Szenewirt Ugo Crocamo:Pizza Ibiza

Seine Pizza ist eine Marke: Ugo Crocamo hat sich vom Handlanger im P1 zum Lieblingsdienstleister der Bussigesellschaft hochgearbeitet - mit seinen Expansionsplänen aber ist er gescheitert.

Christian Mayer

Der Film dauert nur ein paar Sekunden, aber er verrät viel über den Mann und seinen südländischen Enthusiasmus. "Da, schau dir mal das an! Musst du sehen", sagt der Wirt und hält einem sein Mobiltelefon unter die Nase. Auf dem Display ist eine Skulptur aus Kalbfleischscheiben zu sehen; die Thunfischsoße hat Ugo Crocamo als Kitt verwendet, damit das Kunstwerk nicht zusammenbricht. Immer wieder umkreist die Kamera den hauchzarten Fleischberg, und wenn man die Bilder etwas länger betrachtet, wird einem beinahe schwindlig vor so viel kulinarischer Leidenschaft: "Ist Vitello tonnato mal total anders. Großartig, nicht?"

Ugo Crocamo im H'ugo's, 2010

Kann in epischer Breite über den perfekten Zuschnitt von Mozzarella-Kügelchen plaudern: Szenewirt Ugo Crocamo.

(Foto: sonstige)

Ugo Crocamo hält es kaum auf seinem Stuhl im "H'ugo's" am Promenadeplatz. Die Leidenschaft für seinen Laden trägt ihn davon, nach hinten in die Küche, wo er gleich eine neue Flasche Lieblingswein, einen Sauvignon Friuli, holt und die Einladung für die große Kitzbühel-Party am Dienstag. Es stört ihn keineswegs, dass die Gäste amüsiert seine Performance verfolgen: Gerade erst hat er mit artistischem Zeigefingereinsatz demonstriert, warum sein Teig unzweifelhaft der beste und dünnste der ganzen Stadt ist und seine Pizza ein Geschmackserlebnis, das sogar in Italien seinesgleichen sucht. "Ich war gerade in Salerno, meiner Heimat bei Neapel, die kochen verdammt gut. So etwas wie meine Trüffelpizza findest du dort nie!"

So sieht also Münchens ruhmreichster Pizzabäcker aus, der sich wenige Tage vor Beginn der Fußball-WM auf schweißtreibende Abende vorbereitet. Zum Rasieren ist nie Zeit, dafür passt das feuchte, volle, raffiniert gescheitelte Haupthaar zum Image des maskulinen Spaßvogels.

Ugo Crocamo scheint ein sehr fröhlicher Mensch mit ein paar melancholischen Einsprengseln zu sein. Er versteht es, seinen Charme höchst umsatzsteigernd einzusetzen. Besonders im Umgang mit Sponsoren, deren Logos auf der Terrasse im Innenhof zu besichtigen sind - während der WM wird hier täglich auf acht Bildschirmen live übertragen, die Gäste sitzen gut gepolstert auf weißen VIP-Sofas. Sie schlürfen Sprizz und Champagner: Ibiza an der Isar. Die Szene darf sich unbeschwert austoben, seit Crocamo den letzten störenden Anwohner mit einer Abfindung losgeworden ist.

Vom unbedeutenden Handlanger im P1 zum Szenewirt, der an guten Sommertagen schon mal 30.000 Euro Gesamtumsatz macht: Das ist schon eine Karriere. Seit drei Jahren ist der 39-Jährige nun ein Lieblingsdienstleister der Bussigesellschaft. Das "H'ugo's" gilt als Bastion der Voll- und Halbprominenz, zu der nun auch der Wirt selbst gezählt werden muss.

Manche sehen in ihm schon einen zweiten Rossini, einen Nachfolger des legendären italienischen Edelpromiwirts aus Helmut Dietls Kultfilm, und sie liegen da gar nicht so falsch. Rossini allerdings hatte seine kleinen Schwächen, Crocamo ist disziplinierter, strebsamer. Er ist zum Beispiel seit 18 Jahren mit seiner Simona, einer bajuwarisierten Tschechin verheiratet, die gleich nebenan eine Boutique betreibt. Und was die beiden heranwachsenden Töchter angeht, prekäre 14 und 16 Jahre alt: Da wird aus dem lässigen Partymenschen plötzlich ein strenger süditalienischer Padrone. "Den Freund meiner Älteren will ich gar nicht kennenlernen", sagt er mit ehrlicher Entrüstung, "da bin ich noch nicht so weit."

Wenn man sich so umsieht im Restaurant, das der Wirt für 800.000 Euro nach eigenen Plänen gestaltet hat, sieht man vor allem Gäste, denen es offensichtlich gut bis zu gut geht. Am hinteren Nachbartisch unterhalten sich ein paar fesche Endvierzigerinnen über die Vorteile einer integrierten Schönheitsoperation, wie sie neuerdings eine Münchner Klinik zu fairen Preisen anbietet. Daneben bespricht eine Gruppe von Anwälten das florierende Geschäft.

Warum der Ableger im Tal gescheitert ist

Ganz vorne, auf dem Laufsteg vor der Bar mit dem bläulich leuchtenden Designer-Holzofengrill, nehmen langbeinige Schönheiten ihren angestammten Platz ein. Ja, es wird auch heftig getanzt im "H'ugo's", am Wochenende geschieht das geradezu zwangsläufig, wenn der Beat später von Adriano Celentano zu House-Musik wechselt. "Die Gäste provozieren das", sagt der Wirt und hebt unschuldig die Hände.

Es ist wohl kein Wunder, dass sich der italienische Fußballweltmeister Luca Toni auf dieser Bühne überaus wohlfühlte - sein Weg führte oft direkt vom FC-Bayern-Training in sein Stammlokal hinterm Bayerischen Hof. "Der Luca", sagt Crocamo stolz, "der Luca ruft immer noch jeden zweiten Tag an. Weil er uns so vermisst." Und dann greift er noch einmal zum Handy und zaubert jenes Bild hervor, das ihm ein anderer Stammgast kürzlich geschickt hat: ein schüchtern lächelnder Franck Ribéry mit Meisterschale, auch er ein prominentes Mitglied der Ugo-Connection.

Angesichts seiner Popularität ist es erstaunlich, dass Crocamo mit seinen Expansionsplänen dramatisch gescheitert ist. Sein Ableger, das H'ugo's II im Tal, läuft längst nicht so gut wie erwartet. "Mittags ist einfach nichts los. Deshalb überlege ich mir, ob wir das Lokal nicht gleich ganz aufgeben." Zumal das benachbarte Hotel, das die Räume vermietet, eine grundlegende Renovierung plant - ein ehrenwerter Rückzug aus dem Tal ist also möglich.

Über die Billiggeschäfte und Fastfood-Ketten, die Ein-Euro-Mentalität in teuerster City-Lage kann sich der Geschäftsmann wunderbar erregen. "Seit Jahren will die Stadt das Tal verschönern, nichts passiert", schimpft er. Die Konsequenz? "Man muss sich auf die wesentlichen Dinge konzentrieren. Ich bekomme viele Angebote für neue Lokale, aber ich sage alles ab. Ich bin hier glücklich, ich arbeite schon genug, warum soll ich mir das antun?""Eine hauchdünne Pizza, gebacken bei 340 Grad auf Lavastein, kann man teilen, die Aufmerksamkeit für seine Gäste nicht. "Und Systemgastronomie wollte ich nie machen", sagt Crocamo, der in epischer Breite über den perfekten Zuschnitt von Mozzarella-Kügelchen plaudern kann, die in perfekter Harmonie auf dem Untergrund zerfließen müssen.

Eine Pizza ist eine Pizza? Nun, das wäre eine Untertreibung. Eine Pizza ist eine Marke, zumindest im H'ugo's, wo sich der Hausherr seine eigene kleine Grotte errichtet hat. Die Wandverkleidung heißt "Isola Grey", und irgendwie wirken die Kunststeine toskanisch, obwohl sie von einem asiatischen Lieferanten stammen - bestes Imitat. Den Gästen ist das komplett egal. Für sie ist Ugo längst ein Münchner Original, von dem man sich, was die Außenwirkung betrifft, jederzeit eine Scheibe abschneiden kann.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: