Zentralrat der Juden: Vorwurf:Antisemitischer Trend?

Der Generalsekretär des Zentralrats der Juden wirft deutschen Medien antisemitische Tendenzen vor. Chefredakteure wehren sich.

Marc Felix Serrao

Es passiert nicht oft, dass die taz diplomatische Töne anstimmt. Nein, sagte Chefredakteurin Ines Pohl an diesem Montag. Sauer sei sie nicht. Eher "grundsätzlich froh, dass diese Debatte angestoßen wurde". Andere sind weniger versöhnlich. "Absurd", schimpfte Stephan-Andreas Casdorff, Chefredakteur des Tagesspiegels. Zwei Reaktionen, ein Vorwurf: Beide Blätter - linksalternativ das eine, liberal das andere - sollen antisemitische Ressentiments bedient haben und weiter bedienen. Und nicht nur sie.

Stephan Kramer, Foto: Getty

"Das ist keine Rasenmähermethode" - Stephan Kramer.

(Foto: Foto: Getty)

In einem bemerkenswerten Interview mit dem Focus hat Stephan Kramer, Generalsekretär des Zentralrats der Juden, deutschen Medien Antisemitismus vorgeworfen; mal mehr, mal weniger. Und er nannte Namen, von linksaußen (Junge Welt, Neues Deutschland) und linksalternativ (taz) bis neurechts (Junge Freiheit) und rechtsextrem (National-Zeitung). Und mittendrin noch Titel wie taz, Tagesspiegel und auch FAZ.

Er wolle sensibilisieren, erklärte Kramer der Süddeutschen Zeitung nun. Er habe für alle genannten Medien Beispiele: "Das ist keine Rasenmähermethode." Im Interview erinnert der 41-jährige Volkswirt und Jurist, der als Erwachsener zum Judentum übertrat, im Fall der FAZ an einen Artikel vom November 2008, über den auch in dieser Zeitung berichtet worden war. "In der von Michel Friedman, einem Juden, moderierten Talkshow (...)" hieß es da.

Der Presserat fand den Vorgang später zwar nicht rügenswert. Doch für Kramer, das wiederholte er im Focus, war die Formulierung "auf antisemitische Reflexe des Lesers ausgerichtet". Carsten Knop, verantwortlicher Redakteur der FAZ, der die Formulierung schon damals bedauert hatte, war für eine neuerliche Stellungnahme nicht zu erreichen.

Fragt sich: Wie seriös ist es, vereinzelte, auf sehr heterogene Medien verteilte Vorfälle zu einem antisemitischen Trend zu erklären? Kramer präzisiert: "Ich sage nicht: Die ganze Zeitung ist antisemitisch. Aber es wird an vielen Stellen die rote Linie überschritten." Er könne sich zudem nicht vorstellen, "dass die Chefredakteure und Herausgeber diesen Trend nicht sehen". Als Beispiel nennt Kramer den Tagesspiegel. Das Blatt sei "sehr ambivalent", erklärt er. "Da gibt es oft positive Beiträge. Aber es gibt auch Beiträge, die über die Linie gehen, und in der Gesamttendenz werden es mehr."

Scharfe Kritik von Wolffsohn

Der kritisierte Chefredakteur reagierte am Montag äußerst ungehalten: "Ausgerechnet der Tagesspiegel!", empörte sich Casdorff. Sein Blatt sei vielfach ausgezeichnet für Berichte und Kommentare über und gegen Antisemitismus, Neonazis, Rechtsextremisten. Dafür vor allem stehe es - seit seiner Gründung.

Ähnlich äußerte sich Arnold Schölzel, Chefredakteur der "marxistisch orientierten" Jungen Welt. Kramers Vorwurf sei absurd. Sein Blatt versuche stets, viele Stimmen zu zitieren. Zugegeben, nicht gerade die der israelischen Regierung, die hätte andere Wege. Aber dafür linke Israelis und Menschenrechtler, "die sonst fast keine Stimme haben".

Kritik von Michael Wolffsohn

Versöhnlich zeigt sich, wie gesagt, nur die taz. Chefredakteurin Pohl sagt zwar auch, dass ihr Kramers Kritik missfalle. Keinesfalls sei ihre Zeitung antisemitisch. Die taz lasse lediglich "extreme, nicht extremistische" Meinungen zu. Sie würde darüber gerne mit Kramer diskutieren, "wenn er mich einlädt". Damit dürfte Pohl im Kreis der angegriffenen Chefredakteure eher allein dastehen.

Besonders scharfe Kritik an Kramers Medienschelte kam von Michael Wolffsohn. Der in Israel geborene und in München lehrende Historiker hat dem Zentralratsfunktionär schon früher vorgeworfen, zu schnell, zu unreflektiert von Antisemitismus zu sprechen- etwa als dieser Thilo Sarrazin als geistigen Nazi-Erben abstempeln wollte. Der SZ sagte er nun: "Einen solchen Rundumschlag kann keiner ernst nehmen." Dem Tagesspiegel ("durch und durch liberal") oder der FAZ ("hat Marcel Reich-Ranicki groß gemacht") antisemitische Reflexe vorzuwerfen, sei absurd. Wolffsohn: "Ich schäme mich als deutscher Jude, dass mich jemand, der so argumentiert, nach außen vertritt."

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