Tuğçe A., die totgeschlagene junge Frau, ist eine Heldin, weil sie keine Heldin sein wollte. Soweit man jene Nacht in Offenbach rekonstruieren kann, wollte sie niemandem etwas beweisen, nicht einmal sich selber; sie hat nicht die Gefahr gesucht, in der sie dann heroisch ungekommen ist.
Es haben zwei Mädchen um Hilfe geschrien, da ist sie einfach los, wie damals, als es im Haus der Eltern brannte und sie doch ihre Mäuse im Käfig retten musste. Es war der Reflex des Menschlichen, der sie das Leben kostete.
Alle sehnen sich nach Menschen und Taten, in denen sich das Gute verdichtet
Schon jetzt beginnt sich das Heldenhafte von der Person zu lösen. Politiker, Journalisten, das Publikum, alle sehnen sich nach Menschen und Taten, in denen sich das Gute verdichtet - und die zeigen, wie richtig ist, was sie immer schon sagen. Mehr Zivilcourage! Mehr Härte gegenüber testosterongesteuerten Jungs! Ja, sicher - doch die Heldin als Projektionsfläche bereitet Unbehagen. Tuğçe A. als Zeichen gelungener Integration? Wenn auch im Schlechten etwas Gutes steckt, dann, dass es eine Frau mit türkischen Wurzeln ist, auf die Deutschland nun stolz ist. Aber ist nicht auch das eine Projektion?
Wenn man sich etwas wünschen darf am traurigen Tag dieser Beerdigung: dass die Rezeptemacherei schweigt, dass die Besserwisserei verstummt vor dem Tod. Wenigstens für diesen Tag sollte man sie loslassen, die Frau, die im so richtigen, so falschen Moment den Reflex des Menschlichen spürte.
