen Zuwachs auch auf kommunaler Ebene wäre also da.

Und dann ist da ja auch noch die komplett andere Situation der Grünen selbst. In Stuttgart haben sie aus der Opposition heraus einen Neuanfang propagiert, in München sind sie seit mehr als 20 Jahren der Juniorpartner einer rot-grünen Koalition. Und mit dieser Rolle haben sie durchaus ihre Schwierigkeiten. Denn seit sich Nallinger im Sommer überraschend deutlich gegen Monatzeder, der über viele Jahre das grüne Gesicht der Rathauskoalition gewesen ist, durchgesetzt hat, wirken die Grünen ein bisschen so, als betrachteten sie die langen Regierungsjahre als Ballast. Wenn sie in der Stadt unterwegs sei, sagt Nallinger, höre sie oft, dass die rot-grüne Rathausregierung zwar ganz gut eingespielt sei, aber dass sie halt auch ein bisschen müde geworden sei im Laufe der Zeit.

Monatzeder verbittert

Bei Nallinger ist viel von frischen Ideen und Erneuerung die Rede, die Grünen-Kandidatin erweckt den Eindruck, jetzt gehe es darum, ein ganz neues Kapitel der Stadtpolitik aufzuschlagen. Aber wie soll die Partei glaubhaft machen, für ein ganz neues Kapitel zu stehen, wenn sie seit 1990 an allen vorangegangenen Kapiteln mitgeschrieben hat? Hinzu kommt, dass der Kampf um die Spitzenkandidatur bei den Grünen tiefe Wunden geschlagen hat.

Monatzeder ist verbittert darüber, wie brutal er von den eigenen Parteifreunden abserviert wurde. Und auf wie wenig Widerhall bei ihnen sein Angebot gestoßen ist, den Generationswechsel selber einzuleiten, indem er nach der Wahl entweder im OB-Amt einen Nachfolger aufbaut oder aber seinen Platz als Dritter Bürgermeister räumt, falls es für den OB-Posten nicht reicht. Doch die Grünen wollten die Verjüngung sofort, ohne Umweg. Von Monatzeder, der bis 2014 weiter im Rathaus sitzt, kann Nallinger jetzt keine Unterstützung für ihren Wahlkampf mehr erwarten.

Und so unterscheiden sich auch die grünen Kandidaten eben sehr stark. Mit Kuhn haben die Grünen in Stuttgart auf ein politisches Schwergewicht gesetzt. Auf einen, der auch in anderen politischen Lagern Respekt genießt, vor dem auch eingefleischte CDU-Anhänger keine Angst haben mussten. In München setzen sie mit Nallinger auf den Reiz eines frischen Gesichts. Aber ein frisches Gesicht ist eben erst einmal ein unbekanntes Gesicht, und der Wahlkalender wird es Sabine Nallinger nicht leicht machen, das schnell zu ändern. Denn bis in den Herbst hinein wird alles im Zeichen von Bundes- und Landtagswahl stehen, die kurz hintereinander stattfinden. Da wird sich kaum einer für neue kommunale Visionen interessieren. Und auch nicht für diejenige, die diese Visionen verkörpern möchte.

Ja, sagt Sabine Nallinger, der Fritz Kuhn sei schon ein ganz anderer Promi als sie selbst. Aber ein Problem hat sie damit nicht. Was auch daran liegt, dass es der studierten Stadtplanerin, die in diesem Jahr 50 wird, an einem gewiss nicht mangelt: an Selbstbewusstsein. Ihre Vita, sagt Nallinger, sei "fast schon ideal für das Amt, das ich anstrebe". Sie hat in Ingenieurbüros gearbeitet, aber auch in der Stadtverwaltung und bei den Stadtwerken. Keine Berufspolitikerin eben. Sie komme "aus dem wirklichen Leben", sagt Nallinger. Aus welchem Leben wohl Fritz Kuhn kommt? Von Grün-Rot statt Rot-Grün spricht sie nicht mehr, so wie es manche 2011 auf dem Höhepunkt des Grünen-Hypes nach Fukushima getan haben. Nallingers Ziel ist, dass aus dem OB-Dreikampf am Ende ein Duell wird - mit ihr selbst in der Stichwahl.

© SZ vom 08.01.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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