Zweite Staffel "Girls" im TV:Erlebnis-Burn-Out

Zweite Staffel "Girls"

Die "Girls" wohnen in New York, schlagen sich mit Elternbesuchen, Jobsuche und Sex herum und reden ganz viel darüber.

(Foto: dpa / HBO/Home Box Office)

In der zweiten Staffel von "Girls" zeigen die Macher, dass sie verstanden haben, wie viel großstädtische Mittzwanziger erzählen und was sie dafür erleben müssen. Und es wird klar, dass Hauptdarstellerin Lena Dunham genau das kann, woran ihre Protagonistin scheitert: Erzählen vom Leben.

Von Nadja Schlüter

Hannah hat sich mit Humanen Papillomviren infiziert. Ihr Kommentar zur Geschlechtskrankheit: "All adventurous women do" - "Alle abenteuerlustigen Frauen haben das mal", sie schreibt ihn direkt auf Twitter. Hannah folgt dort 902 Accounts, deren Nachrichten sie liest. Für ihre eigenen Nachrichten interessieren sich dagegen nur 26 Follower. Das erfährt man in einer kurzen Szene in der ersten Staffel von Girls.

Die paar Minuten genügen als Beweis dafür, dass die Macher der erfolgreichen HBO-Serie verstanden haben, wie viel heutige Mittzwanziger erzählen, warum und wie sie es erzählen und was ihr Mitteilungsbedürfnis mit ihnen macht. Nirgendwo sonst kann man mehr über ihr Sprechen und ihr Schweigen erfahren als in dieser Serie.

Die zweiten Staffel von Girls, die jetzt auf dem Bezahlsender Glitz startet, handelt wieder von den vier New Yorker Freundinnen Hannah, Marnie, Jessa und Shoshanna. Sie kämpfen sich durch den Großstadt-Sommer. Während und zwischen WG-Streits und Elternbesuch, Sex und Jobsuche erzählen sie von ihren Erlebnissen, Gefühlen und Sorgen. So erzählt vor allem die zweite Staffel ungemein präzise von den Kommunikationsgewohnheiten der Großstadtbewohner mit Mitte 20.

Hannah Horvath, die Girls-Protagonistin, inspiriert, erschaffen und gespielt von Lena Dunham, hat mit dem Missverhältnis aus Lesen und Gelesenwerden ihres Twitter-Accounts einen wichtigen Punkt klargemacht: Sich mitzuteilen ist das Gebot der Stunde, wenn man heute 25 ist. Allerdings: In den meisten Fällen will das niemand hören. Hannah ist die prototypische Verkörperung dieses Mitteilungsdrangs, dem keine Grenzen mehr gesetzt sind und der trotzdem oder gerade deswegen irgendwo in den Weiten des Internets oder zwischen den Hochhäusern New Yorks verhallt.

Sie ist angehende Autorin und schreibt Essays, an denen nur wenige Menschen Gefallen findet. Die Redakteurin eines Online-Magazins namens Jazzhate zum Beispiel, bei der Hannah zum Vorstellungsgespräch eingeladen ist. Sie findet Hannah "supersüß" und möchte gerne ihre Texte veröffentlichen. Worüber ist ihr egal, über einen Dreier mit Leuten, die sie online kennengelernt hat, oder übers Koksen. Hauptsache aufregend. Die Devise von Jazzhate steht in der Redaktion an der Wand: "Dies ist deine Komfortzone" ist in einem Bilderrahmen zu lesen, außerhalb des Rahmens sieht man einen Kreis, neben dem "Hier passiert die Magie" steht. Bloß nicht langweilig sein also, sondern immer über die Grenzen hinausgehen und etwas erleben, das man den Freunden, Twitter-Followern, Lesern berichten kann, ohne sie zu langweilen.

An der Wand könnte auch stehen: Lebe, um davon zu erzählen! Das ist eigentlich kein schlechter Leitsatz. Doch Hannah ist bald sehr gestresst davon. Denn wer nicht dauernd etwas zu erzählen hat, das sich außerhalb der Komfortzone abspielt, der bekommt einfach nichts mehr von der heiß ersehnten Aufmerksamkeit ab. Hannah kämpft für diese Aufmerksamkeit, so, wie es viele in ihrer Generation tun. Ein Auto oder ein Studienabschluss sind für sie keine Statussymbole. Es zählt, was man erlebt hat und erzählen kann.

Man kann sich als Zuschauerin in der Geschichte, die Lena Dunham mit Girls verständnisvoll erzählt, gut aufgehoben fühlen. Und wer nicht das Akademiker-Großstadt-Leben der Autorin oder ihrer Figur Hannah Horvath führt, kann lernen, wie die Menschen, die da draußen in den Straßen durch die Stadt laufen, Kaffee trinken, feiern und die ganze Zeit gleichzeitig auf ihre Telefone schauen, funktionieren. Wieso sie nichts verpassen wollen und wie gut das funktioniert. Oder wie schlecht.

Erfahrungen sollen retten, aber sie ermüden

Bereits in der ersten Staffel hatte Hannahs Drang nach einem Leben, von dem man erzählen kann, ins Absurde geführt. Erst riet ihr ihre Freundin Jessa, "for the story", für die Geschichte, mit ihrem Chef zu schlafen. Dann fragte sie ihr On-and-off-Liebhaber Adam, ob sie ihm nicht beim Onanieren zuschauen wolle, ebenfalls "for the story". Hannah nahm sich beide Ratschläge zu Herzen.

Kein Wunder, dass die Jungautorin, die schließlich einen E-Book-Vertrag unterzeichnet und innerhalb eines Monats ein Manuskript abliefern soll, auf ein Erlebnis-Burn-Out zusteuert. Ausgerechnet ihrer Affäre Joshua erzählt sie davon. Es ist einer dieser Hannah-Horvath-Monologe, in denen sich massenweise Mittzwanzigerinnen wiederfinden dürften: "Ich habe mir vor sehr langer Zeit das Versprechen gegeben, Erfahrungen zu machen", sagt Hannah, "alle Erfahrungen, sodass ich anderen davon erzählen und sie vielleicht retten kann. Aber es ist so ermüdend."

Der Zwang nach der Erzählung vom großartigen Leben voll von aufregenden Momenten führt schließlich in die Isolation. Hannah fällt nichts, aber auch gar nichts ein, was sie in ein E-Book schreiben könnte. Aber als sie mit ihrer Freundin Marnie telefoniert, berichtet sie ihr, wie gut alles gerade laufe. Und Marnie, auf dem Heimweg von einer furchtbaren Party, deprimiert in der U-Bahn-Station, erzählt ihrerseits wie glücklich sie gerade sei: "Es war perfekt" und "wir schauen Glühwürmchen an". Beide ahnen, dass die jeweils andere lügt. Aber sie bringen es nicht fertig, die Wahrheit zu sagen, zuzugeben, dass es gerade nichts Gutes zu erzählen gibt.

Hannah muss zugeben, dass sie am Ende nur eine suchende junge Frau unter vielen ist: "Ich habe festgestellt, dass ich nicht anders bin. Ich will, was jeder will. Ich will, was sie alle wollen. Ich will alles. Ich will einfach nur glücklich sein." Und während Hannah weint und massenweise Mädchen in ihrem Alter vor dem Fernseher mitweinen, liest man als Zuschauerin in Joshuas Gesicht absolutes Unverständnis. Er ist der Kontrapunkt in Girls, ein 42 Jahre alter, gut verdienender Mann mit schicker Wohnung, Balkon und Grill, der gerade mitten in der Scheidung steckt. Ganz sicher hat er keinen Twitter-Account und liest nicht Jazzhate. Und ganz sicher versteht er nicht, was eigentlich Hannahs Problem ist. Am Ende jedenfalls wird Marnie das einfache Glück finden, das Hannah sich wünscht. Und Hannah wird ihre Erfahrungen so weit treiben, bis sie hilflos und zerschunden in ihrem eigenen Bett strandet und daraus gerettet werden muss.

Mit dem Staffelfinale gibt Lena Dunham das beste Statement zum Thema "Leben, um davon zu erzählen" ab. Voll von Pathos und Übertreibung ist es die ironische Imitation einer viel zu aufgeblasenen Erzählung vom aufregenden Leben. So als würde Lena Dunham sagen: "Das wollt ihr doch, oder? Hier habt ihr es!" Sie hat verstanden, dass in ihrem Alter nichts wichtiger ist als das, was man erlebt hat und zu berichten weiß. Und dass die meisten eben ein bisschen nachhelfen müssen, um ihrem Leben das nötige Maß an Aufregung und Dramatik zu geben. Oder man macht es eben wie Joshua. Grillen, teure Wohnung. Nichts erzählen.

Eigentlich wäre Hannah lieber wie er. Mund halten, Ruhe haben. Aber sie kann nicht. Das ist die Ur-Katastrophe in dieser zweiten Staffel. In der allerdings Lena Dunham sehr klar beweist, dass sie kann, woran ihre Protagonistin scheitert: Erzählen vom Leben.

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