Abschied von Lokalchef Christian Krügel:Sieben Strophen und so viele Fragen

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Die Pfarrkirche St. Johann Baptist in Gröbenzell: Viele hundert Menschen sind gekommen, um das Requiem für Christian Krügel zu begehen. (Foto: Florian Peljak)

In Gröbenzell wird Christian Krügel, der Leiter des SZ-Ressorts München, Region und Bayern, zu Grabe getragen. Er wurde nur 48 Jahre alt.

Von Detlef Esslinger

Der Tod kann eine Erlösung sein, eine Gnade, ein letzter Dienst. Aber dieser hier: so brutal, so infam, so gemein.

"Wir sind hier mit vielen Fragen", sagt der Pfarrer, zu Beginn des Requiems.

"Ich kann nicht erklären, was das alles für einen Sinn hat", sagt der Diakon, in seiner Predigt.

Viele Hundert Menschen sind in die Pfarrkirche St. Johann Baptist in Gröbenzell gekommen, dem Vorort, der im Westen an München anschließt. Die Kirche ist übervoll, hinten stehen all die, die in den Bänken keinen Platz mehr gefunden haben. Sie nehmen Abschied von Christian Krügel, dem Leiter des SZ-Ressorts München, Region und Bayern, der am vergangenen Freitag gestorben ist, mit 48 Jahren, einfach so, an einem Aneurysma. Der Organist spielt zu Beginn "Von guten Mächten wunderbar geborgen", das Lied, das Dietrich Bonhoeffer im Nazi-Kerker schrieb und mit dem er sich damals Kraft zusprach. Krügels Familie hatte sich das Stück gewünscht, der Organist spielt alle sieben Strophen.

Auf Friedhöfen gehört es zur Tradition, dass Trauergäste vor Beginn der Zeremonie kurz die Aussegnungshalle betreten und sich vor dem Sarg verneigen; ein stummer Gruß. Wer an diesem Tag in die Gesichter derjenigen blickt, die in die kleine Halle kommen, der blickt auf Menschen, die ganz offensichtlich sich nicht nur verneigen, sondern sich überzeugen wollen: Kann das wirklich wahr sein, dass unser Freund, unser Kollege hier liegt? Der Kollege, hinter dem man noch vor ein paar Tagen morgens ins SZ-Hochhaus schlenderte, weil man wieder mit derselben S-Bahn gekommen war? Der Kollege, der noch mit einer Mappe in der Tür gestanden war, weil er jemanden empfehlen wollte?

Wolfgang Krach, einer der beiden SZ-Chefredakteure, berichtet in seiner Ansprache während des Requiems, also vor der Beisetzung, von den letzten Tagen Krügels in der Redaktion. Wie er sich nicht gut fühlte, Kopfschmerzen. Wie er am vergangenen Dienstag eine Konferenz mit der Chefredaktion und seiner Kollegin Nina Bovensiepen durchzog; es ging darum, ihrer beider Ressort, das mit Abstand größte der SZ, neu zu organisieren. Wie er danach die Architekten des geplanten Konzertsaals traf, die ihm ihre Ideen zeigten.

Der Konzertsaal, die künftige Spielstätte der BR-Symphoniker, war Krügels großes journalistisches Thema. Krach erzählt, dass Krügel in fünf Jahren in 237 Artikeln dafür warb. Und wie er am Dienstagabend nach Hause kam, aber zu schwach war, seiner Frau von dem Treffen mit den Architekten zu erzählen. "Das mach ich morgen." Er schaute noch das Bayern-Spiel gegen Leverkusen, das Pokal-Halbfinale, und ging ins Bett, früher als sonst. Wolfgang Krach sagt: "Er ist nicht mehr aufgewacht."

Die wunderbaren Mächte an diesem Tag, das sind im Grunde dieselben, die einst schon Bonhoeffer beschworen hatte. Er schrieb über Eltern, Freunde, Schüler, über Gespräche, Lieder, Bücher; sie seien ihm gegenwärtig, durch sie habe er sich noch keinen Augenblick verlassen gefühlt.

"Er hatte immer ein lachendes Gesicht"

So viele sind und so vieles ist da in Gröbenzell, in der Kirche und auf dem Friedhof. Fünf Mitglieder des BR-Symphonieorchesters spielen zum Ende des Requiems das Adagio aus dem C-Dur-Quintett von Schubert; ihr Dirigent Mariss Jansons und seine Frau haben einen Kranz geschickt. BR-Intendant Ulrich Wilhelm gehört zu denjenigen, die in der Kirche nur einen Stehplatz bekommen haben. Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter ist da, ebenso die Landräte von Dachau und Fürstenfeldbruck, Stefan Löwl und Thomas Karmasin.

Der Direktor der Katholischen Akademie Bayern, Florian Schuller, schildert Christian Krügel, wie ihn wirklich jeder erlebte, der ihn kannte: "Er hatte immer ein lachendes Gesicht, wenn er ankam", sagt Schuller und blickt Krügels Frau Annette an, den 14 Jahre alten Sohn Benedikt und die vier Jahre jüngere Amelie: "Ich kann mir das auch zu Hause bei euch gar nicht anders vorstellen." Die Akademie hat ebenfalls einen Kranz geschickt, die Stammtischfreunde und die Ministranten von St. Johann Baptist. Benedikt und Amelie sind ja ebenfalls Messdiener dort, nun flankieren 14 von ihnen diesen Gottesdienst.

Darf man auch etwas Heiteres berichten, von so einem Tag? Der Sarg ist schon ins Grab gelassen, da nimmt Christian Krügels ältester Freund das Mikrofon. Sie kannten sich seit der fünften Klasse, als Jugendliche gingen sie ins Olympiastadion zum FC Bayern, sie spielten Billard, und der Freund erzählt, Christian sei der einzige Mann gewesen, den er kenne, der den Bezug des Tisches zerstörte. "Aber sein Gesichtsausdruck dabei war's wert."

Die Freunde hatten Pläne fürs Alter. Sie würden regelmäßig zum Viktualienmarkt gehen, eine Halbe trinken, auf ihr schönes Leben zurückschauen. Und weil daraus nun nichts mehr wird, hat der Freund das Bier zum Friedhof mitgebracht. Christian Krügels Grab ist in Gröbenzell bestimmt das einzige, in dem neben dem Sarg nun eine Flasche Paulaner ruht.

© SZ vom 26.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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