Ukraine-Krise:Darum muss Russland die WM behalten

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Im Dezember 2010 freute sich Wladimir Putin noch sehr über die Tatsache, dass Russland 2018 die Fußball-WM ausrichten darf.

(Foto: Getty Images)

Fast die Hälfte der Deutschen fände es richtig, Russland die Fußball-WM 2018 wegzunehmen. Was für eine verrückte Idee! Russen, Europäer und Amerikaner brauchen in der Ukraine-Krise so viel Kontakt wie möglich.

Kommentar von Detlef Esslinger

Bestimmt hätten die meisten Deutschen nichts dagegen, wenn ihre Fußballnationalmannschaft in vier Jahren erneut Weltmeister würde. Viele fragen allerdings: Muss es denn unbedingt in Russland sein? Die Einstellung zu dem rätselhaften Land hat sich geändert.

Als Putin im März die Krim annektierte, hielt nur jeder fünfte Deutsche Sanktionen grundsätzlich für eine gute Idee. Nun erkundigten sich die Demoskopen nach einer ebenso konkreten wie spektakulären Sanktion: ob man Russland wieder die Fußball-WM nehmen soll. Heraus kam, dass jeweils genauso viele Deutsche, 45 Prozent, dafür und dagegen sind.

Zerrissenheit bestimmt das Verhältnis

Darüber hinaus herrscht wildes Brainstorming: Es gibt Autoren, die von einem neuen "Doppelbeschluss" faseln; ihr Begriff spielt an auf die berühmte Nato-Entscheidung von 1979, die nach Meinung ihrer Befürworter letztlich den Kalten Krieg entschied. Es gibt Historiker, denen die Wiedereinführung der Wehrpflicht ausgerechnet jetzt eine Erwägung wert ist. Und in Mecklenburg-Vorpommern ist ein Unternehmertreffen namens "Russlandtag" umstritten, das die Landesregierung für Ende September plant.

In der Debatte und in ihrem Verlauf zeigt sich die Zerrissenheit, die seit jeher das Verhältnis der Deutschen zu ihrem Großnachbarn kennzeichnet. Entweder neigen sie zu hemmungsloser Freundschaft oder zu verrückter Gegnerschaft. Indem die Bundesregierung die Auslieferung eines Gefechtsübungszentrums verbietet, bestraft sie den Staatsapparat. Sie trifft damit jedoch nicht das Volk. Zugleich ist dies eine sehr zielgerichtete Sanktion: Einer Armee, die gerade für aggressive Zwecke benutzt wird, muss Deutschland nicht auch noch die Möglichkeiten liefern, Aggression zu perfektionieren.

Umfragen gibt es auch in Russland

Indem man aber Russland die WM nähme, würde man nicht nur seinem Staatsapparat, sondern letztlich allen Menschen dort eine Botschaft senden: dass sie als Gastgeber des größten Festivals der Welt nicht erwünscht sind, und zwar ganz unabhängig davon, was sie von ihrer Regierung halten. Die maximale Brüskierung einer maximalen Zahl von Russen wäre das - und zudem eine Sanktion, die sich kaum wieder aufheben ließe, je nach Fortgang der Dinge. Eine solche quasi in Beton gegossene Sanktion kann nur dazu führen, dass die Dinge schlechter und schlimmer werden. Warum sollte Putin 2016 oder 2017 kompromissbereit sein, wenn er absehen kann, dass er 2018 noch eine richtig spektakuläre Bestrafung spüren darf?

Umfragen gibt es übrigens nicht nur in Deutschland, sondern auch in Russland. Demnach geben zwei von drei Russen der EU und den Amerikanern die Schuld an der Ukraine-Krise. Das mag man für bizarr halten. Doch es zeigt, was Russen, Europäer und Amerikaner derzeit brauchen: so viele Begegnungen wie nur möglich, ob bei einer WM oder bei einem "Russlandtag". Jeder Kontakt ist ein Wert an sich. Wer einen Konflikt kennt, der gelöst wurde, indem Menschen nicht mehr miteinander gesprochen haben, möge sich bitte melden.

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