Brutaler Menschenhandel:Verschleppt und misshandelt

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Sie wollten sie zur Prostitution zwingen: Eine junge Rumänin ist in München in ein Verlies eingesperrt und misshandelt worden. Jetzt hat die Polizei fünf Personen festgenommen. Die Beamten glauben, dass die 18-Jährige nicht das einzige Opfer der Menschenhändler-Bande ist.

Von Susi Wimmer und Florian Fuchs

Im Fall der 18-jährigen Rumänin, die von Unbekannten in ein Verlies gesperrt und zur Prostitution gezwungen worden war, ist die Polizei einen entscheidenden Schritt vorangekommen: Aufgrund von Hinweisen nahm die Kripo zwei Frauen und drei Männer im Alter zwischen 23 und 42 Jahren fest. Sie stehen in dringendem Verdacht, das Mädchen in Rumänien auf der Straße angesprochen und ihr in Deutschland eine Stelle als Kinderbetreuerin in Aussicht gestellt zu haben.

Im Stadtteil Am Hart verbanden sie der 18-Jährigen die Augen, fuhren sie in ein dunkles Verlies und sperrten sie tagelang ein. Anschließend zwangen sie die 18-Jährige mit Schlägen und Drohungen, in einem Bordell im Münchner Osten als Prostituierte zu arbeiten. Die Tatverdächtigen sitzen in Untersuchungshaft und schweigen zu den Vorwürfen. Die Polizei glaubt, dass die 18-Jährige nicht das einzige Opfer der Menschenhändler-Bande ist.

Nein, sagt Bernhard Feiner, ein Einzelfall seit das sicher nicht dieser aktuelle Fall mit der 18-jährigen Rumänin. Der Erste Kriminalhauptkommissar vermutet, dass die Bande von Menschenhändlern auch andere Mädchen angelockt und mit Gewalt zur Prostitution gezwungen hat. 20 bis 25 Fälle von schwerem Menschenhandel bearbeitet sein Kommissariat durchschnittlich pro Jahr. "Aber wir kratzen nur an der Oberfläche", meint der Ermittler. Die Dunkelziffer der missbrauchten Frauen vermag er nicht zu schätzen. Aber er weiß, dass die Zahl der Opfer in München kontinuierlich ansteigt.

Die Geschichte der 18-jährigen Rumänin war erschütternd: Landsleute hatten sie in der Heimat auf der Straße angesprochen und ihr einen Job als Kindermädchen in München in Aussicht gestellt. Durchaus glaubwürdig sollen die zwei Frauen und drei Männer agiert haben. "Die Täter nutzen die Not der Armen aus", sagt Feiner. In Ländern wie Rumänien oder Bulgarien, Ungarn oder Tschechien sei die Aussicht auf eine Arbeit in Deutschland, auf Essen, vielleicht ein Handy und etwas Wohlstand für viele junge Menschen zu verlockend.

Im "Traumland" sieht die Realität dann meist anders aus: Die 18-Jährige zum Beispiel wurde vom Stadtteil Am Hart aus mit verbundenen Augen zu einem Verließ gebracht, in dem sie drei Tage lang eingesperrt war. Anschließend wurde sie verprügelt und zur Prostitution gezwungen. Die Täter, zwei Frauen im Alter von 23 und 27 Jahren, sowie drei Männer 28, 35 und 42 Jahre alt, wohnen fast alle in München, "und haben das wohl nicht zum ersten Mal gemacht", meint Feiner.

Viele Bordellbetreiber wollen auf Nummer sicher gehen

Etwa 3000 Frauen seien in München legal in der Rotlicht-Szene tätig, sagt Feiner. 2000 von ihnen sind bei der Polizei gemeldet. Freiwillig. Denn laut Gesetz müssen sich die Frauen weder anmelden noch gesundheitlich untersuchen lassen. Viele Bordellbetreiber in München aber wollen auf Nummer sicher gehen und schicken die Frauen zur Anmeldung zur Polizei. "Dann wissen sie zumindest offiziell, dass die Frauen über 18 Jahre alt sind", nennt Feiner einen der Gründe für die ungewöhnliche Kooperation.

Auch die 18-jährige Rumänin saß bei der Polizei und lieferte "vorgefertigte Antworten" ab, wie Feiner meint. "Sie hatte den tatsächlichen Leidensdruck noch nicht erlebt und vermutlich kein Vertrauen in die Polizei gehabt", mutmaßt er. Abgesehen davon werden die verschleppten Mädchen nicht nur mit Gewalt, sondern auch mit subtilen Methoden zum Schweigen gebracht. "Wir haben es schon erlebt, dass das Elternhaus eines der Mädchen in Afrika in Flammen aufgegangen ist", erzählt Feiner. Oder man drohe, Familienmitglieder zu töten, "oder dem Kind einen Arm abzuschneiden".

In das illegale Milieu in München vorzudringen sei für die Polizei nahezu unmöglich. "Das spielt sich via Internet oder in irgendwelchen Kneipen ab. Eine Chance haben wir nur, wenn Opfer oder Personen aus dem Umfeld sich an uns wenden", meint der Ermittler. Und geholfen wäre den Opfern auch mit neuen Gesetzen: "Dass legale Prostitution erst ab dem 21. Lebensjahr erlaubt ist", das wünscht sich Feiner. Die 18-Jährigen, die vor ihm sitzen, "das sind teilweise noch Kinder, die weder lesen noch schreiben können. Naiv. Hilflos."

Die Geschichte der 18-jährigen Rumänin ist nach Erfahrungen der Beratungsstelle Jadwiga ein typischer Fall für die Zwangsprostitution. 76 betroffene Frauen aus 19 Ländern hat die Opferhilfsorganisation in Bayern im Jahr 2011 betreut. "Der größte Anteil dieser Fälle spielt in München", sagt Leiterin Juliane von Krause, "und für 2012 wird die Zahl schon wieder steigen."

Nigeria und Bulgarien liegen an der Spitze der Herkunftsländer der Frauen, die Jadwiga im vergangenen Jahr betreute. Die meisten nach Bayern verschleppten und sexuell ausgebeuteten Frauen stammen aus Afrika und Osteuropa. Sie werden entweder wie die Rumänin mit der Aussicht auf Arbeit etwa als Kindermädchen oder Zimmermädchen gelockt. Oder die Mädchen fangen in ihrer Heimat eine Beziehung mit einem Mann an, der sich schließlich als Menschenhändler entpuppt.

Es gebe Minderjährige unter den Betroffenen, die meisten Frauen seien 18 bis 25 Jahre alt, sagt von Krause. Viele stammten aus ärmsten Verhältnissen und würden von ihren Zuhältern unter Druck gesetzt: Die Menschenhändler drohten den Frauen, dass sie Schulden für die Überfahrt nach Deutschland abzubezahlen hätten oder dass ihren Eltern oder Kindern in den Heimatländern etwas passiere, falls sie sich weigerten, sich zu prostituieren.

Eher selten kämen die Frauen in Bordelle. "Meist läuft so etwas über persönlichen Kontakt zwischen Zuhälter und Freier in Privathäusern oder Hinterzimmern", sagt von Krause. Nur selten gelinge wie bei der Rumänin einer Frau aus eigener Kraft die Flucht. Einige fallen zufällig bei Polizeikontrollen auf, oder ein Freier bekommt Mitleid. "Wir hatten auch schon eine Frau, die ist aus einem fahrenden Auto gesprungen."

Die Hilfsorganisation versorgt die Opfer zunächst einmal mit einer sicheren, geheim gehaltenen Wohnung und begleitet sie bei Bedarf zu einem Arzt und vermittelt eine Therapie. Außerdem versuchen die Mitarbeiter, Kontakt zu Hilfsorganisationen aus den Herkunftsländern der Frauen zu bekommen, um sie sicher nach Hause schicken zu können. "Die Traumatisierung äußert sich dann oft auch erst Jahre später, wenn man eigentlich denkt, dass die Frauen es schon geschafft haben", sagt von Krause.

© SZ vom 28.12.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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