Rücktritt von Tschechiens Ministerpräsident Nečas:Tiefstand demokratischer Kultur

Ministerpräsident Nečas stürzt, weil seine Bürochefin den Geheimdienst für private Spitzeldienste missbraucht hat. Dieser Skandal ist freilich nur der letzte in einer ganzen Serie. Es mutet wie ein schlechter Witz an, wenn nun Industrieminister Kuba nach vorne drängt. Denn er ist selber der Mauschelei verdächtig.

Ein Kommentar von Klaus Brill

Tschechien ist ein Land, das ausgezeichnete Staatsmänner hervorgebracht hat. Tomas Garrigue Masaryk, der Mitbegründer und erste Präsident der Tschechoslowakei, war ein kluger, couragierter Demokrat, seine Unterredungen mit dem Schriftsteller Karel Capek sind noch heute eine lohnenswerte Lektüre. Ein Mann von ähnlichem Format, auch er ein Intellektueller hohen Grades, war Vaclav Havel, der Held der "samtenen Revolution" von 1989 und erste Präsident danach.

Am kulturellen Potenzial und der Tradition liegt es also nicht, wenn in Prag heute ein Schauerstück geboten wird, in dem man nichts so sehr vermisst wie staatsmännische Klugheit und Sensibilität. Der Abgang des Ministerpräsidenten Petr Necas markiert vielmehr einen Tiefstand demokratischer Kultur und sollte deshalb Anlass für eine rabiate Umkehr sein.

Necas stürzt, weil seine Bürochefin den Geheimdienst für private Spitzeldienste missbraucht hat. Zudem fingierte sie offenbar die lukrative Abfindung rebellierender Abgeordneter und verschaffte dubiosen Geschäftsleuten Zugang zu öffentlichen Aufträgen. Dieser Skandal, für sich monströs genug, ist freilich nur der letzte in einer ganzen Serie, welche die dreijährige Amtszeit des erzkonservativen Premiers gezeichnet hat. Mehr als ein Dutzend Minister mussten abdanken, meist wegen Korruptionsverdachts, wegen all der Affären blieben wichtige Reformen liegen.

In aller Deutlichkeit zeigt sich auch, dass die von Necas geführte und vom früheren Staatspräsidenten Vaclav Klaus einst mitbegründete Demokratische Bürgerpartei (ODS) für eine seriöse Politik nicht mehr taugt. 1991 aus der Revolutionsbewegung hervorgegangen, hat diese national- und neoliberale Gruppe mehr als zwei Jahr-zehnte lang das Geschehen dominiert und das Land in eine neue Ära geführt. Nur eine Zeit lang spielten in ihr antikommunistische Dissidenten eine Rolle, bald kamen Wendekarrieristen an den Drücker. Mit ihnen kamen die Skandale.

Die fortschreitende Vermischung politischer und geschäftlicher Interessen hat ein System hervorgebracht, das Vaclav Havel als "Mafia-Kapitalismus" gegeißelt hat. Der frühere ODS-Chef und Ministerpräsident Mirek Topolanek sprach von "Paten" aus der Geschäftswelt, die in den Regionalverbänden der Partei unangemessen großen Einfluss ausübten. Necas wollte das ändern und hat mit diesem Versprechen bei der Wahl 2010 noch einmal den Untergang der ODS verhindert. Jetzt jedoch wird offenbar: Er ist auf ganzer Linie gescheitert - und mit ihm die ODS.

Deshalb mutet es wie ein schlechter Witz an, wenn nun der ODS-Vize und Industrieminister Martin Kuba nach vorne drängt und Necas' Nachfolge antreten will. Er ist selber der Mauschelei mit einem "Paten" verdächtig und verkörpert das schlechte alte System. Wenn schon die bisherige liberal-konservative Dreier-Koalition ihre Arbeit fortsetzen will und ihre knappe Mehrheit beisammenhalten kann, dann wäre am ehesten der Außenminister Karel Schwarzenberg ein passabler Kandidat für das Amt des Regierungschefs.

Aber der ist kein ODS-Mann, sondern führt die Partei TOP 09, die in den Umfragen längst vor der ODS liegt und aus der nächsten Wahl wohl als stärkste Kraft des bürgerlichen Lagers hervorgehen wird. Oder ist jetzt eine Kooperation Schwarzenbergs mit den Sozialdemokraten denkbar, die dann ihrerseits als größere Partei den Ministerpräsidenten stellen würden? Auch vorzeitige Neuwahlen sind möglich.

Am Zuge ist jetzt der neue Staatspräsident Milos Zeman. Er hat in seinen ersten 100 Tagen viel verpatzt und spielt sein eigenes Spiel. Jetzt kann er zeigen, ob er ein kleinlicher Parteienintrigant ist oder ein Staatsmann, der sich der besten Traditionen seines Landes bewusst ist.

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