Rechtsextremismus:Kein Geheimdienst kann allein diese Demokratie retten

1. Mai - Erfurt

Ein Anhänger der AfD demonstriert in Erfurt mit Deutschlandfahnen - und Fotos von Björn Höcke, Thüringer Blut-und-Boden-Politiker der AfD.

(Foto: Bodo Schackow/dpa)

Der Verfassungsschutz erklärt die AfD zum rechtsextremistischen Verdachtsfall. So gut die Entscheidung auch ist: Die Beobachtung beendet das gefährliche Treiben der Partei nicht.

Kommentar von Ronen Steinke

Bei aller Verachtung für den Rassismus, den viele Millionen Wählerinnen und Wähler mit ihrer Entscheidung für die AfD zum Ausdruck bringen, und auch bei aller Sorge um die demokratischen Institutionen, die diese Partei untergräbt, ist es doch wichtig, in der Demokratie einen kühlen Kopf zu bewahren. Die Frage ist: Was kann ein Geheimdienst an diesen Problemen ändern? Wenn das Bundesamt für Verfassungsschutz jetzt die AfD als sogenannten Verdachtsfall auf Rechtsextremismus klassifiziert - was hilft das?

Natürlich ist das richtig, und natürlich ist das gut: Wenn es in dieser Republik eine Instanz namens Verfassungsschutz gibt, die den Auftrag hat, Informationen über das rechte Milieu zu sammeln und zu verbreiten, dann sollte diese Instanz - wenn schon, denn schon - auch die richtigen, klaren Worte für die AfD verwenden. So geschieht es jetzt. Ob aber die Demokratie damit schon wirklich "verteidigt" wird - das ist eine andere Frage. Und das ist letztlich die wichtigere Frage. Auch an einem solchen Tag, an dem der AfD scheinbar ein solcher Schlag versetzt worden ist. Vorsicht vor Placebos!

Ein Instrument aus den frühen Tagen der westdeutschen Demokratie

Ein Staat erklärt mittels seines Inlandsgeheimdienstes, dass die größte Oppositionspartei im Bundestag nicht ein wichtiges Element der Demokratie sei, sondern ein Feind der Demokratie - nach deutschem Recht ist das erlaubt. In den USA wäre es nicht möglich. Auch in Frankreich gibt es so etwas nicht, ebenso wenig in Großbritannien. Das ist ein Instrument, das in den frühen Tagen der westdeutschen Demokratie ersonnen wurde. Die Idee war: Schutz. Ein Inlandsnachrichtendienst sollte die Westdeutschen aufklären, bevor sie "wieder" auf eine Partei wie die NSDAP "hereinfallen" würden.

Das mag damals eingeleuchtet haben. Heute aber mangelt es den Menschen, die der AfD ihre Wählerstimme geben, eher nicht an Aufklärung über die Ziele oder den wahren Geist der AfD. Die Leute fallen nicht herein (falls sie denn überhaupt jemals hereingefallen sind und nicht vielmehr auch 1933 genau das haben wollten, was sie schließlich bekamen). Die Leute geben sich ihren politischen Illusionen nicht aus einem Mangel an seriösen Informationsquellen hin. Sondern aus Lust.

Es braucht offene Augen. Aber braucht es Spione?

Ja, um den Geist der AfD zu erkennen, der stellenweise menschenverachtend ist, braucht es offene Augen. Braucht es aber wirklich auch Spione? Die AfD arbeitet öffentlich. Sie agitiert öffentlich. Manchmal zerfleischt sie sich auch öffentlich. Wer sehen will, wofür diese Partei in weiten Teilen steht, der kann dies längst sehen - auf ihren Accounts in den sozialen Medien zum Beispiel. Selbst der Thüringer Blut-und-Boden-Agitator Björn Höcke, einer der radikalsten Köpfe in der AfD, ist kein Heimlichtuer. Er ist ein Fernsehgast, Vielredner und Buchautor.

Es gibt die These, dass die Verfassungsschutz-Beobachtung einen Effekt an der Wahlurne haben werde. Die Hoffnung lautet: Man werde zumindest einige Menschen davon abschrecken, AfD zu wählen. Wie mit einem Warnhinweis auf der Zigarettenschachtel, "Billige Sündenbock-Politik kann süchtig machen", daneben ein Schockbild. Das hoffen jetzt viele. Das sagt beim Verfassungsschutz natürlich niemand laut. Denn es steht einem Geheimdienst nicht zu, auf diese Weise Politik zu machen. Aber viel entscheidender ist: Es ist auch überhaupt nicht ausgemacht, dass diese Annahme stimmt.

Die Antwort muss aus dem Volk kommen

Die NPD wird schon seit 1975 ununterbrochen vom Verfassungsschutz beobachtet. Ihren Aufstieg vor allem in den neuen Bundesländern in den 2000er-Jahren hat das nie gebremst. Im Gegenteil, am Ende hat die Einmischung des Verfassungsschutzes der Partei sogar das Leben gerettet, denn die Durchdringung der NPD mit V-Leuten war letztlich für das Bundesverfassungsgericht der Grund, sie im Jahr 2003 nicht zu verbieten. Oder auch die Linkspartei, früher PDS: Ob deren Status als Volkspartei im Osten je darunter gelitten hat, dass sie vom Verfassungsschutz beobachtet wurde (und teils auch noch wird), ist pure Spekulation.

Nein, das gefährliche Treiben der AfD wird kein Verfassungsschutz beenden. Kein Geheimdienst wird diese Demokratie retten. Es wäre auch befremdlich, wenn das beste Mittel gegen die zuletzt zunehmend rassistischen Entscheidungen ihrer Wähler darin bestünde, Agenten loszuschicken. Die Antwort auf diese Ressentiments und diese Partei muss schon noch aus dem Volk selbst kommen. Und sie muss dringend kommen. Um die AfD in diesem Dauerwahljahr 2021 aus den Parlamenten hinauszubefördern, müssen möglichst viele Menschen ihre Stimme für demokratische Parteien abgeben.

Die Kandidatinnen und Kandidaten der AfD werden in diesem Jahr wieder - oder sogar erst recht - voller Zorn über das "System" auf den Marktplätzen stehen, und auf den Wahlzetteln. Die Verteidigung der Demokratie gegen sie: Diese Aufgabe nimmt einem niemand ab.

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