Zukunft der Rundfunkgebühr:Das große Plus

Erstmals in der deutschen Geschichte könnte die Rundfunkgebühr sinken. Dass die Sender so viel mehr einnehmen, als sie brauchen, stellt das Vertrauen in das ganze System in Frage.

Von Claudia Tieschky

Zeit und Ort, an dem die Neuigkeit verkündet wurde, sind kein Zufall: Zwei Wochen bevor die Gebührenrechner von der KEF es bekannt geben würden, der Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten, ließ Ministerpräsident Stanislaw Tillich, CDU, am Dienstag in Dresden die Nachricht fallen, fast beiläufig. Tillich wusste, dass sie wirken würde. Vielleicht hat er sich auch überlegt, wie einer dasteht, der so etwas in Aussicht stellt: eine allgemeine Kostensenkung von bis zu einem Euro des verhassten Rundfunkbeitrags - der Zwangsabgabe für ein Fernsehsystem, das zwischen Quote und gesellschaftlichem Auftrag oft recht mutlos um die Zuschauerliebe kämpft.

Auch Tillich kämpft, er will 2014 Wahlen gewinnen, und kaum etwas ist populärer als die Empörung über die Rundfunkkosten. Tillich lässt von seiner Staatskanzlei eine AG Beitragsstabilität betreiben, die sich rundfunkpolitisch sozusagen als Verbraucherschutz gegen das bislang stets wachsende öffentlich-rechtliche System begreifen lässt. Besser ist der Ruf des Systems nicht geworden, als die Länder eine Gebührenreform beschlossen, die seit Anfang dieses Jahres alle Bürger zu Zahlern des Systems macht.

Viele Menschen wird es nun für die Reform einnehmen, wenn sie, nach dem Zeitplan der Politik vermutlich von 2015 an, zwischen 50 Cent und einem Euro weniger zahlen als 17,98 Euro. Viele andere aber werden finden, dass sie mit ihrer Kritik recht hatten, die Reform sei eine Reichtumsmaschine für ARD, ZDF und Deutschlandradio. Im Grunde ist das ein Missverständnis, denn Mehreinnahmen können die Sender nicht behalten. Aber auch das ist Teil der katastrophalen Kommunikation, die Politik und Sender seit Beginn der Reform betreiben.

Es ist eine Sensation

Auch in anderen Staatskanzleien hatte man zuletzt von neuen Zahlen zu den Einkünften aus der Gebührenreform gehört, und war dann - so war am Mittwoch zu hören - doch leicht irritiert, als Tillich damit vorpreschte. Die Zahlen sagen, dass die Reform der Rundfunkfinanzierung nicht etwa ungefähr gleich viel Einnahmen bringen würde wie bisher - so wie es die Sender und die politisch Verantwortlichen lange beteuert hatten. Die Zahlen sagen auch, dass nicht ein Plus von 80 Millionen Euro mehr pro Jahr in den Büchern stehen wird, wie es seit ein paar Wochen offiziell hieß. Nein, bis zu einer Milliarde Euro Mehreinnahmen in vier Jahren sind nun, nach den neuesten Schätzungen, auf einmal sehr wahrscheinlich.

Schätzungen und Gerüchte gab es viele in letzter Zeit. Eine Bestätigung gab es nie, nicht einmal vertraulich. Deshalb ist es eine Sensation, was KEF-Präsident Heinz Fischer-Heidlberger am Dienstagabend sagte. Fischer-Heidlberger ist im Hauptberuf Präsident des Bayerischen Obersten Rechnungshofs und ein zurückhaltender Kommunikator. Er sagte: "Die KEF geht davon aus, dass es zu einer Absenkung des Beitrags von 17,98 Euro kommen kann." In welchem Umfang die KEF das vorschlagen könne, "wissen wir erst, wenn der Kommission neue Berechnungen der Anstalten vorliegen und diese geprüft sind." Das heißt auch: Die KEF, nicht die Politik, wird einen Vorschlag für eine neue Höhe des Beitrags machen, wohl Mitte Dezember.

Eine Vertrauensfrage ans System

Wegen zehn Cent würde man den Aufwand jedenfalls nicht betreiben, so war es bei den Szenarien durchgeklungen, die in den vergangenen Wochen durchgespielt wurden. Schon allein deshalb, weil ein Mini-Effekt bei den nächsten Gebührenrunden schnell wieder von einer Erhöhung aufgefressen werden könnte. Eingeweihte sagten am Mittwoch, die Verbilligung werde wohl nicht unter 50 Cent liegen. Ob wirklich ein Euro erreicht wird, ist aber fraglich. Denn es gibt noch ein paar weitere Faktoren in der Rechnung: Das Gesetz muss, so haben es die Länder in einer Protokollnotiz zum Staatsvertrag vereinbart, 2015 überprüft werden, unter anderem auf "Ausgewogenheit".

Dabei könnte es um Filialunternehmen gehen, die höher belastet werden. Ebenfalls stärker belastet werden viele ältere Bürger, die nur Radio hören, und denen die volle Abgabe, die sie neuerdings zahlen müssen, finanziell wirklich wehtut. Vom Bürokratieaufwand einer Abgabenbefreiung sind sie oft überfordert. Es geht um verdeckte Altersarmut. Offenbar gibt es im Länderkreis auch die Haltung, man müsse für die Nachbesserungen ein Polster vom Milliardenplus zurückbehalten.

Die Länder Hamburg, Niedersachsen, Sachsen und Sachsen-Anhalt ließen in einer weiteren Protokollerklärung festhalten, etwaige Mehreinnahmen durch die Reform müssten "für eine Reduzierung der Belastung von Bürgern und Unternehmen genutzt werden". Die Irritation, mit der man das alles verfolgt, hat mit einer Frage zu tun: Kann es wirklich sein, dass man sich in den Staatskanzleien der Länder und den Finanzabteilungen der Sender so verschätzt hat, als man darauf beharrte, die Reform sei "aufkommensneutral"? Es gibt Rundfunkpolitiker, die ahnen, dass dies eine Vertrauensfrage ans System aufwirft, und die sich diese Frage deshalb jetzt ziemlich ernsthaft stellen. Und Antworten wollen.

Die Mehreinnahmen können nicht allein von den Radionutzern kommen, die jetzt 17,98 Euro zahlen. Es können auch nicht allein die Filialfirmen sein; Sixt und Rossmann klagen gegen das Gesetz. Eine wahrscheinliche Erklärung: Es gab viel weniger gemeldete Gebührenzahler als jene Wohnungs-Datensätze, die Einwohnermeldeämter nun als Erfassungsgrundlage an die Abgabeneintreiber liefern. Entweder also gibt es in Deutschland eine Zahl von Haushalten ohne Rundfunk, wie man es in den 50er-Jahren vermutet hätte - oder es gab jahrelang schlicht enorm viele Schwarz-Seher. War das alles den Kontrolleuren fremd und nicht kalkulierbar?

"Alle Parameter haben von Anfang an darauf hingedeutet, dass es zu bedeutenden Mehreinnahmen kommen wird", sagt der Staatsrechts-Professor Christoph Degenhart, der die Sixt-Klage vorbereitet hat. Der Passauer Jurist Ermanno Geuer, der in Bayern eine Popularklage gegen das Gesetz führt, findet: Selbst eine Absenkung des Rundfunkbeitrags "löst meiner Ansicht nach nicht das Problem". Seine Ansicht ist: Das von den Ländern gemachte Gesetz sei in Wahrheit eine Steuer - für Steuern sind die Länder nicht zuständig.

Eines hat sich am Mittwoch auch noch herumgesprochen: Für eine Abschaffung der Werbung im öffentlich-rechtlichen Fernsehen reicht der Geldsegen angeblich dann doch nicht.

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