Zur Misere der Öffentlich-Rechtlichen:Das Problem heißt Intendantenfernsehen

Woran liegt es eigentlich, dass das öffentlich-rechtliche Fernsehen so berechenbar geworden ist? Die Antwort lautet: Weil die Intendanten das Programm machen. Und die ketten sich an die Quote. Wir brauchen eine Fernseh-Renaissance.

Günter Rohrbach

Der Satz wurde vor vielen Jahren für den deutschen Film geprägt, er lässt sich mühelos variieren: Das deutsche Fernsehen kann gar nicht besser sein. Naturgemäß richtet sich der Missmut gegen die öffentlich-rechtlichen Sender. Nur sie haben einen Auftrag der Allgemeinheit, die zugleich auch für ihre Finanzierung einsteht. Das schafft Verpflichtungen der besonderen Art. Sie sind in den Verfassungstexten der Sender formuliert und durch eine spezifische Organisationsform abgestützt.

Günther Jauch übernimmt Anne Wills ARD-Talk

Jauchs Wechsel zur ARD - eine Entscheidung der Intendanten.

(Foto: dpa)

An der Spitze jeder Rundfunkanstalt steht der Intendant. Er, so heißt es in den Statuten, verantwortet das Programm. Er tut dies in gewollter Unabhängigkeit. Gleichwohl wird er gewählt, beraten und in festgelegtem Umfang kontrolliert von Verwaltungs- und Rundfunkräten. Sie, die Räte, repräsentieren den gesellschaftlichen Willen. Angesichts andauernder Kritik darf die Frage gestellt werden, ob sie diese Aufgabe erfüllen. In der öffentlichen Wahrnehmung werden sie gelegentlich als Kaffeekränzchen karikiert. Das mag ungerecht sein, dennoch haben die Gebührenzahler das Recht, die Räte kritisch zu hinterfragen. Wer sonst als sie sollte in der Lage sein, in einem festgefahrenen System Änderungen zu erzwingen.

Weitaus wirkungsstärker und verhängnisvoller scheint ein anderes Strukturproblem der Sender zu sein. Wie gesagt, verantwortet der Intendant das Programm. Das heißt aber auch, er macht es nicht. Oder muss man sagen, sein Berufsbild sieht das nicht vor. In der Regel (es gibt Ausnahmen) fehlt ihm auch die Kompetenz. Der Intendant verantwortet das Programm wie ein Minister die Arbeit seines Ressorts. Für die konkrete Programmgestaltung gibt es in den Sendern eine dafür ausgebildete Institution, den Redakteur. Sie, die Redakteure, bestimmen, was entwickelt, was am Ende produziert und gesendet wird. Von ihrer Kreativität, ihrem Einfallsreichtum, ihrem Engagement hängt es ab, ob das Programm gut oder schlecht, vielfältig oder stereotyp, aufregend oder langweilig ist. Auf sie, die Redakteure, sollte es ankommen.

Das fundamentale Problem der öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten ist es, dass sie die Redakteure in den zurückliegenden Jahrzehnten systematisch entmachtet haben. Aus dem (linken) Redakteursfernsehen ist das Intendantenfernsehen geworden. Nicht von heute auf morgen. Es war ein schleichender Prozess, der mit dem Aufkommen der privaten Sender begann und sich in dem schärfer werdenden Wettbewerb allmählich entfaltete.

Mag sein, dass die Redakteure daran nicht ganz unschuldig waren, mag sein, dass sie die in der Monopolzeit entwickelten Programmkriterien allzu hartnäckig verteidigen wollten. Die Intendanten jedenfalls fühlten sich herausgefordert. Aus der wachsenden Sorge, im Kampf um die Marktanteile unterzugehen, rissen sie, in der ARD angeführt von dem ihnen gleichgestellten damaligen "Programmdirektor Deutsches Fernsehen" (Günter Struve, d. Red), das Ruder mehr und mehr an sich.

Es geht um starke Minderheiten

Intendantenfernsehen zeichnet sich durch die Einfachheit und Klarheit der Ideen aus. Intendantenideen lassen sich in aller Regel mit einem Wort markieren: Jauch, Kerner, Pilawa, Illner, Will, Lanz, Plasberg, Maischberger, Fußball-Bundesliga, Champions League, Olympia, Skispringen, Gottschalk. Man braucht dazu keine Kenntnisse, die über das hinausgehen, was einem normalen Programmbeobachter auch einfallen könnte. Man braucht nur Geld, nicht selten ziemlich viel Geld. Das macht die Sache so prekär.

Nun könnte man die Intendanten fragen, warum sie, wenn sie die Redakteure schon nicht nötig haben, diese nicht entlassen. Aber so einfach ist das ja nicht. Da gibt es Verträge, und die Intendantenideen müssen doch verwaltet werden. Darin steckt das eigentliche Elend des gegenwärtigen Systems: Diese Redakteure sind in die Sender gekommen, weil sie dachten, ihre Ideen verwirklichen, ihre Kreativität ausleben, die Programme machen zu können, die sie im Kopf hatten. Sie waren voller Elan, um dann mehr und mehr zu erkennen, dass gerade das nicht gewollt war, dass man sie für das, was sie gelernt, sich ausgemalt hatten, nicht mehr brauchte. Aber ein Sender lebt von der Vitalität seines kreativen Personals. Wenn diese Kräfte erstickt werden, muss man sich nicht wundern, wenn Erstarrung die Folge ist.

Die Intendanten haben ihr Ziel erreicht. Das öffentlich-rechtliche Fernsehen hat sich im Wettbewerb mit den Privaten behauptet. Gemessen an internationalen Standards ist es, wenn man die gegenwärtige Situation in den USA ausnimmt, immer noch ziemlich gut. Man würde es auch in der heutigen Verfassung nicht missen wollen. Aber was ihm fehlt, sind die Überraschungsmomente, sind Kühnheit, Frische, Provokation, Irritation, ist die Vielfalt an Neuigkeiten, die nur in einem Klima entstehen kann, das solche Biotope begünstigt. Davon sind die Sender in ihrem jetzigen Zustand weit entfernt. Kann man das ändern? Gibt es die Chance für eine Renaissance eines Fernsehens, das von denen gestaltet wird, die dafür vorgesehen sind und die, was man nur hoffen kann, dafür immer noch brennen?

Das Mantra der Intendanten ist die Mehrheitsfähigkeit. Nur dann, so ihre nicht unberechtigte Sorge, werden sie den Anspruch auf Gebühren aufrechterhalten können, wenn sie im Wettbewerb mit den Privaten bestehen. Aber steckt in dieser Quotenhörigkeit nicht längst ein Missverständnis? Um Mehrheiten geht es doch schon lange nicht mehr. Selbst im Hauptabendprogramm ist man doch mit vier bis fünf Millionen Zuschauern gut bedient. Das kann man aber, wie sich erst kürzlich zeigte, auch mit einem schwierigen Schwarz-Weiß-Film wie Das weiße Band erreichen. Es geht also immer nur um mehr oder weniger große Minderheiten. Nicht zuletzt darin unterscheidet sich die jetzige Situation von der in der Monopolzeit.

ARD und ZDF haben sich in ihrem generellen Programmangebot auf eine relativ große, zuverlässige Minderheit fokussiert, die über 60-Jährigen. Das sichert ihnen einen festen Bestand. Damit haben sie sich nicht nur von der Jugend verabschiedet, sondern auch von jener gebildeten Mittelschicht, aus der sich die Meinungsmacher rekrutieren. Das ist, wie sich zeigt, nicht ungefährlich. Es sollte auch die von ihrem einsilbigen Ideenangebot faszinierten Intendanten nicht gleichgültig lassen. Auf die Dauer werden sie die Angriffe ohne Verluste an der Gebührenfront nicht aussitzen können.

Günter Rohrbach, 82, war in den 70er Jahren WDR-Fernseh- und Unterhaltungschef, er leitete in den 80ern die ARD-Produktionstochter Bavaria. Als Produzent war er an dem Welterfolg Das Boot beteiligt. In der kommenden Woche läuft sein neuer Kinofilm an: Hotel Lux.

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