Schauspielerin Cleo Kretschmer:Schwabinger Nächte

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Im wilden München der siebziger Jahre feierte sie das Leben, jede Nacht: Cleo Kretschmer war Jugendidol und Frau an der Seite von Klaus Lemke. Nun kehrt sie zurück vor die Kamera - nach einer schweren Krankheit, an der sie fast gestorben wäre.

Martina Kollroß

Wenn Cleo Kretschmer lächelt, zieht sie ihre Mundwinkel weit nach oben. Sie hat dann Pausbäckchen und einen verschmitzten Ausdruck auf dem Gesicht. Dann sagt die 59-Jährige Dinge wie: "Die Trudi Maus, die liebe ich." Und: "Dieses Jahr an Silvester habe ich mir versprochen, nur das zu spielen, was total zu mir passt."

Eine klassische Filmschönheit war sie nie, Klaus Lemke behauptete gar, sie sei für eine Schauspielerin zu hässlich: Cleo Kretschmer hat sich von der Provinz in der Großstadt durchgeschlagen. Jetzt steht sie wieder vor der Kamera. (Foto: ERD)

Die Trudi Maus ist der erste Beweis dafür. Im Pilotfilm "Meine Mutter, Heinrich und ich", der Anfang nächsten Jahres im ZDF ausgestrahlt wird, spielt Cleo Kretschmer diese Trudi Maus, eine Frau mittleren Alters, Alt-Hippie, die jetzt Lebensberatung und Wahrsagen anbietet. Wenn die Quote stimmt, wird daraus eine Serie. Cleo Kretschmer hofft sehr darauf und schwärmt: "Das war der schönste Dreh, den ich je hatte." Genauso sehr freut sie sich auf ihr zweites Filmprojekt dieses Jahres. "Eine ganz heiße Nummer", nach dem Roman von Andrea Sixt.

Es handelt von drei Frauen, die im Bayerischen Wald leben und arbeitslos werden. Aus der Not heraus gründen sie eine bayerische Telefon-Sex-Hotline. Dadurch handeln sie sich Ärger mit der konservativen Dorfgemeinschaft ein. Im kommenden Herbst soll der Film im Kino anlaufen. "Das Drehbuch war zum Schreien komisch und auch ein wenig frivol", sagt Cleo Kretschmer und erinnert sich an eine Kollegin, die sich darüber entsetzt äußerte.

Nein, prüde war Cleo Kretschmer nie. Obwohl sie den Aufschrei im katholisch-konservativen Dorf gut nachvollziehen kann, immerhin stammt sie selber aus der Provinz im Bayerischen Wald. 1951 ist sie in Wegscheid als Ingeborg Maria Kretschmer geboren, direkt an der tschechisch-österreichischen Grenze. Der Vater ist Grenzpolizist und streng, die Mutter dringt lange auf den Umzug in eine Stadt. Als Cleo elf Jahre alt ist, wird der Vater nach München versetzt. Anfangs habe sie sich nicht wohl gefühlt in der hektischen Großstadt, außerdem habe sie zu starken niederbayerischen Dialekt gesprochen für die hochdeutschen Stadtkinder. Das Verhältnis zu den Eltern ist angespannt.

Weil sie das alte Ägypten so sehr fasziniert, nennt sie sich jetzt Cleo - nach Cleopatra. Mit 18 Jahren flüchtet die gelernte Drogistin nach Italien und jobbt von da an als Barfrau auf Ischia. Mit 20 Jahren kehrt sie nach München zurück: Sie will eigentlich nur ihre Papiere holen für die Vermählung mit ihrem italienischen Freund. "Aber dann traf mich der Liebesblitz" - und der schlug mitten in der Diskothek Tiffany ein.

Cleo stand voll auf diesen Club: "Da gab es die Schönsten und die Schrägsten. In einer Ecke die Zuhälter, in der anderen die Models und die Superstars. Es war einzigartig." An dem einen Abend war sie mit einer Freundin unterwegs. Sie beobachteten einen Jungen "im Trenchcoat, mit rosa Nelke eingesteckt, und Mick-Jagger-Mund", der von Mädchen umringt war. Als sie erfuhr, dass es Klaus Lemke war, der diesen Mittwoch 70 wird, schwand ihr Interesse. "Mich interessierten keine Stars, ich stand auf arme Rock'n'Roller, wie heute noch", sagt sie mit einem Augenzwinkern.

Am Ende kamen die beiden eigenwilligen Charaktere dann doch zusammen und blieben es zehn Jahre lang. Das junge Paar feierte das Leben, jede Nacht. Mit der Clique zogen sie durch Schwabing und lebten zwei Jahre lang wild und freizügig. An Arbeit dachte Cleo Kretschmer nicht mehr, denn Lemke hatte es verboten: "Du bist meine Geliebte und sonst gar nix."

Cleo Kretschmers Freundin Puppa Armbruster nahm sie 1973 dann mal mit an den Set des "Schulmädchen-Reports, Teil 5". Dort trat sie das erste Mal vor die Kamera. Sie wollte Lemke beweisen, dass auch sie schauspielern konnte. Aber es dauerte noch zwei Jahre, bis sie sich endgültig durchsetzte. Cleo Kretschmer wollte nicht mehr nur Anhängsel sein und handelte einen Deal aus: Wenn sie ein Drehbuch schreibt, darf sie eine Rolle übernehmen. Heraus kam der erste gemeinsame Film: "Idole" (1976). Darauf folgte der Durchbruch, Cleo Kretschmer spielte an der Seite von Wolfgang Fierek in zahlreichen recht bayerischen Komödien, darunter "Amore" (1978), "Arabische Nächte" und "Ein komischer Heiliger" (beide 1979). Sie war für viele Jugendliche dieser Zeit ein Idol. Das Mädchen aus der Provinz, das auf einmal im Rampenlicht steht und mit den coolen Jungs rumhängt.

Cleo Kretschmer war zwar keine Schauspielerin, besuchte nie eine Schauspielschule, dafür arbeitete sie "mit Seele". Und sie war keine typische Filmschönheit. Klaus Lemke behauptete gar, für eine Schauspielerin sei sie zu hässlich. Daher sah sie sich immer wieder gezwungen, ihm zu beweisen, was in ihr steckte. "Die Filme waren Liebeserklärungen an den Mann, den ich liebte, von dem ich gesehen werden wollte", sagt Cleo Kretschmer, die dafür auch ihren Körper einsetzte - noch immer werden alte Nacktfotos von ihr in Internetforen präsentiert.

Die Beziehung zerbrach irgendwann. Für Klaus Lemke war Cleo Kretschmer am Ende nur noch "das Schnick- Schnack", das ruhig sein solle. Für Cleo Kretschmer folgten acht Monate am Strand von Brasilien, in denen sie aufs Meer starrte und zu begreifen versuchte, warum die Beziehung nicht zu retten war. Erst vor etwa fünf Jahren konnte sie durch den "heiligen Zorn", wie sie ihn nennt, mit der Beziehung richtig abschließen. "Man muss sich dann wie ein Vulkan benehmen. In der Wutphase ist viel Lava geflossen und fruchtbarer Boden entstanden."

Sie streckt die Beine unter dem Tisch aus. Cleo Kretschmer trägt einen gestreiften Marine-Pullover und eine gemütliche Jogginghose. Die Fingernägel sind rot, genau wie ihr Lippenstift. Ihre Augen sind dunkel geschminkt - wie in den Tagen, als sie noch die Schwabing-Ikone war.

Heute lebt Cleo Kretschmer mit ihren Katzen in der Kleinstadt Dorfen, östlich von München. Durch Zufall fand sie die kleine Wohnung direkt an der Isen. Kurz nachdem sie 1998 dort eingezogen war, ereignete sich der größte Einschnitt in Cleo Kretschmers bisherigem Leben. Eine Ader platzte im Sprachzentrum ihres Gehirns, in der Fachsprache Aneurysma genannt. Es geschah in einem Restaurant in München. Cleo Kretschmer las gerade noch die Speisekarte, da löste sich die Realität vor ihren Augen auf, sie kippte nach vorne und wusste: "Das ist der Tod."

Sie spürte, wie sie innerlich losließ und beschreibt die Nahtod-Erfahrung als ein Schaukeln, "in Liebe getaucht". Ihre Überlebenschance liege bei nicht einmal fünf Prozent, sagten die Ärzte. Doch ein paar Tage später erwachte Cleo Kretschmer, angeschnallt, in der Intensivstation. Um sie herum standen weiße Figuren, die sie als ihren guten Freund und Anwalt, ihren Bruder und einen Arzt nach und nach erkannte. Sie versuchte zu sprechen, doch es ging nicht. "Aber ich wusste, alles wird gut", sagt sie und behielt recht. Ihr Zustand verbesserte sich sprungartig, die Ärzte waren fasziniert. "Ich hatte eine starke innere Stimme, die mir zuflüsterte: Geduld ist die Brücke zur Freude." Sie lacht kurz auf, ihre Augen verraten aber, dass sie es ernst meint.

Sie ließ sich Zeit, musste mühsam vom Sprechen bis zum Gehen alles wieder lernen. "Viele Leute wollen nach so einem Vorfall schnell wieder funktionieren, aber das Gehirn braucht zur Regeneration ganz lange." Cleo ging nicht in eine Reha, sondern therapierte sich durchs Schreiben. Schon in den achtziger Jahren hatte sie Romane veröffentlicht, ihre Krankheit verarbeitete sie in "Sehnsuchtskarussell", das 2006 veröffentlicht wurde. Es ist in Tagebuchform geschrieben, und die Protagonistin, die Cleos zweiten Vornamen Maria trägt, hat sehr viel mit Cleo Kretschmer gemein: das Interesse an Astrologie und Esoterik, die ewige Suche nach Liebe, die epileptischen Anfälle - in der Realität erlitt Cleo Kretschmer drei davon.

Ein Räucherstäbchen verströmt seinen süßlichen Duft im Zimmer. Auf einem Schrank sitzt ein kleiner Buddha. Cleo Kretschmer trinkt Rosenblüten-Tee. Die Wände in diesem Raum, ihrem Arbeitszimmer, sind mit Fotos und Malereien tapeziert. Auch ein Foto von ihrem Freund, dem Saxophonisten Waki Wootz, hängt hier. Sie sind seit sieben Jahren ein Paar, er wohnt in München.

Vor Cleo Kretschmer liegt ein Stapel Broschüren. Ihre Krankheit und die vollständige Genesung haben dazu geführt, dass sie zur Schirmherrin des Aphasie-Landesverbands wurde - Aphasie ist der Verlust der Sprache durch eine Hirnschädigung. Am 23. Oktober hält sie auf einer Tagung für Schlaganfallpatienten eine Lesung. Auch beim Künstlersozialwerk Paul Klinger ist sie aktiv, der Verein stand ihr in der Regenerationszeit zur Seite. Momentan schreibt Cleo Maria Kretschmer an einem Märchen. "Ich bin reif und offen und mache alles, was von innen kommt." Cleo Kretschmer ist in ihrem Leben viel gereist, hat fremde Kulturen "aufgesaugt", man könnte Bücher mit dem Erlebten füllen. Ohne eine Miene zu verziehen, sagt sie: "Ich könnte sterben, ich habe total gelebt."

© SZ vom 13.10.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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