Kopf ab - und dann eine Maß
Dieser Schlachtruf gilt hierzulande noch heute als Synonym für einen Besuch auf dem Oktoberfest: "Auf geht's beim Schichtl" Nur allzu oft ist so ein Ausflug mit dem Wunsch verbunden, sich erst einmal fachgerecht den Kopf abschlagen zu lassen und anschließend eine kühle Maß Bier in einem der Festzelte zu genießen. Der Mann, der die Illusion der Hinrichtung als Volksbelustigung auf die Wiesn gebracht hat, heißt Michael August Schichtl.
Geboren wird er 1851 in München als jüngster Spross von Ignatz Schichtl und seiner Frau Barbara, die, so wollen es die Quellen wissen, bereits damals schon ein Wandertheater betreiben. Michael August Schichtl wächst in dieses Unternehmen hinein, wenngleich er zunächst das Korbmacherhandwerk erlernt. Doch weitaus mehr scheint ihn die Salonmagierausbildung seines Bruders Franz August, genannt Xaver, zu faszinieren.
Von diesem Bruder schaut sich Michael August allerlei Tricks ab, darunter auch den wohl berühmtesten, die "Enthauptung einer lebenden Person", die Franz August bereits 1875 in seinem Programm zeigt. Zu dieser Zeit jedoch sorgen die Gebrüder Schichtl mit ihrem "Zaubertheater" für Furore, mit dem sie sich erstmals 1869 in München präsentiert hatten. Von 1879 an scheinen sich jedoch die geschäftlichen Wege der Brüder zu trennen.
Michael August Schichtl wird jedenfalls von diesem Zeitpunkt an als alleiniger Besitzer eines Theater geführt. Er heiratet im selben Jahr Eleonore Karl, die Tochter einer "Seiltänzersfrau", und investiert zunächst 58 Pfennig in ein Kasperltheater.
Als die Geschäfte immer besser laufen, erweitert er 1886 sein Figurenkabinett um die berühmten Kunstfiguren des Tiroler Mechanikers Christian Josef Tschuggmall. Jahrelang sollen diese durch Federmechanismen frei beweglichen "Automaten" oder von einem Standpunkt abhängigen "Androiden" die Hauptattraktion in Schichtls Programm bleiben. Reste dieses Fundus sind noch heute im Puppentheatermuseum zu sehen.
Sein Programm lässt der Theaterdirektor schon damals von einer eigenen Kapelle in Uniform musikalisch begleiten. Er selbst tritt vor allem als Zauberer und Magier auf. Aber es gibt auch Geistererscheinungen, lebende Bilder, Tänze, Pantomimen, Nebelbilderprojektionen, ein Theatrum mundi oder auch artistische Darbietungen. Schichtl rekrutiert seine Künstler teilweise aus der eigenen Familie. So mimt die Tochter Wilhelmine, die Eleonore mit in die Ehe gebracht hat und die nur Johanna genannt wird, gleich drei Künstler: "Miss Tara", "Miss Eugenie" oder auch "Miss Wanda, Königin der Lüfte".
Das Theater zieht durch ganz Süd- und Mitteldeutschland und bezieht im Winter Quartier in München-Sendling. Weil Schichtl seine Artisten in dieser Zeit nicht, wie sonst üblich, entlässt, sondern durchfüttert, nennt man ihn alsbald "Papa Schichtl".
Doch als letzte Station vor der Winterpause steht bei den Schichtls immer das Oktoberfest auf dem Programm. Nur hier präsentiert sich Schichtl als Schmierendirektor mit Zylinder, rotem Haar, geschminktem Gesicht, in rotem Frack mit weißer Weste und einer Virginia-Zigarre. Bei dieser Parade, die er sogar zur eigenen Kunstform entwickelt, lockt er zunächst eine halbe Stunde lang Zuschauer mit ausgesuchten Grobheiten und Scherzen an.
In der Vorstellung bekommen sie dann die schwergewichtige Frau Direktor zu sehen, die einen "Serpentin- und Flammentanz" aufführt, dann den Zwerg Anton Stumpf, der den unmusikalischen Tambourmajor "Stopsel" gibt und in einer Illusionsnummer von der Bühne auf die Galerie geschossen wird; oder den "Dummen August", der nicht nur dem Schichtl Widerrede gibt, sondern diesem auch bei der "Enthauptung mittels Guillotine" assistiert - zweifelsohne dem Höhepunkt des Programms, das noch heute viele Menschen auf die Wiesn lockt.
1907 ereilt Schichtl ein schwerer Schlag, von dem er sich nicht mehr erholen soll: Seine einzige leibliche Tochter Mariele stirbt im Alter von 13 Jahren. Im Februar 1911 stirbt auch er. Seine Witwe führt das Geschäft noch bis kurz nach dem Oktoberfest, dann verkauft sie es für 600 Mark an Johann Eichelsdörfer.
Text: Astrid Becker Foto: Stadtmuseum