Zukunft des ESC:Hello again!

Finale des 62. Eurovision Song Contest

Beim NDR war man völlig überrascht über das schlechte Abschneiden. Aber hätte man es nicht vielleicht ahnen können?

(Foto: dpa)

Nach Levinas Misserfolg in Kiew will ARD-Koordinator Thomas Schreiber die deutsche Kür für den Eurovision Song Contest reformieren. Das Problem: Er sagt das nicht zum ersten Mal.

Von Hans Hoff

Nur wer nichts tut, macht keine Fehler. Fehler können passieren, man scheitert, und dann versucht man es wieder. Man muss dann nur beim nächsten Mal ein bisschen besser scheitern.

Letzteres haben jene, die beim NDR für den deutschen Beitrag zum Eurovision Song Contest (ESC) verantwortlich sind, immerhin hinbekommen. Deutschland ist in diesem Jahr Vorletzter geworden und nicht mehr wie 2015 und 2016 auf dem letzten Platz gelandet.

Der lustig gemeinte Dilettanten-Pop aus Spanien hat das Schlusslicht übernommen und Levina davor bewahrt, das Schicksal von Ann Sophie und Jamie-Lee aus den Vorjahren zu teilen.

Wer sich indes mit dieser leichten Verbesserung das nun schon Jahre andauernde Desaster der deutschen ESC-Beiträge schönreden möchte, kommt nicht weit.

Höchstens vielleicht beim NDR. Der zuständige Mann dort heißt Thomas Schreiber, er ist Programmleiter im Bereich Fiktion und Unterhaltung, gleichzeitig koordiniert er senderübergreifend all das, was die ARD als Unterhaltung klassifiziert.

Ein Blick in die deutschen Charts der vergangenen Monate hätte genügt

Das Lied habe die Herzen der Menschen in Europa nicht erreicht, sagte er nach dem Debakel am Samstag und zeigte sich überraschenderweise überrascht: "Das hatten wir nicht erwartet. Wir stellen uns dem Ergebnis und werden es analysieren."

Dabei hätte ein Blick in die deutschen Charts der vergangenen Monate genügt, wo der deutsche ESC-Beitrag nicht gerade für Furore sorgte. Auch die komplett statische Performance von Levina in Kiew hätte ein Showprofi möglicherweise schon im Vorfeld beanstandet.

Vielleicht müsste man sich sogar eingestehen, dass die deutschen Auftritte beim ESC in den vergangenen Jahren die Herzen gar nicht erreichen konnten, einfach deshalb, weil sie selber völlig herzlos waren.

Nach der Show in Kiew kündigte Thomas Schreiber gleich am Sonntag an, den Vorentscheid zu reformieren, was eine humoristische Pointe in sich hat, für die man im Archiv nicht weit recherchieren muss.

Seit dem Sieg von Lena im Jahr 2010 tendiert die NDR-Bilanz nur noch nach unten

Denn vor ziemlich genau einem Jahr, im Mai 2016, hatte Schreiber auch schon angekündigt, den Vorentscheid zum Eurovision Song Contest zu reformieren. Der war damals ohnehin schon im Modus einer interessanten Kehrtwende.

Ursprünglich hatte man Ende 2015 beim NDR ja die selten weltentrückte Idee geboren, Xavier Naidoo für den ESC 2016 zu nominieren, der auch damals schon mit politisch irrlichternden Auftritten für Aufregung gesorgt hatte. Eine Entscheidung, die man nach heftigen Protesten zurücknehmen musste. Es wurde dann doch öffentlich abgestimmt.

Fragt man am Montag noch einmal nach beim NDR und bei Thomas Schreiber, welche Konsequenzen man in Hamburg aus dem erneuten schlechten Abschneiden der deutschen Kandidatin ziehen werde, teilt man eher schmallippig mit: "Das geben wir zu gegebener Zeit bekannt."

Schreiber, der viele Jahre lang bei der ARD als Journalist tätig war, bevor er 2007 sein heutiges Amt übernahm, blickt auf eine ESC-Bilanz, die seit dem Sieg von Lena Meyer-Landrut im Jahre 2010 ziemlich beständig nach unten tendiert, auch bei den Quoten.

Am Samstag sahen nur noch 7,76 Millionen Zuschauer beim Finale im Ersten zu. Das sind ähnlich wenige wie im Katastrophenjahr 2009, als die ominöse deutsche Formation "Alex Swings Oscar Sings!" in Moskau auf Rang 20 landete, was einen Anruf bei Stefan Raab mit allseits bekannten Folgen nach sich zog.

ESC-Ausstieg ist keine Option

Raab aber, und das ist ein offenbar unlösbares Problem für Schreiber, hat sich erst aus dem ESC zurückgezogen und dann auch aus dem Fernsehen. Lediglich seine Firma produzierte den Vorentscheid für 2017.

Will man in Schreibers Interesse etwas Positives vermerken, dann muss man bilanzieren, dass er es war, der die Zusammenarbeit mit Raab in der ARD durchgesetzt hat und damit den Sieg von Lena ermöglichte. Jemandem, der so etwas hinbekommen hat, nimmt man es aber nun mal nicht so leicht ab, wenn er sich überrascht zeigt, dass ein Song wie "Perfect Life" so weit hinten landet.

Beim ESC auszusteigen ist Schreiber zufolge keine Option ("Aus Beleidigtsein entsteht selten sinnvolles Handeln"). Personell etwas zu ändern, auch nicht: "Die Redaktion bleibt unverändert." Möglicherweise muss man nun doch bei den Herzen der Menschen in Europa ansetzen.

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