Nigeria:Terror als Alibi

Nigeria postpones general election epa04621075 A picture made available on 15 February 2015 shows a campaign poster of incumbent presidential candidate, Goodluck Jonathan, torn apart on a street Corne

Ein beschädigtes Wahlplakat zeigt Nigerias Präsident Goodluck Jonathan.

(Foto: dpa)

Trotz der jüngsten Offensive gegen Boko Haram mordet die Terrormiliz weiter. Die Wahlen wurden wegen des Terrors verschoben und im Land macht sich Fatalismus breit. Viele stellen sogar die Frage: Ist ein kalter Militärputsch im Gange?

Kommentar von Tobias Zick

Die nigerianische Terrorgruppe Boko Haram hat, in ihrer eigenen Logik, in den vergangenen fünf Jahren etliche blutige Erfolge erzielt. Sie hat, ohne viel Widerstand der nigerianischen Armee, Dörfer niedergebrannt, Städte erobert, Tausende Zivilisten massakriert, Hunderte Mädchen versklavt und, auf ihrem Weg zur Errichtung eines "Kalifats", zwischenzeitlich ein Gebiet von der Größe Belgiens unter ihre Kontrolle gebracht.

Der größte "Erfolg" aber besteht darin, dass Boko Haram die Demokratie des bevölkerungsreichsten Landes in Afrika in einen Zustand der Lähmung versetzt hat.

Die Verschiebung der Wahl kommt dem amtierenden Pärsidenten gelegen

So etwas schaffen ein paar Tausend noch so schwer bewaffnete Terrorkämpfer nicht allein, dafür brauchen sie Helfer in der Politik, und in diesem Fall sitzen diese Helfer in den höchsten Staatsämtern.

Ganz nach dem Wunsch des um seine Wiederwahl fürchtenden Präsidenten Goodluck Jonathan hat die nationale Wahlkommission die ursprünglich für Mitte Februar geplante Präsidentschaftswahl um sechs Wochen verschoben - und die Begründung dafür lautet: Boko Haram. Einen schöneren Propaganda-Erfolg hätte die Regierung der Terrorgruppe nicht verschaffen können, die ihrerseits mehrmals getönt hat, in Nigeria werde es keine Wahlen geben.

Man müsse erst die Sicherheitslage im Nordosten des Landes in Ordnung bringen, so die offizielle Version, und dann werde am 28. März gewählt. In gut einem Monat also soll das seit mehr als fünf Jahren wütende Problem Boko Haram unter Kontrolle sein?

Viele fragen, ob bereits ein Militärputsch im Gange ist

Auch wenn in diesen Tagen das nigerianische Militär, dank massiver Unterstützung der Nachbarländer Tschad, Kamerun und Niger, die Terroristen stellenweise zurückdrängt, glauben daran wenige. Statt dessen macht sich im Land Fatalismus breit. Viele stellen die Frage: Wird die Wahl abermals verschoben, wird sie überhaupt je stattfinden? Wenn ja, wie frei und fair wird sie ablaufen? Ist nicht vielmehr längst eine Art kalter Militärputsch im Gange, der einen demokratischen Wechsel auf Dauer unmöglich macht?

Wie die Regierung versucht, die Demokratie auszuhöhlen

Wie so etwas laufen kann, dafür gab die Art und Weise der Wahlverschiebung einen Vorgeschmack. Der Vorsitzende der nationalen Wahlkommission, der als unabhängig gilt, hatte bis zuletzt am ursprünglichen Termin festgehalten.

Dann aber gab er dem Druck der Armeeführung nach, die ihm kaum verhohlen mit Gewalt gedroht hatte: Man könne wegen des Terrorkriegs im Nordosten des Landes, der die Bündelung aller Kräfte erfordere, nicht dafür bürgen, dass die Wahl in "sicherer Umgebung" stattfinde. Das ist ein starkes Argument, denn es bürdet der Wahlkommission die Verantwortung für eventuelle Gewaltopfer auf - und es wird sich in absehbarer Zeit beliebig oft wiederholen lassen.

Von einer echten Herrschaft des Volkes konnte nie die Rede sein

Die prominenteste Stimme, die nun vor einer Außerkraftsetzung der Demokratie warnt, gehört einem, der das System von innen kennt: Olusegun Obasanjo, der einst das Militärregime anführte und später, nach dessen offiziellem Ende, 1999 die erste zivile Regierung des Landes übernahm. Nach der Bekanntgabe der Wahlverschiebung ist er aus der Regierungspartei PDP ausgetreten. Er warnt, sein früherer Zögling Goodluck Jonathan könnte gemeinsam mit der Armeeführung daran arbeiten, einen Machtwechsel zu verhindern.

16 Jahre ist die nigerianische Demokratie jung; doch von einer echten Herrschaft des Volkes konnte seit dem formalen Ende der Militärherrschaft 1999 noch nie die Rede sein. Für die Mehrheit der 175 Millionen Nigerianer ist das Leben ein alltäglicher Kampf gegen Armut, Korruption und die Willkür der Mächtigen. Nun droht auch das, was die Menschen zu diesem alltäglichen Kampf motiviert, zu schwinden: die zarte Hoffnung, dass es morgen, übermorgen oder zumindest irgendwann in absehbarer Zeit einmal besser wird.

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