Zukunftsvision für die Medien:Internet + TV = HbbTV

Fernsehsender integrieren das Internet in ihr Programm. HbbTV heißt die neue Wundertechnik - und soll die mediale Zukunft sein. Schon jetzt rüsten TV-Sender im großen Stil auf. Bleibt allerdings die Frage: Braucht das überhaupt jemand?

Simon Feldmer

Ein bisschen unübersichtlich sieht es noch aus, was viele für die Zukunft des Fernsehens halten. Kleine Bildchen und kurze Texte, ein Videoschnipsel der Comedy-Sendung Switch Reloaded, zwischendurch blinkt Werbung. In einem Notizblock-großen Fenster auf dem Fernseher läuft das Pro-Sieben-Vormittagsprogramm weiter, während Lars Friedrichs auf der Startleiste am unteren Bildschirmrand des Fernsehers weiter nach rechts zappt.

Die ARD auf der IFA 2011

So könnte HbbTV in der ARD aussehen.

(Foto: rbb/ARD Digital)

Noch kurz die Postleitzahl eingegeben, schon hat man einen ziemlich überdimensionierten Wetterbericht vor der Linse. Mit wetter.com gehört schließlich auch ein Webportal mit einprägsamer Adresse zur TV-Gruppe Pro Sieben Sat 1. Und natürlich haben die Vordenker im Haus auch das mit einbezogen, als es darum ging, das Internet ein bisschen weiter ins Fernsehen zu holen.

Lars Friedrichs, Leiter Hybrid-TV und Teletext in der Fernsehgruppe Pro Sieben Sat 1, sitzt auf einem roten Ledersofa. "Das ist deutlich mehr als ein neues Gimmick zur Zuschauerbindung, das hat Relevanz", sagt er. Vor ihm stehen sieben Fernseher in unterschiedlichen Größen in einem kleinen Bürozimmer, das sie am Konzernsitz in München-Unterföhring schon mal "future lab" nennen.

Sogenannte Smart-TV-Angebote wie Google TV kann man sich hier ansehen, das in Amerika gigantisch erfolgreiche Video-on-Demand-Portal Netflix. Immer wieder drückt Friedrichs auf den roten Knopf seiner Fernbedienung. Als "red button" hat sich diese Taste unter Medienmachern, die derzeit die Möglichkeiten neuer Hybrid-TV-Geräte ausloten, längst einen Namen gemacht. Denn mit ihr kann man auf einem internetfähigen Fernseher im Sekundentakt in die neue Welt des jeweiligen Senders und wieder raus springen.

Dem Konsumenten soll sich ein Mehrwertangebot eröffnen

Der technische Wandel hat wieder eine neue Herausforderung parat. Nachdem sich der gemeine Fernsehzuschauer an Begriffe wie HD und 3D gewöhnt hat, kommt erneut ein recht kryptisches Kürzel auf ihn zu. HbbTV steht für Hybrid Broadcast Broadband TV und bezeichnet einen federführend vom Institut für Rundfunktechnik (IRT), dem Forschungsinstitut der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, entwickelten Standard, der spezielle Online-Anwendungen auf dem Fernseher möglich macht. "Mit der Einführung von HbbTV eröffnet sich dem Konsumenten eine Reihe neuer Mehrwertangebote wie beispielsweise TV-Editionen der Mediatheken, Fernsehen auf Abruf, interaktive Werbung, Personalisierung, Abstimmungen, Spiele und soziale Netzwerke sowie programmbegleitende Dienste wie digitale Teletexte und elektronische Programmführer" - so feiert das IRT diesen Standard auf seiner Internetseite.

Doch längst ist nicht geklärt, ob die Zuschauer diese Mehrwertangebote wirklich haben wollen. Auch Pro-Sieben-Mann Friedrichs, der jeden Tag die neuen Möglichkeiten erkundet, glaubt nicht, dass Smart-TV das klassische Fernsehen ablösen werde. Am Kerngeschäft will man auch in München-Unterföhring nicht zweifeln.

Vor allem die Jüngeren, die oft mehr vor dem Computer als vor dem TV-Bildschirm sitzen, sollen aber mit neuen Diensten gelockt werden. Soziale Foren auf dem Fernseher, Videotext mit bewegten Bildern, Onlineshopping mit der Fernbedienung - an HbbTV-Visionen fehlt es nicht. Ist da also wirklich was am Entstehen? Nach zahlreichen gefloppten Versuchen im vergangenen Jahrzehnt, das Fernsehen mit dem Internet auf dem großen Bildschirm zu verheiraten?

Schöne neue Vermarktungswelt

Zwar verweisen TV-Manager gerne auf die noch immer hohe Videotext-Nutzung, wenn sie die grundsätzliche Relevanz von Zusatzdiensten auf dem Fernseher unterstreichen wollen. Allein 5,5 Millionen Menschen blättern sich jeden Tag durch den ARD-Text, an die acht Millionen durch die Videotextseiten der Pro-Sieben-Gruppe. Wie oft allerdings die neuen HbbTV-Anwendungen angesteuert werden, ist nicht bekannt. Es gibt noch keinen einheitlichen Standard zur Messung. Man weiß auch nicht, wie viele internetfähige TV-Geräte in den Wohnzimmern stehen, geschweige denn, wie viele dann auch wirklich mit dem Internet verbunden sind. Vagen Schätzungen zufolge könnten es derzeit knapp eine Million sein. Bis 2015, so Prognosen, dürfte zumindest die Hälfte der Haushalte ein internetfähiges TV-Gerät besitzen.

Interaktives Fernsehen

Interaktives Fernsehen soll etwas Neues sein? Schon Ende der 1990er Jahre träumten die TV-Macher von neuen Vermarktungsmöglichkeiten am TV-Gerät. Bertelsmann wollte damals Fernsehen und Internet zusammenführen.

(Foto: DPA)

Entsprechend rüsten die Sender auf. Das ZDF startet noch in diesem Jahr heute journal plus, eine spezielle HbbTV-Anwendung des heute journals mit zusätzlichen Inhalten in Wort und Bild. Das Angebot, auf das die Mainzer mächtig stolz sind, wird am 6. Dezember im Berliner Hauptstadtstudio unter anderem von Anchorman Claus Kleber dem Fachpublikum vorgestellt. RTL plant schon bald das eigene Abrufportal RTL Now sowie das Videoportal Clipfish HbbTV-fähig zu machen.

Marc Schröder, der sich als Geschäftsführer von RTL interactive um die neuen Geschäftsfelder jenseits des klassischen, werbefinanzierten Fernsehens kümmert, legt aber Wert auf die Feststellung, dass dabei der Aufbau eines belastbaren Geschäftsmodells für die Zukunft vor einer schnellen Reichweitensteigerungen im Fokus stehe.

In der ARD hat man sich bislang neben einem aufgemotzten ARD-Text, der in der HbbTV-Version in HD sowie deutlich übersichtlicher daherkommt, auf die Mediatheken konzentriert. Das Erste, die meisten Landesrundfunkanstalten und der Digitalsender Eins Festival füllen ihre Abrufportale in der HbbTV-Variante. Dabei werden viele dieser Angebote als sogenannte Mandanten der ARD-Mediathek mit geringem Aufwand bereitgestellt. Weshalb die HbbTV-Mediatheken teilweise noch deutlich weniger Material zu bieten haben als ihre Online-Versionen, erklärt Heidi Schmidt, Leiterin von ARD-Online, so: "Die technische Übermittlung ist eine andere, es muss für jedes einzelne Video ein weiteres Format erstellt werden." Im nächsten Jahr habe sie, so Schmidt, allerdings "etwas mehr Ressourcen zur Verfügung", um die Gestaltung zu verbessern. Mehr Ressourcen - das sagt auch etwas über den Stellenwert, den man dem Projekt beimisst.

Das Kind soll kräftig gepäppelt werden

Auch bei Pro Sieben Sat 1 will man aufstocken. Mit dem einst zum Konzern gehörenden Nachrichtensender N24, der im Sommer 2010 unter anderem an Geschäftsführer Torsten Rossmann und den ehemaligen Spiegel-Chefredakteur Stefan Aust verkauft wurde, wird über eine Kooperation für den neuen HbbTV-Teletext gesprochen.

Bislang konzentriert sich die Gruppe auf ran-Datenbanken in Echtzeit oder kurze Galileo-, taff- und Topmodel-Videoausschnitte. Startet der Konzern ein neues Showformat wie die Castingshow The Voice of Germany in dieser Woche, soll die jugendliche Zielgruppe in der HbbTV-Anwendungen mitvoten oder Twitter-Feeds und Facebook-Postings während der Show auf einem Bildschirm verfolgen. Will das wirklich jemand? Oder: Braucht das alles überhaupt jemand, wenn er ohnehin ständig mit dem Laptop, dem Tablet-PC oder dem Smartphone online ist?

Wohl um Skeptikern den Wind aus den Segeln zu nehmen, hat die Pro-Sieben-Gruppe vor kurzem als erste eigene Zahlen zur HbbTV-Nutzung vorgelegt. Demnach schalteten angeblich zwischen 200.000 und 350.000 Zuschauer im Oktober auf die jeweiligen Angebote von Kabel 1, Sat 1 und Pro Sieben. "Das Kind ist geboren und zappelt. Jetzt geht es darum, es aufzupäppeln", sagt Eun-Kyung Park, Geschäftsführerin von Pro Sieben Sat 1 Digital. Beim privaten Fernsehen sollen das vor allem die Werbekunden tun.

Die Möglichkeiten, die sich in der Vermarktung ergeben könnten, sind jedenfalls groß und bunt: Interaktive Werbespots, Neuwagen-Testfahrten online buchen, in den Onlinekatalog des Versandhauses abtauchen. Beim Spartensender Sport 1 kann man schon jetzt Fanartikel bestellen, während man sich ein Basketballspiel oder Fußballanalysen anschaut. Da es aber noch kein wirklich überzeugendes Bezahlmodell für HbbTV-Anwendungen gibt, dürfte es noch eine Weile dauern, bis die Zuschauer mit der Fernbedienung wirklich Geld ausgeben.

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